Frage an Andrea Nahles von Chris W. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Fr. Nahles,
ich bitte Sie freundlichst um die Beantwortung der folgenden Fragen.
Welche Vorstellungen hat Ihre Partei zur Prävention und Gesundheitsförderung entwickelt und in welcher Rolle sehen Sie die professionelle Pflege?
Wie stellt sich Ihre Partei die Steuerungs- und Lotsenfunktion professioneller Pflege vor?
Wie will Ihre Partei die Personalsituation von Pflegenden und Mitarbeitern im
Gesundheitswesen verbessern?
Wie steht Ihre Partei zu einer möglichen Erweiterung der Begutachtungskriterien zur
Einstufung der Pflegebedürftigkeit um psychosoziale Hilfebedarfe?
Wie steht Ihre Partei zur Hospizarbeit und zu Fragen der finanziellen Absicherung?
Wie steht Ihre Partei zur Verlagerung der bisherigen Pflegeausbildung an Hochschulen,
wie dies in den meisten europäischen Ländern bereits heute üblich ist?
Mit welchen Maßnahmen will Ihre Partei dem absehbaren Pflegepersonalnotstand und der
Unterversorgung der Pflegebedürftigen in Deutschland entgegenwirken?
Wird Ihre Partei weiterhin unqualifizierte und unkontrollierte Pflege zulassen?
Wie steht Ihre Partei zu der gesetzlichen Registrierung und Lizenzierung von Pflegenden?
Wird Ihre Partei die Errichtung von Pflegekammern in Deutschland unterstützen?
Könnten Sie sich vorstellen, eine/einen Bundesbeauftragten für alle Pflegeberufe zu
etablieren?
Vielen Dank für Ihre Antworten.
mit freundlichen Grüßen,
C. Wirthmann
(Auszug aus dem Fragenkatalog des DPR - Wahlprüfsteine)
Hallo, ich beantworte Ihre Fragen gerne, allerdings wird dies einige Tage in Anspruch nehmen. Ich bitte um Verständnis. Andrea Nahles
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Frage
Welche Vorstellungen hat Ihre Partei zur Prävention und Gesundheitsförderung entwickelt und in welcher Rolle sehen Sie die professionelle Pflege?
Antwort
Bezüglich der Prävention sehen wir es kritisch, dass unser Gesundheitssystem in erster Linie auf die Behandlung von akuten Krankheitsepisoden ausgelegt ist. Um vor allem den Herausforderungen im Zusammenhang mit dem demographischen Wandel, der Zunahme chronischer Krankheiten und der steigenden Pflegebedürftigkeit gewachsen zu sein, brauchen wir dringend eine stärkere Orientierung auf Prävention und Gesundheitsförderung. Indem präventive Maßnahmen die Menschen länger gesund erhalten, das Auftreten von chronischen Krankheiten verhindern oder zumindest verzögern bzw. Pflegebedürftigkeit vermeiden oder in ihren Folgen für den Einzelnen abmildern, tragen sie zu mehr Lebensqualität für die Menschen bei und entlasten gleichzeitig die sozialen Sicherungssysteme von vermeidbaren Kosten.
Deshalb haben wir zusammen mit unserem Koalitionspartner das Gesetz zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention auf den Weg gebracht. Mit dem Gesetz werden die gesetzliche Kranken-, Unfall- und die soziale Pflegeversicherung verbindlich zur Zusammenarbeit verpflichtet. Sie sollen jährlich gemeinsam 250 Millionen Euro für Prävention und Gesundheitsförderung aufwenden. Im Vordergrund steht dabei die Verbesserung der Gesundheitschancen für sozial Benachteiligte.
Weil die Länder bei der Prävention eine entscheidende Rolle spielen, wurde das Gesetz gemeinsam mit ihnen erarbeitet und auch mit allen unionsgeführten Ländern abgestimmt. Leider hat die CDU/CSU das Präventionsgesetz mit ihrer Mehrheit im Bundesrat blockiert.
Frage
Wie stellt sich Ihre Partei die Steuerungs- und Lotsenfunktion professioneller Pflege vor?
Antwort
Ein leistungsfähiges Gesundheits- und Pflegewesen ist angewiesen auf qualifiziertes und engagiertes Personal. Gerade bei einer alternden Bevölkerung muss einem künftigen Fachkräftemangel nachhaltig entgegengewirkt werden. Mit der überfälligen Modernisierung der Ausbildung haben wir deshalb die Attraktivität wichtiger Gesundheitsberufe gestärkt. Unser Ziel ist es, neben den medizinisch-wissenschaftlichen Entwicklungen auch den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen an die Gesundheitsversorgung Rechnung zu tragen. Daher darf sich eine Ausbildung im Gesundheitsbereich heute generell nicht mehr auf den kurativen Ansatz beschränken, sondern muss auch präventive, rehabilitative und palliative Aspekte umfassen.
