Frage an Andreas C. Wankum von Christian S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Wankum!
Sie sollen diese Woche in der Bürgerschaft über die Einführung allgemeiner Studiengebühren entscheiden. Ich habe dazu einige Fragen, die ich gerne von Ihnen persönlich beantwortet wüsste. Dass es in Ihrer Fraktion eine Arbeitsteilung gibt und Herr Beuß der hochschulpolitische Sprecher der CDU ist, ist mir bekannt. Ich frage Sie persönlich, weil es mir nicht um offizielle Parteipositionen, sondern um Ihr Verhalten als Abgeordneter geht - ich unterstelle Ihnen wohlwollend, dass Sie Ihr Abstimmungsverhalten durch eigene Überlegungen begründen. Um Sie bestmöglich bei Ihrer Entscheidung zu unterstützen, werde ich Ihnen nicht nur einige Argumente für Gebührenfreiheit vorstellen, sondern auch auf Argumente für Studiengebühren eingehen. Weiterführende Informationen finden Sie z.B. im Protokoll der öffentlichen Anhörung unter http://www.buergerschaft-hh.de/Parldok/Cache/6C20BC891A444D9022F28A0C.pdf .
1. Zielgerichtet auf den individuellen Vorteil
Kern der Studiengebührendebatte sind sogenannte Steuerungs- oder Lenkungseffekte. Diese hätten verheerende Folgen: Wenn (Aus-)Bildung zur Ware definiert wird, werden aus Universitäten zunehmend Dienstleistungsanbieter. Studierende sollen nicht mehr als Mitglieder an der Weiterentwicklung ihrer Hochschule beteiligt sein, sondern als Kunden gelten und das Studienangebot indirekt über ihre Nachfrage beeinflussen. Der von Befürwortern gepriesene finanzielle Druck auf die Studierenden, der ein ‚zielgerichtetes’ Studierverhalten hervorbringen soll, ist damit in doppelter Weise schädlich: Erstens führen Studierende, die ihr Studienziel zunehmend in einem schnellen Abschluss sehen, tendenziell zu einer inhaltlichen Verflachung der Studiengänge, die immer weniger am wissenschaftlichen Inhalt und immer mehr an der reinen Berufsvorbereitung orientiert wären. Als zweite Folge ist zu befürchten, dass Gebührenzahler zunehmend in Studiengänge gezwungen wären, deren Abschlüsse eine gut bezahlte oder zumindest halbwegs sichere Berufsaussicht versprechen. Die wissenschaftliche Vielfalt würde in Breite, Tiefe und kritischem, auf die Lösung menschlicher Probleme orientiertem Inhalt zunehmend eingeschränkt und der gesellschaftliche Nutzen der Hochschulen damit immer geringer.
Was ist der Sinn von Hochschulen? Wem nützen Hochschulen?
Was halten Sie von Bildung als Emanzipation?
2. Studiengebühren verschlechtern die Studienbedingungen
Oft wird behauptet, man könne mit Studiengebühren die Studienbedingungen verbessern, sodass die Studierenden letztlich von den Gebühren profitierten. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass die Studienbedingungen nicht nur aus Bibliotheksöffnungszeiten und Betreuungsrelationen bestehen. Ein sehr wesentlicher Faktor sind die sozialen Bedingungen, unter denen wir studieren. Verschärfte Hetze und gesteigerte, zunehmend existenzielle Not verschlechtern die Studienbedingungen. Insbesondere verschlechtern sie die Bedingungen für ein Studium, dessen Horizont über die individuelle Optimierung für den Arbeitsmarkt hinausgeht.
Möchten Sie in Ihrer Küche so gerne einen Induktionsherd haben, dass Sie dafür auf die Nahrungsmittel verzichten würden?
Nebenbei bemerkt würden Studiengebühren keineswegs in vollem Umfang zusätzlich für die Lehre zur Verfügung stehen, wie in dem Gesetzentwurf behauptet wird. Nach universitätsinternen Berechnungen käme etwa ein Drittel wirklich an – der Rest geht im wesentlichen für teure Akkreditierungen und die Einrichtung des Ausfallfonds drauf, denn die Hochschulen sollen das Risiko für die Studienkredite tragen und müssen dafür schon jetzt bei ihren eigentlichen Aufgaben sparen.
