Frage an Andrea Wicklein von Jens L. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Wicklein,
der Deutsche Bundestag klärt uns auf seiner Homepage darüber auf, dass das Haushaltsrecht zu den Grundzügen einer Demokratie gehört.
"Parlament und Haushalt – das gehört heute untrennbar zusammen. Staatliches Handeln muss legitimiert sein, und deshalb gilt dies in ganz besonderer Weise für die Verwendung der finanziellen Mittel. Aber das war nicht immer so. Nicht von ungefähr spiegeln sich in der wechselhaften Geschichte um das Budgetrecht Rückschläge und Erfolge des demokratischen Parlamentarismus wider."
Auch der renommierte Börsenexperte Dirk Müller hat eindringlichst davor gewarnt, dieses Banken-Ermächtigungsgesetz zu unterschreiben, auch weil sich die Bedingungen seit dem letzten Eu-Gipfel verändert haben.
Nun können angeschlagene Banken eine Direkthilfe von dem Rettungsfonds in Anspruch nehmen. Die können sich jetzt bedienen. Deutschland wird diese Last nicht mehr bewältigen können und von den Ratingagenturen abgestraft werden.
Warum haben Sie mit "Ja" gestimmt?
Sehr geehrter Herr Lehmann,
Sie fragen mich, warum ich mit "Ja" für den ESM und den Fiskalpakt bei der Abstimmung am 29. Juni im Deutschen Bundestag gestimmt habe.
Die seit 2010 geführten Diskussionen zeigen: In dieser schwierigen Lage gibt es keine einfachen Antworten.
Grundsätzlich hat der Bundestag das so genannte Budgetrecht. Das heißt: Er entscheidet darüber, wie viel Geld die Bundesregierung wofür ausgegeben darf. Das ist auch beim deutschen Anteil am ESM so. Sollte also eine Erhöhung des Stammkapitals erwogen werden, muss der Bundestag dazu ein Gesetz verabschieden. Dasselbe gilt für ESM-Regelungen, nach denen Finanzhilfen gewährt werden. Wenn sie geändert werden sollen, muss der Bundestag entscheiden.
Das Bundesverfassungsgericht hat vor kurzem entschieden, dass der Bundestag früher und umfassender zu den Plänen der Bundesregierung unterrichtet werden muss als es in der Vergangenheit geschehen ist.
Die Rettungsschirme sind meiner Meinung nach Ausdruck der innereuropäischen Solidarität. Diese Solidarität ist aber selbstredend keine Einbahnstraße. Die betroffenen Staaten müssen ihrer Verantwortung gerecht werden und Schulden abbauen. Klare und strikte Bedingungen für Hilfsmaßnahmen, die Haushalte zu konsolidieren, sind unerlässlich. Aber ebenso wichtig ist es Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Einseitige Ausgabenkürzungen führen nicht zur wirtschaftlichen Erholung, sondern verschärfen zusätzlich die soziale Schieflage in vielen Ländern.
Deshalb war und ist es mein Standpunkt, dass die notwendige Konsolidierung ohne wirtschaftliche Belebung nicht gelingen kann. Die SPD hat sich in den Verhandlungen mit der Bundesregierung erfolgreich für Investitionen für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung, ein Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit und die Besteuerung von Finanzmärkten eingesetzt. Die SPD lehnt es nach wie vor ab, dass in erster Linie die Steuerzahler und nicht die Krisenverursacher die Zeche zahlen sollen. Es ist der Erfolg der SPD, dass die Bundesregierung nun gemeinsam mit 9 weiteren Ländern auf europäischer Ebene für eine Finanzmarktsteuer einführt.
Der Fiskalpakt erfüllt die Forderungen der harten Auflagen und Bedingungen hin zu einer soliden Haushaltspolitik und stellt damit den nötigen Kontroll- und Sanktionsmechanismus zur Verfügung. Der ESM kann notleidenden Staaten Darlehen gewähren oder deren Staatsanleihen aufkaufen. Hierfür stehen dem Rettungsschirm Garantien und Eigenkapital zur Verfügung. Wichtig ist: Ohne die Einhaltung des Fiskalpakts wird es keine Hilfen aus dem ESM mehr geben.
Deutschland ist aber nicht nur der größte Nettozahler, sondern auch der größte Profiteur der EU. Um ein paar Zahlen zu nennen: 40 Prozent der deutschen Exporte gehen in die Eurozone, 60 Prozent sogar in die EU, die deutsche Wirtschaft spart durch den stabilen Euro jährlich 10 Milliarden Euro, da Kurssicherungsgeschäfte weggefallen sind. Seit 2002 sind in der Eurozone 16 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden. Wie die aktuellen Wirtschaftsprognosen zeigen, schlägt die Eurokrise zunehmend auf die deutsche Wirtschaft durch.
Wir müssen begreifen, dass "Europa" nicht länger "Außenpolitik" bedeutet, sondern inzwischen viele - auch innenpolitische - Themen berührt. Ich glaube daran, dass sich der Einsatz für das Gelingen des europäischen Projektes, einer Staatengemeinschaft auf den Säulen von Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Presse- und Meinungsfreiheit, unbedingt lohnt und im ureigensten deutschen Interesse liegt.
Europa als eine starke Region, in der Frieden zu den Alltagserfahrungen der Menschen gehört und Wohlstand sowie soziale Standards die Ziele eines gemeinsamen Handelns sind, ist meiner festen Überzeugung nach ohne Alternative.
Ausgehend von diesen Vereinbarungen habe ich dem Fiskalpakt und dem ESM zugestimmt.
Mit freundlichen Grüßen
Andrea Wicklein