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Frage von Tobias M. •

Frage an Andrea Nahles von Tobias M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrte Frau Nahles,

als Leiharbeiter interessiert es mich natürlich, welche Maßnahmen die Politik vorsieht, um unsere Probleme zu lösen. In den letzten Jahren haben immer mehr Firmen die Auftragsflut mit immer mehr Leiharbeitern bewältigt. Ich selbst gehörte früher noch einer Stammbelegschaft an, und nach einer Phase der Arbeitslosigkeit bin ich als Leiharbeiter in die selbe Firma zurückgekehrt.

Ich habe gelesen, dass früher die Leiharbeit noch gesetztlich beschränkt gewesen ist. Durch die Reformen am Arbeitsmarkt hat es Änderungen gegeben, von Ihrer Partei, der SPD. Nun sehe ich, was Sie vorschlagen, um die Situation der Leiharbeiter zu verbessern.

Einen Mindestlohn soll es nach Ihrer Meinung geben. Aber der hilft doch den Leuten nicht, die jetzt entlassen werden, weil sie Leiharbeiter sind und der Kündigunsschutz wirkungslos ist. Der überwindet doch nicht die Spaltung der Belegschaft in eine 1. Klasse und in eine 2. Klasse. Leiharbeiter haben einfach weniger Rechte, und mit dem Mindestlohn hat das überhaupt nichts zu tun. Auch Leiharbeitern, die jetzt mehr als den Mindestlohn erhalten, geht es schlecht, weil die Firmen sie hin und herschieben können und frei über sie verfügen.

Ich kann schwerlich den Vergleich von uns mit "moderner Sklaverei" abtun. Warum machen sie nicht die Regelung wie in Frankreich, dass Leiharbeiter genauso viel bezahlt bekommen wie die Stammbelegschaft. Dort wird sogar mehr gezahlt, weil Leiharbeiter viel unsicherer leben müssen. Und dort müssen die Leiharbeiter nach einer gewissen Zeit auch fest übernommen werden, hier ist das alles freiwillig und wird meistens unterlaufen.

Nun habe ich nicht gehört, dass in Frankreich die Arbeitslosigkeit höher wäre als bei uns. Müssten sie nicht wenigstens eingestehen, dass ein Teil von Hartz einfach falsch war? Die Firmen stellen die Leute auch ein, wenn sie mehr bezahlen müssen, sehen Sie sich mal die Gewinne an!

Mit Freundlichen Grüßen
Tobias Mannhausen
67659 Kaiserslautern

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Mannhausen,

das Problem der Leiharbeit ist mir durchaus bewusst und es ist eines, mit dem ich mich fast täglich beschäftige. Leiharbeit ist in Deutschland seit 1972 im Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG)gesetzlich geregelt. Mit dem ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz I) wurde das AÜG grundlegend verändert. Ziel war, Leiharbeit stärker als bisher als Instrument für die Reintegration Arbeitsloser in den ersten Arbeitsmarkt zu nutzen und gleichzeitig entstandenen Wildwuchs in dieser Branche zu beseitigen. Einerseits wurde festgeschrieben, dass Leiharbeitnehmer während der Dauer der Überlassung hinsichtlich wesentlicher Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen (besonders Arbeitsentgelt und Arbeitszeit) wie vergleichbare Arbeitnehmer des Entleihbetriebes behandelt werden müssen.

Die Zahl der Leiharbeitsverhältnisse ist in den letzten Jahren leider stark angestiegen. Gab es Ende 2003 rund 330.000 Leiharbeitnehmer, so waren es zum Stichtag 31.12.2006 rund 630.000. Nach Angaben des IAB wächst Leiharbeit rasant und vor allem in den Betrieben, in denen sie vorher schon intensiv genutzt wurde. Es gibt derzeit keine empirischen Befunde über das Ausmaß der Leiharbeit in der jüngsten Zeit. Dennoch zeigen viele Hinweise aus wichtigen Wirtschaftsbranchen, dass wir uns mit neuen Problemen im Bereich der Leiharbeit auseinandersetzen müssen, wie Sie sie ja auch in Ihrer Frage ansprechen.

Aber auch wenn es derzeit keine gesicherten empirischen Befunde über den Umfang des Missbrauchs der Leiharbeit gibt, sind dennoch einige Tendenzen erkennbar. Zunehmend gehen Unternehmen dazu über, Stammbelegschaften durch Leiharbeitnehmer zu ersetzen. Wie Sie zu Recht darauf hinweisen, führt dies zu gespaltenen Belegschaften. Die Beispiele aus der Metall- und Elektroindustrie sowie dem Verlagswesen, aber auch im Bereich der Krankenhäuser, zeigen uns, dass Betriebe Leiharbeit zunehmend für die Implementierung einer zweiten Tarifstruktur nutzen. Leiharbeit wird zu Tarifflucht und Lohndumping genutzt.

Leiharbeit kann jedoch ein sinnvolles Instrument sein, wenn die Kernfunktionen beachtet werden. Einerseits soll Leiharbeit dazu dienen, kurzfristige Auftragsspitzen in den Unternehmen zu bewältigen. Andererseits kann Leiharbeit ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument sein, um insbesondere Langzeitarbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir wollen Leiharbeit daher nicht abschaffen. Die Politik und die Tarifvertragsparteien müssen jedoch dort einschreiten, wo Leiharbeit missbräuchlich genutzt wird. Leiharbeit muss vor allem auf die beschriebenen Kernfunktionen begrenzt werden.

Meines Erachtens muss:
. die Leiharbeitsbranche in den Geltungsbereich des Arbeitnehmer- Entsendegesetzes aufgenommen werden. Ziel ist die Allgemeinverbindlicherklärung des existierenden Mindestlohn-Tarifvertrages, der zwischen den Tarifvertragsparteien abgeschlossen wurde
. das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz so geändert werden, dass nach einer von den Tarifpartnern festzulegenden angemessenen Einarbeitungszeit für Leiharbeitnehmer die gleiche Bezahlung und die gleichen Arbeitsbedingungen gelten wie für Stammarbeitskräfte, von dieser Regel soll dann nicht mehr durch Tarifvertrag abgewichen werden können

Darüber hinaus müssen:
. Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung der Arbeitnehmerzahl für die Schwellenwerte mitgezählt werden
. die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in den Entleihbetrieben gestärkt werden, insbesondere bezüglich der Kontrolle eines ordnungsgemäßen Einsatzes der Leiharbeitnehmer/innen und des Umfangs und der Dauer der Leiharbeit im Betrieb

Beste Grüße
Andrea Nahles