3. Knappe Kassen – Studiengebühren alternativlos?
Die Hochschulen werden seit vielen Jahren massiv unterfinanziert. Darunter leiden alle Mitglieder der Universität, darunter leiden Forschung und Lehre, und besonders leidet darunter das gesellschaftskritische und damit gesellschaftlich produktive Potential der Hochschulen.
Sind Studiengebühren also der einzige Ausweg? Im Vergleich zum BIP gibt kein anderes OECD-Land so wenig Geld für Hochschulbildung aus wie Deutschland. Profit scheffelnde Unternehmen werden kaum oder gar nicht besteuert. Hamburg hat bundesweit die höchste Millionärsdichte. Der gesellschaftlich vorhandene Reichtum steht in einem krassen Missverhältnis zu den aktuellen sozial- und kulturpolitischen Armutszeugnissen. Kritische Wissenschaftsinhalte erfordern öffentliche Finanzierung.
Sind Studiengebühren etwas anderes als Umverteilung von unten nach oben?
Besonders pikant finde ich die Tatsache, dass das zur „sozialen Abfederung“ ersonnene Kreditmodell (dessen vertragliche Details meines Wissens nicht einmal Ihnen bekannt sind) dazu führt, dass die ärmsten Studierenden durch die mit dem Kredit verbundenen Zinsen letztlich am meisten zahlen müssen – bis zu doppelt so viel wie die, für deren Familien die Gebühren kein Problem sind.
4. Soziale Gerechtigkeit durch Studiengebühren?
Gebührenbefürworter fragen: Ist es nicht ungerecht, dass auch die wenig verdienende Krankenschwester, die nicht studiert hat, mit ihren Steuern das Studium des reichen Chefarzt-Sohnes bezahlt? Jeder Kindergartenplatz kostet Geld, und das Studium soll kostenlos sein?
Wissenschaft und Hochschulbildung haben einen hohen gesamtgesellschaftlichen Wert, der entsprechend auch gesamtgesellschaftlich – d.h. durch Steuern – zu finanzieren ist. Für etwa 99,99% der Menschen in diesem Land ist es faktisch unmöglich, keinen Nutzen aus der Existenz von Hochschulen und Wissenschaften zu ziehen.
Ferner ergibt sich ein direkter Nutzen für Unternehmen, die Absolventen anstellen und Forschungsergebnisse verwerten. Diese Unternehmen wären nach meinem Dafürhalten entsprechend ihrer Profite am Steueraufkommen zu beteiligen.
Drittens tragen bei einer progressiven Einkommenssteuer alle überdurchschnittlich gut verdienenden Hochschulabsolventen auch überdurchschnittlich zur Finanzierung der Bildungsinstitutionen bei.
Die Krankenschwester muss häufig als Argument für Studiengebühren herhalten. Dabei würden im Zweifel ihre Kinder, und nicht die des Besserverdienenden durch Gebühren vom Studieren abgehalten.
Auch das habe ich schon gehört: Weil ohnehin hauptsächlich Kinder wohlhabender Eltern studieren, könne man auch getrost Studiengebühren erheben. Ich nenne das Zynismus, wenn soziale Ungleichheit und ein extrem selektives Bildungssystem zur Begründung für weitere soziale Selektion herhalten soll. Zum Vergleich mit Kita-Gebühren und Schul- bzw. Büchergeld kann ich nur sagen: Ich bin durchaus dafür, auch diese Bildungs- und Gleichheitshemmnisse abzuschaffen.
Glauben Sie an die Herstellung sozialer Gerechtigkeit durch Studiengebühren?
Was ist mit dem Weihnachtsmann?