Frage
Wie will Ihre Partei die Personalsituation von Pflegenden und Mitarbeitern im Gesundheitswesen verbessern?
Antwort
Es ist Aufgabe von Bund, Ländern und Einrichtungsträgern dafür Sorge zu tragen, dass sich die Rahmenbedingungen für die Pflegekräfte verbessern. Nur wenn alle Beteiligten daran arbeiten, kann eine Überlastung der Pflegekräfte vermieden werden.
Notwendig ist insbesondere eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen u.a. zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, z.B. durch flexiblere Arbeitszeitmodelle und verbesserte Arbeitsabläufe. Studien haben gezeigt, dass eine umfassende Neugestaltung der Arbeitszeitorganisation organisatorisch und finanziell machbar ist. Der möglicherweise erforderliche Mehrbedarf ist mit den ohnehin vorgesehenen Mitteln für arbeitszeitbedingte Personalkostensteigerungen in der Regel finanzierbar. Neben den Krankenhäusern, Pflegeheimen und Pflegediensten selbst sind aber auch Tarifvertragspartner und die Selbstverwaltung aufgefordert, an der Entwicklung von Arbeitszeitmodellen mitzuwirken, die sich am geltenden Arbeitszeitrecht orientieren. Dies gilt im übrigen auch für Fragen der Tarifstruktur.
Aufgabe aller Beteiligten ist es auch, an der Entwicklung eines praktikablen Personalbemessungsverfahrens zu arbeiten. Die Gesetze lassen der Praxis den dafür notwendigen Raum.
Qualifizierte Pflege ist ohne qualifizierte Pflegekräfte nicht möglich. Deshalb ist in der Heimmindestbauverordnung festgeschrieben, dass die Hälfte des Personals in der Betreuung und Pflege aus Fachkräften bestehen muss. Diese Fachkraftquote von 50 % ist sinnvoll, und wir werden an ihr festhalten. Notwendig ist aber eine Festlegung von Fachpersonalgruppen, die zur Fachkraftquote gezählt werden, sowie die Weiterqualifizierung des Personals.
Frage
Wie steht Ihre Partei zu einer möglichen Erweiterung der Begutachtungskriterien zur Einstufung der Pflegebedürftigkeit um psychosoziale Hilfebedarfe?
Antwort
Zur Reform der Pflegeversicherung gehört mittelfristig die Neufassung des Pflegebegriffes. Dieser neue Pflegebegriff geht von einem ganzheitlichen Menschenbild aus und überwindet die bisher fast ausschließliche Ausrichtung auf körperbezogene Hilfeleistungen.
Es ist deshalb in der Pflege ein ganzheitliches Pflegeverständnis mit einem umfassenden Pflegebegriff zu etablieren, der auf einer umfassenden Feststellung des Hilfe- bzw. des Teilhabebedarfes fußt.
Frage
Wie steht Ihre Partei zur Hospizarbeit und zu Fragen der finanziellen Absicherung?
Antwort
Die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ hat in der laufenden 15. Wahlperiode schwerpunktmäßig unter anderem die Versorgungssituation Schwerstkranker und Sterbender in Deutschland thematisiert mit dem Ziel, Empfehlungen für künftiges gesetzgeberisches und administratives Handeln zu erarbeiten.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat die Arbeit der Enquete-Kommission in einer eigenen Arbeitsgruppe inhaltlich begleitet und maßgeblich an den bisherigen Ergebnissen mitgewirkt, namentlich an dem am 28. Juni 2005 dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse vorgelegten Zwischenbericht zur Palliativmedizin und Hospizarbeit (BT-Drs. 15/05858).
Mit dem Anliegen der Enquete-Kommission, den dringend notwendigen gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit Sterben und Tod herbeizuführen, werden wir uns in der kommenden Wahlperiode noch intensiver auseinandersetzen. Insbesondere werden wir die konkreten Vorschläge – auch zur Karenz Berufstätiger – in dem genannten Zwischenbericht daraufhin prüfen, ob (bundes-)gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, um die Palliativmedizin und die Hospizarbeit in Deutschland auf hohem Niveau abzusichern und bei Bedarf qualitativ zu verbessern. Außerdem werden wir uns wie bisher dafür einsetzen, dass die von der rot-grünen Regierungskoalition bereits geschaffenen gesetzlichen Möglichkeiten zur Verbesserung der Versorgung von den Beteiligten vor Ort auch tatsächlich genutzt werden. Wichtig ist uns dabei eine Vernetzung sämtlicher Bereiche der Palliativmedizin und der Hospizarbeit.
Frage
Wie steht Ihre Partei zur Verlagerung der bisherigen Pflegeausbildung an Hochschulen, wie dies in den meisten europäischen Ländern bereits heute üblich ist?
