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Frage von Silvan H. •

Frage an Andrea Wicklein von Silvan H. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Wicklein,

obwohl ich weiß, dass Ihre Fachkompetenzen in anderen Gebieten liegen, wende ich mich mit meiner Frage auch an Sie, da Ihre (vielleicht eher zuständige) Abgeordneten-Kollegin Andrea Voßhoff aus Brandenburg bisher nicht geantwortet hat. Zudem kommen Sie aus meinem Wahlkreis Potsdam. Natürlich freue ich mich über eine vielleicht nicht ganz fachkompetente Antwort auch deutlich mehr als über einen Verweis an "zuständige Stellen" oder gar keine Antwort.

Meine Frage bezieht sich auf die geplante Vorratsdatenspeicherung. Dem wohl noch recht frühen "Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/46/EG" vom 8.November 2006 entnehme ich, dass

"Anbieter von Mobilfunk- Telefondiensten (...) die Bezeichnung der durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzten Funkzellen"

künftig aufgrund gesetzlicher Verpflichtung für mindestens 6 Monate
speichern und staatlichen Behörden bei Bedarf zugänglich machen sollen.

Praktisch würde das bedeuten, dass bei meinem Telefonverhalten nahezu lückenlos zurück verfolgt werden kann, *wann* ich mich im Laufe des letzten halben Jahres *wo* aufgehalten habe. Das gilt für mich genauso wie für alle anderen Menschen in diesem Land, die ein Handy benutzen.

Meine Fragen dazu betreffen drei verschiedene Ebenen:
* Halten Sie rational ein solches Verhalten des Staates gegenüber seinen Bürgern für angemessen?
* Glauben Sie, dass eine solche Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar ist?
* Könnten Sie die Zustimmung für ein solches Gesetz mit Ihrem eigenen Gewissen vereinbaren?

Ich freue mich auf Ihre Antwort,

Mit freundlichen Grüßen - Silvan Heintze

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Heinze,

vielen Dank für Ihre Frage zur Problematik der Vorratsdatenspeicherung.

Mir ist durchaus bekannt und auch bewußt, dass die Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung als Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Grundrechte wie das Fernmeldegeheimnis äußerst umstritten ist. Es handelt sich bei dieser Richtlinie um einen Vorschlag, die der Umsetzung der geltenden EU-Richtlinie dient.

Die Frist für die Umsetzung der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung läuft gemäß Artikel 15 Absatz 1 der Richtlinie am 15. September 2007 ab, darf allerdings für die Dienste Internetzugang, Internet-Telefonie und E-Mail bis längstens zum 15. März 2009 aufgeschoben werden. Hierzu ist eine besondere Erklärung der Mitgliedsstaaten notwendig. Eine solche Erklärung hat auch die Bundesrepublik Deutschland abgegeben.

Das Bundesjustizministerium hat nunmehr einen Gesetzenwurf vorgelegt, der bis Mitte 2007 im Bundestag verabschiedet werden soll. Dessen Inhalt habe ich Ihnen unten stehend beigefügt. Ich werde diesen Gesetzgebungsvorgang kritisch begleiten und meine Zustimmung zu diesem Gesetz von gegebenenfalls im parlamentarischen Verfahren eingebrachten Änderungsvorschlägen abhängig machen.

Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein gutes und gesundes Jahr 2007.

Mit freundlichen Grüßen
Andrea Wicklein

Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung

Folgenden Daten sollen sechs Monate lang auf Vorrat gespeichert werden:

1. Anbieter von Telefondiensten einschließlich Mobilfunk- und
Internet-Telefondiensten speichern

1. die Rufnummer des anrufenden und des angerufenen Anschlusses
sowie die Rufnummern, an die der Anruf im Falle von Um- oder
Weiterschaltungen geleitet wird
2. den Beginn und das Ende der Verbindung nach Datum und
Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone
3. in Fällen, in denen im Rahmen des Telefondienstes
unterschiedliche Übermittlungsdienste genutzt werden können,
Angaben zu dem jeweils genutzten Dienst
4. im Fall mobiler Telefondienste ferner:
1. die Kennung der Mobilfunkkarte des anrufenden und des
angerufenen Anschlusses
2. die Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes
3. die Bezeichnung der durch den anrufenden und den
angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung
genutzten Funkzellen
4. im Fall im voraus bezahlter Dienste auch die erste
Aktivierung des Dienstes nach Datum, Uhrzeit und
Bezeichnung der Funkzelle
5. im Fall von Internet-Telefondiensten auch die
Internetprotokoll-Adresse des anrufenden und des angerufenen
Anschlusses

2. Anbieter von Diensten der elektronischen Post (E-Mail) speichern

1. die E-Mail-Adresse und die Benutzerkennung des Absenders
sowie die E-Mail-Adresse des Empfängers der übermittelten
Nachricht
2. die Internetprotokoll-Adresse des Absenders der
übermittelten Nachricht
3. den Beginn und das Ende der Nutzung des Dienstes unter der
zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse nach Datum und
Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone

3. Anbieter von Internetzugangsdiensten speichern

1. die dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesene
Internetprotokoll-Adresse
2. eine eindeutige Kennung des Anschlusses, über den die
Internetnutzung erfolgt
3. den Beginn und das Ende der Internetnutzung unter der
zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse nach Datum und
Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone

4. Anbieter von Mobilfunknetzen für die Öffentlichkeit speichern zu
den Bezeichnungen der Funkzellen Daten, aus denen sich die
geografische Lage der jeweiligen Funkzelle sowie die
Hauptstrahlrichtung der Funkantenne ergibt

Der Begründung des Gesetzentwurfs zufolge sollen auch Anonymisierungsdienste zur Vorratsspeicherung verpflichtet sein. Auch Privatpersonen sind zur Speicherung verpflichtet, etwa wenn sie kostenlos einen öffentlichen WLAN-Zugang oder einen E-Mail-Dienst anbieten. Dagegen sind Anbieter von Webseiten, Foren und Chat-Diensten nicht betroffen. Anbieter von Internetzugang, Internet-Telefonie und E-Mail sollen bis zum 15. März 2009 auf Vorrat speichern dürfen, aber nicht müssen.

Genutzt werden sollen auf Vorrat gespeicherte Verbindungsdaten nur für die Verfolgung von Straftaten, für Zwecke der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung und zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes der Datenverarbeitungsanlage (§ 110b TKG-E). Zugriff sollen danach Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte sowie ausländische Staaten im Rahmen von Rechtshilfeübereinkommen erhalten. Geheimdienste und private Rechteinhaber sollen dagegen keinen Zugriff auf vorratsgespeicherte Verbindungsdaten erhalten. Auf dem Gebiet der Strafverfolgung ist der Zugriff zur Verfolgung "erheblicher oder mittels Telekommunikation begangener Straftaten" zulässig (§ 100g Strafprozessordnung). Darunter fallen etwa in Internet-Tauschbörsen begangene Urheberrechtsverletzungen.

Bestehen bleiben soll die Identifizierungspflicht für Nutzer rufnummernbasierter Telekommunikationsdienste (§ 111 TKG). Darunter fallen Telefon, Handy und Internet-Telefonie. Der Gesetzentwurf zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung sieht vor, dass künftig auch E-Mail-Anbieter ihre Kunden zu identifizieren haben. Anonyme E-Mail-Dienste sollen also verboten werden. Die Anbieter der betroffenen Dienste haben vor der Freischaltung des Nutzers eine Reihe von Daten abzufragen und in eine Datenbank einzuspeichern:

1. vergebene Rufnummer bzw. E-Mailadresse
2. Name und Anschrift des Inhabers
3. Datum des Vertragsbeginns
4. Geburtsdatum des Inhabers
5. bei Festnetzanschlüssen die Anschrift des Anschlusses

Die Anbieter sind berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Richtigkeit der Angaben des Kunden zu überprüfen, etwa anhand eines Personalausweises. Gelöscht werden die Daten ein bis zwei Jahre nach Vertragsende (§ 95 Abs. 3 TKG). Zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben haben eine Vielzahl von Stellen Zugriff auf diese Bestandsdaten (§§ 112, 113 TKG): Gerichte, Strafverfolgungsbehörden, Polizeivollzugsbehörden des Bundes und der Länder für Zwecke der Gefahrenabwehr, Zollkriminalamt und Zollfahndungsämter für Zwecke eines Strafverfahrens, Zollkriminalamt zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach § 39 des Außenwirtschaftsgesetzes, Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, Militärischer Abschirmdienst, Bundesnachrichtendienst, Notrufabfragestellen, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Zollverwaltung zur Schwarzarbeitsbekämpfung.

Über diese Kundendatenbank hinaus sind Anbieter von Telekommunikationsdiensten verpflichtet, individuelle Auskünfte über Bestandsdaten zu erteilen (§ 113 TKG). Diese Regelung erlaubt es beispielsweise, bei einem Internetzugangsanbieter zu erfragen, welchem Kunden eine dynamisch vergebene IP-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war. Abgefragt werden können auch Passwörter, PINs und PUKs. Auskunft ist zu erteilen für die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes.

Der deutsche Gesetzesentwurf zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes (BT-Drs. 16/2581) könnte die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung praktisch vorwegnehmen. Im derzeitigen § 96 II TKG heißt es: "Die gespeicherten Verkehrsdaten dürfen über das Ende der Verbindung hinaus nur verwendet werden, soweit sie zum Aufbau weiterer Verbindungen oder für die in den §§ 97, 99, 100 und 101 genannten Zwecke erforderlich sind. Im Übrigen sind Verkehrsdaten vom Diensteanbieter nach Beendigung der Verbindung unverzüglich zu löschen." Dem Änderungsgesetzentwurf zufolge soll die Speicherung von Verkehrsdaten auch "für die durch andere gesetzliche Vorschriften begründeten Zwecke" erlaubt werden (Art. 2 Nummer 18 a).