5. Weniger Selektion durch mehr Selektion?
Wenn Senator Dräger einen besonderes guten Tag hat, kann er Studiengebühren auch als Mittel gegen die soziale Selektion im Bildungswesen verkaufen. Das geht dann etwa so: In Deutschland ist „die Chance, ein Hochschulstudium aufzunehmen, für Kinder der Herkunftsgruppe „hoch“ mehr als sieben Mal größer als für Kinder, deren Vater der Herkunftsgruppe „niedrig“ angehört.“ (17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks)
Bildungschancen werden vererbt. In Deutschland sind die staatlichen Hochschulen gebührenfrei. In manchen Ländern, die Studiengebühren erheben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder von Nichtakademikern an einer Hochschule landen, höher als in Deutschland. Daraus wird gefolgert, man könne der sozialen Selektion mit Studiengebühren entgegenwirken, oder ihre Wirkung sei zumindest neutral.
Kommt das auch Ihnen komisch vor?
Der Trick besteht darin, alle anderen Faktoren (wie z.B. das Schulsystem) auszublenden und Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Selbstverständlich sind Studiengebühren nicht das einzige Problem für gleiche Bildungschancen. Es ist allerdings reichlich abenteuerlich, ihre ausgrenzende Wirkung zu leugnen. „Rund ein Viertel der Studierenden bestreitet den Lebensunterhalt mit Einnahmen, die geringer sind als der Bedarfssatz, der von der Rechtsprechung oder nach dem BAföG als angemessen angesehen wird.“ – Auch das ist in der 17. Sozialerhebung des DSW zu lesen.
Welche Wirkung hätte in diesem Zusammenhang die Einführung von Studiengebühren?
6. “Der Akademische Senat der Universität Hamburg bekräftigt angesichts des Senats-Entwurfs für ein `Studienfinanzierungsgesetz` seine mehrfach beschlossene Ablehnung von Studiengebühren. Der Akademische Senat fordert daher den politischen Senat auf, den Entwurf zurückzunehmen, die Privatisierung von Bildungskosten zu beenden und den Weg einer bedarfsgerechten, öffentlichen Finanzierung der Bildungseinrichtungen und des Lernens einzuschlagen.”
Der Beschluss ist wörtlich zu nehmen.
7. Mut zur Menschlichkeit
Studiengebühren sind falsch, Ihre Zustimmung wäre fatal. Gebührenfreiheit, soziale Absicherung, öffentliche Hochschulfinanzierung und kritische Wissenschaft sind richtig. Wenn Sie gegen das „Studienfinanzierungsgesetz“ stimmen, wird das sicher einen Teil Ihrer Fraktionskollegen gegen Sie aufbringen. Es erfordert einigen Charakter, sich so grundlegend mit seiner Partei anzulegen. Andererseits frage ich Sie: Welchen Wert hat es, sich mit einer Partei in Übereinstimmung zu befinden, die eine so unmenschliche Politik vertritt?
Ich wünsche Ihnen den Mut zur Menschlichkeit und grüße Sie erwartungsvoll!
Christian Sauerbeck
Sehr geehrter Herr Sauerbeck,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Studiengebühren.
Vorab möchte ich klarstellen, daß die politischen Positionen, die von den Fachsprechern unserer Fraktion vertreten werden, nicht – wie es Ihr einleitender Absatz vermuten ließe – deren alleinige Meinung bzw. eine anonyme "offizielle Parteiposition" widerspiegeln, sondern das Ergebnis einer intensiven fraktionsinternen Meinungsbildung darstellen. Insbesondere als Mitglied des Wissenschaftsausschusses und der mit Wissenschaftspolitik befaßten Gremien der CDU war ich an deren Zustandekommen beteiligt. Ich stehe voll und ganz hinter den gefundenen Positionen. Deshalb werde ich heute in der Bürgerschaft in zweiter Lesung auch für das Studienfinanzierungsgesetz stimmen.
