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Frage von Stefan B. •

Frage an Andrea Nahles von Stefan B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Nahles,

ich habe drei Fragen zum deutschen Wahlrecht:

1.
Halten Sie es für demokratisch, wenn Parteitage ihre Kandidaten in Hochburgwahlkreisen aufstellen bzw. ihnen "sichere" Listenplätze zuweisen, so daß ihr Einzug in den Bundestag schon Monate vor der Wahl faktisch feststeht, die Wahlentscheidung des Bürgers somit zu einem reinen Abnicken von Parteitagsentscheidungen verkommt?

Für Listenkandidaten kann ja nur "en bloc" abgestimmt werden, da es sich ja um starre Listen handelt. Könnte man nicht Elemente des Kommunalwahlrechts auf das Bundestagswahlrecht übertragen (Stichworte: flexible Listen, kumulieren), um dem eigentlichen Wahlakt des Bürgers eine größere Bedeutung zu geben?

2.
Steht das dt. Wahlreicht nicht dem freiem Abgeordnetenmandat entgegen? Die Kandidaten werden vor der Wahl durch Parteitagsbeschlüsse festgelegt. Besteht nicht Gefahr, daß ein Abgeordneter, wenn seine Wiederaufstellung von der Gnade eines Parteitages abhängig ist, den Mut verliert, für die Partei "unbequeme" Gewissensentscheidungen zu treffen?

3.
Begünstigt das dt. Wahlrecht nicht eine Art "negative Selektion"? Die Schlüsselentscheidungen dafür, ob jemand ins Parlament kommt, treffen die Parteien. Deswegen ist es für den Abgeordneten auch so wichtig, innerhalb der Partei Einfluß zu haben und die Fäden so zu ziehen, daß er aufgestellt wird - und zwar auf einem der aussichtsreichen Plätze oder in einem Hochburgwahlkreis. Das setzt aber nach aller Erfahrung voraus, daß er in der Partei eine lange "Ochsentour" absolviert hat - und die können eben vor allem Politiker aus bestimmten Berufsgruppen (Lehrer, Rechtsanwälte usw.) bewältigen, während diejenigen, die wir eigentlich im Parlament bräuchten, hierfür keine Zeit haben.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und verbleibe mit herzlichen Grüßen,

S. Bormes

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Bormes,

aus meiner Erfahrung heraus, wird jeder die Frage, "wen wir eigentlich im Parlament bräuchten?", unterschiedlich beantworten. Die in Ihren Fragen angesprochenen Probleme sind auch nicht allgemeingültig und m. E. zu pauschal. Die politische Landschaft in Deutschland ist sehr vielfältig. Es existieren die verschiedensten Interessensgruppen wie NGOs, Parteien, Medien und Verbände, die alle zur Willensbildung durch Interessenvertretung beitragen. Und natürlich nehmen dabei die Parteien, schon laut Grundgesetz, eine besondere Rolle ein. Es steht aber jedem Bürger und jeder Bürgerin frei, sich einer Partei anzuschließen und so Einfluss auf die Kandidat_innen und Parteitagsentscheidungen auszuüben. Und nicht immer steht Monate vorher fest, ob man ins Parlament einzieht. Ich selbst habe bereits die Erfahrung gemacht, nicht gewählt worden zu sein.

Die Kandidat_innen, die für Wahlen von den Parteien aufgestellt werden, sind dabei meist Parteimitglieder, die auch durch ihr Engagement, sie nennen das "Ochsentour", gezeigt haben, dass sie gute Vertreter_innen der Partei und ihrer Interessen in den jeweiligen Parlamenten sein können. Dabei sind Abgeordnete im Bundestag durch Art.38 Abs.1 GG in ihren Entscheidungsfindungen frei und nur ihrem Gewissen unterworfen. Jedoch stimmen sich die Fraktionen natürlich auch vor Entscheidungen ab. Das halte ich nicht für falsch und halte mich auch entsprechend zumeist an die vorher in der Partei abgestimmten Entscheidungen. Ich war ja schließlich daran beteiligt und habe mitdiskutiert. Aber nicht immer kann man sich mit seiner Meinung durchsetzen. Auch dies gehört dazu.

Ob bei Wahlen die starre Liste von Vorteil ist, oder andere Wahlverfahren und Stimmenverrechnungen, ist eine Geschmacksfrage. Sie werden in den allg. anerkannten Demokratien nicht zweimal das gleiche Wahlsystem finden.

Beste Grüße
Andrea Nahles