Frage an Andrea Wicklein von Renate u. Werner S. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Wicklein,
die augenblickliche katastrophale Situation bei der Berliner S-Bahn macht an einem erschreckenden Beispiel überaus deutlich, welche enorme Verschlechterungen für die Bürger und letztlich für die gesamte Gesellschaft eintreten, wenn die Privatisierung kommunalen/staatlichen Eigentums und das Streben, über den Gang zur Börse zum global player zu werden, endgültlg und für alle Zeit die bestimmenden Motive der deutschen Wirtschaftspolitik werden sollten. Daraus ergibt sich unsere Frage an Sie als Diplomökonomin: Haben sie als Bundestagsabgeordnete der Privatisierung von Post, Telekom und Bahn zugestimmt? Wenn ja, sind Sie nicht inzwischen zu der Auffassung gelangt, daß alle Elemente der Daseinsvorsorge gesamtgesellschaftlich, im wohlverstandenen Interesse aller Bürger und nicht unter dem Gesichtspunkt des Maximalprofits, geregelt werden müßten?
Mit freundlichen Grüßen
R. u. W. S.
Sehr geehrte Frau Renate und Herr Werner Stang,
vielen Dank Ihre E-Mail. Ich gebe Ihnen Recht: Die Wirtschaft sollte den Menschen dienen und nicht umgekehrt. Wer in den vergangenen Jahren nur auf kurzfristige Gewinne und Renditen geschaut hat, wurde spätestens jetzt eines Besseren belehrt. Das betrifft Unternehmen genauso wie Banken und viele Anleger.
Wir stehen – gerade auch jetzt vor den Bundestagswahlen – vor einer zentralen Entscheidung: Wollen wir so weiter machen und so tun, als ob die Wirtschafts- und Finanzkrise nur ein Betriebsunfall war? Oder ziehen wir – wie es die SPD will und auch im Regierungsprogramm konkret vorschlägt – die richtigen Schlussfolgerungen?
Das marktradikale Zeitalter ist gescheitert und wir befinden uns in einer Zeitenwende. Mir als SPD-Wirtschaftspolitikerin geht es darum, dass wir die Idee der Sozialen Marktwirtschaft erhalten und erneuern, dass die für die Krise Verantwortlichen und die Vermögenden an den Lasten der Krise beteiligt werden, dass die Unternehmen sich am langfristigen Wachstum und nicht an kurzfristigen Renditen orientieren. Dazu brauchen die Märkte neue Regeln.
Denn die Leidtragenden einer verfehlten Unternehmenspolitik sind zuallererst die Beschäftigten, die ihre Arbeit verlieren und letztlich auch die Steuerzahler. Das dürfen wir nicht länger zulassen! Deshalb ist die SPD als Partei von Solidarität und Gerechtigkeit der Überzeugung, dass die sozialen Sicherungssysteme mit einer Bürgerversicherung auf breite Schultern gestellt werden müssen. Wer mehr hat, soll mehr tragen, als diejenigen, die weniger haben. Wir stellen uns damit klar gegen den Privatisierungswahn der Risiken wie Alter, Krankheit, Pflege und Arbeitslosigkeit.
Der Privatisierung von Post und Telekom habe ich nicht zugestimmt, da ich zu diesem Zeitpunkt nicht Mitglied des Deutschen Bundestages war. Bei der Entscheidung zur Teilprivatisierung der Bahn habe ich nach langen und kontroversen Diskussionen zwar zugestimmt, bin aber sehr froh, dass wir nun auch angesichts der Folgen der Krise klarstellen, dass es mit uns keine Kapitalprivatisierung geben wird. Dieses Umdenken ist nach meiner Überzeugung die richtige Antwort und sichert für die Bahnkundinnen und Bahnkunden ein qualitativ hochwertiges, bezahlbares und sicheres Leistungsangebot im Schienenverkehr. Der geplante Börsengang der Bahn war sicherlich auch eine Ursache dafür, dass viel gespart wurde. Bei der S-Bahn war es aber eindeutig ein Fehlverhalten der Entscheidungsträger. Deshalb wird in Zukunft eine noch stärkere Kontrolle notwendig sein.
Entscheidend wird in Zukunft sein, weiteres Wachstum im Schienenverkehr zu ermöglichen. Nur ein attraktives Bahnangebot bringt möglichst viele Menschen dazu, auf die Bahn umzusteigen und überzeugt Unternehmen, ihre Güter verstärkt auf der Schiene zu transportieren. Dafür setze ich mich weiter ein.
Mit freundlichen Grüßen
Andrea Wicklein