Dennoch möchte ich Ihnen gerne einige persönliche Antworten zu diesem Thema geben:
1. Die von Ihnen kritisch beurteilte Auswirkung, daß die Mehrheit der Studierenden sich künftig für ein zielgerichtetes und zügiges Studium in denjenigen Studiengängen entscheiden dürfte, die eine "zumindest halbwegs sichere Berufsaussicht versprechen" (d.h. die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden), halte ich keineswegs für einen Fehler, sondern für eine wünschenswerte Konsequenz. Angesichts von rund 5 Millionen Arbeitslosen – worunter sich auch ein erheblicher Anteil an Akademikern findet – halte ich es für richtig und sinnvoll, wenn die Mehrheit der Studierenden sich zu Beginn ihres Studiums Gedanken über ihre späteren Berufschancen macht. Den "gesamtgesellschaftlichen Wert" eines Akademikers, der nach Abschluß seines Studiums den Rest seines Lebens von Hartz IV lebt, weil auf dem Arbeitsmarkt nirgendwo bedarf für seine Qualifikation besteht, halte ich – vorsichtig ausgedrückt – für relativ begrenzt. Wer aber in einem bestimmten Wissenschaftsgebiet, sei es auch "exotisch", nicht nur einen Beruf, sondern eine Berufung sieht, der wird sich auch durch Studiengebühren nicht von seinem Weg abbringen lassen.
2. Ich selbst habe einige Jahre in den USA gelebt. Wie Ihnen zweifelsohne bekannt ist, verlangen sämtliche dortigen Universitäten (wie die Universitäten in vielen unserer europäischen Nachbarländer auch) Studiengebühren, die ein Vielfaches dessen betragen, was nach dem Studienfinanzierungsgesetz für Hamburg vorgesehen ist. Dennoch sind viele der hier von Ihnen für unsere Wissenschaft prognostizierten negativen Auswirkungen dort weniger stark ausgeprägt, als gegenwärtig hier bei uns. Hierzu einige Beispiele:
- Während an immer mehr unserer öffentlich finanzierten Universitäten immer mehr geisteswissenschaftliche Studiengänge eingestellt werden, würde es sich keine auch nur halbwegs namhafte, durch Studiengebühren finanzierte Universität in den USA leisten, auf geisteswissenschaftliche Studiengänge zu verzichten.
- Die soziale Selektion in Bezug auf das Hochschulstudium ist in den USA (wie auch in den übrigen Ländern mit Studiengebühren) geringer als bei uns. Natürlich spielen dabei eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle, der Vergleich belegt aber, daß Studiengebühren nicht zu einer erhöhten sozialen Selektion führen.
- Die amerikanischen Universitäten sind heutzutage auf fast allen Wissenschaftsgebieten führend. Ein Blick auf die Liste der Nobelpreisträger der letzten Jahrzehnte zeigt, daß der weit überwiegende Teil dieser herausragenden Wissenschaftler an amerikanischen (oder – gleichfalls durch Studiengebühren finanzierten – englischen) Hochschulen forscht und lehrt. Dieses Niveau ist nur mit einer entsprechenden finanziellen Ausstattung der Hochschulen zu erreichen.
- Auch die von Ihnen angemahnte gesellschaftskritische Forschung ist in den USA stärker ausgeprägt, als bei uns. Bezeichnenderweise stützt sich die Hamburger GAL bei der Entwicklung ihres Konzeptes einer "kreativen Stadt" auf die Erkenntnisse eines amerikanischen Wissenschaftlers.
3. Ihre Forderung, Unternehmen durch höhere Besteuerung zur Finanzierung der Hochschulen heranzuziehen ist unsinnig und in sich unlogisch. Wir benötigen in unserem Lande nicht nur gut ausgestattete Hochschulen, die gut ausgebildete Akademiker heranbilden, sondern auch hervorragende und international konkurrenzfähige Unternehmen, die diesen Akademikern anschließend als Arbeitgeber eine berufliche Perspektive bieten (und die von Ihnen selbst unterstellten überdurchschnittlich guten Einkommen bezahlen). Ansonsten würden unsere Universitäten nur noch für das Ausland ausbilden.
Das Studienfinanzierungsgesetz in seiner heute in zweiter Lesung zur Abstimmung stehenden Form ist zukunftsorientiert und sozial äußerst ausgewogen. Es sichert eine vernünftige finanzielle Ausstattung unserer Hochschulen, ohne andererseits deren Studierende über Gebühr zu belasten. Den sozial Schwächeren bietet es Finanzierungsmöglichkeiten, die sich in zu bewältigenden Grenzen bewegen. Darüber hinaus bietet es eine Reihe von Befreiungsmöglichkeiten, u. a. bei herausragenden Leistungen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Andreas C. Wankum, MdHB