Antwort
Unsere Haltung zu den Bestrebungen zur Akademisierung der Gesundheitsfachberufe ist bekannt. Erforderlich ist eine sorgfältige Prüfung der vielfältigen gesundheitspolitischen und finanziellen Auswirkungen insbesondere auf Landesebene. Etwaige Initiativen der Länder werden wir prüfen und, falls sinnvoll, unterstützen. Allerdings ist die Qualität der Berufsausbildung wie der Berufsausübung nach unserer Überzeugung durch die heutigen Berufsgesetze gewährleistet. Europarechtlich wird die gegenseitige Anerkennung der Ausbildungen in den Mitgliedstaaten durch Richtlinien sichergestellt. Und bildungspolitisch treten wir weiterhin dafür ein, auch Absolventen mittlerer Schulabschlüsse den Zugang zu anspruchsvollen Berufsausbildungen wie denen der Gesundheitsfachberufe offen zu halten.
Die Ausgestaltung und Finanzierung des Fächerangebots an den Hochschulen liegt grundsätzlich in der Kultur- und Finanzhoheit der Länder. Der Bund kann weder Lehrstühle einrichten noch Institute gründen. Wir können auf Bundesebene grundsätzlich nur die Rahmenbedingungen für eine fruchtbare und moderne Lehr- und Forschungslandschaft im Pflegebereich schaffen.
Frage
Mit welchen Maßnahmen will Ihre Partei dem absehbaren Pflegepersonalnotstand und der Unterversorgung der Pflegebedürftigen in Deutschland entgegenwirken?
Antwort
Qualifizierte Pflege ist ohne qualifizierte Pflegekräfte nicht möglich. Deshalb ist in der Heimmindestbauverordnung festgeschrieben, dass die Hälfte des Personals in der Betreuung und Pflege aus Fachkräften bestehen muss. Diese Fachkraftquote von 50 % ist sinnvoll, und wir werden an ihr festhalten. Notwendig ist aber eine Festlegung von Fachpersonalgruppen, die zur Fachkraftquote gezählt werden, sowie die Weiterqualifizierung des Personals.
Für das Personal in Diensten und Einrichtungen will das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein Qualifizierungsprogramm initiieren. In dessen Mittelpunkt wird das Thema „Entbürokratisierung“ im Heimrecht stehen. Entbürokratisierung und Qualifizierung kommen den Pflegenden zu gute. Ihnen wird wieder mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe, die Betreuung hilfebedürftiger Menschen, bleiben.
Die Umschulungsmaßnahmen in der Altenpflege haben für die Sicherstellung des Fachkräftebedarfs in der Pflege einen hohen Stellenwert. Gleichzeitig sind sie ein sehr erfolgreiches arbeitsmarktpolitisches Instrument. Deshalb haben wir sichergestellt, dass Arbeitsuchenden nach wie vor die Umschulung zur Altenpflegerin/zum Altenpfleger offen steht. Die Kosten der dreijährigen Umschulung werden bis zum Ende des Jahres voll durch die Bundesagentur für Arbeit getragen. Ab 2006 finanziert die Bundesagentur für Arbeit die ersten beiden Jahre vollständig, die Kosten für das dritte Jahr der Umschulung tragen die Länder, die Träger der praktischen Ausbildung sowie die Pflegeversicherung gemeinsam.
Fragen
Wird Ihre Partei weiterhin unqualifizierte und unkontrollierte Pflege zulassen?
Wie steht Ihre Partei zu der gesetzlichen Registrierung und Lizenzierung von Pflegenden?
Antwort
Schwarzarbeit ist illegal. Deshalb sind auch die Vorschriften so gefasst, dass unkontrollierte und unqualifizierte Pflege durch ausländische Hilfskräfte nicht erlaubt ist.
Diejenigen, die Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten, müssen in bestimmten Zeitabständen Beratungsbesuche durch professionelle Dienste abrufen. Diese sollen die Pflegebedürftigen und die Pflegenden so beraten, dass die häusliche Pflege sichergestellt ist. Eine gesetzliche Registrierung und Lizenzierung von Pflegenden im häuslichen Bereich ist aus unserer Sicht daher nicht nötig.
Fragen
Wird Ihre Partei die Errichtung von Pflegekammern in Deutschland unterstützen?
Könnten Sie sich vorstellen, eine/einen Bundesbeauftragten für alle Pflegeberufe zu etablieren?
Antwort
Es ist auch schon heute üblich, dass große Verbände in regelmäßigen Abständen mit den zuständigen Abgeordneten, Arbeitsgruppen usw. Gesprächstermine vereinbaren. Diese Praxis könnte sich der Deutsche Pflegerat e.V. zu Eigen machen. In diesen Gesprächen könnte auch die Frage der Einrichtungen von Pflegekammern und einer/eines Pflegebeauftragten erörtert werden.