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Frage von Wolfgang L. •

Frage an Andrea Nahles von Wolfgang L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Liebe Andrea,

ich bin SPD-Ortsvereinsvorsitzender in einer kleinen nordrhein-westfälischen Eifelgemeinde. Von Beruf bin ich seit über 30 Jahren Polizeibeamter. Meine Frau und ich haben vier Kinder.

In Deutschland regieren Christ- und Sozialdemokraten, die eigentlich auf Grund ihrer Überzeugungen dem Wohl der Menschen verpflichtet sein sollten.

Wie kommt es aber dann, dass in unserer Gesellschaft Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden, die Mittelschicht wegbricht, die Gewalt zunimmt und Reiche sowie das Kapital vor ihrer gesellschatfspoitischen Verantwortung drücken können?

Wie kommt es, dass die gleichen Bundespolitiker, die dem Volk immer Enthaltsamkeit predigen dies offenbar vergessen, wenn es um die eigenen finanziellen Vorteile geht?

Ich bin jedenfalls sehr schockiert, mit welcher Kaltschnäuzigkeit unsere Volksvertreter das auch noch losgelöst von den gesellschaftlichen Problemen auch noch verteidigen.

Ich erwarte zumindest von unseren sozialdemokratischen Abgeordneten die Ablehnung dieser Diätenerhöhung.

Wir an der Basis haben bereits seit 10 Jahren die Folgen der SPD-Bundespolitik schmerzlich zu ertragen. Ich hatte gehofft, mit dem Hamburger Parteitag seien die Weichen zurück zur SPD wieder gestellt. Doch leider wurde auch hier der Parteitagsbeschluss zur Privatisierung der Bahn mißachtet, ich denke, es reicht!

Mit vielen Grüßen
Wolfgang Langwald

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Antwort von
SPD

Lieber Wolfgang,

manchen Unmut kann ich ja verstehen, aber es stimmt schlicht nicht (jedenfalls nicht für die SPD-Fraktion), dass wir kaltschnäuzig sind und nur unseren eigenen finaziellen Vorteil suchen. Du kannst mir glauben, dass wir in der Fraktion aus den bekannten Gründen sehr intensiv und auch kritisch über die Diäten diskutieren. Und lieber Wolfgang, man muss auch mal sagen dürfen, dass die Diäten oder wie es im Grundgesetz heißt die "Entschädigung" der Abgeordneten eine demokratische Errungenschaft sind. Bis 1906 gab es so etwas nicht. Niemand sollte in die Politik gehen, nur um Geld zu verdienen. Es darf aber auch nicht sein, dass nur diejenigen in die Politik gehen, die es sich finanziell leisten können.

Was angemessen ist, ist in der Öffentlichkeit ein kontrovers diskutiertes Thema. Was ist angemessen für Abgeordnete, die zwischen 150.000 und 250.000 Bürger in ihrem Wahlkreis repräsentieren und vertreten sollen? Was ist angemessen für Abgeordnete, die die Auslandseinsätze deutscher Soldaten zu beschließen (Kosovo, Afghanistan) oder abzulehnen haben (Irak)? Was ist angemessen für Abgeordnete, die über die Zukunft unseres sozialen Sicherungssysteme zu entscheiden haben? Was ist angemessen für Abgeordnete, die zwischen Staatsverschuldung und Haushaltskonsolidierung zu entscheiden haben?

Aber die Abgeordneten selbst müssen entscheiden und das ist wahrlich nicht einfach, auch wenn, uns oft Anderes unterstellt wird.

Der Bundestag hat in 2007 eine Neuregelung der Abgeordnetenentschädigung verabschiedet. Als Richtgröße sollen die Bezüge von Bürgermeistern kleiner Städte und Gemeinden mit 50 bis 100 Tausend Einwohnern gelten. Das habe ich in diesem Forum mehrfach erläutert. Um die Abgeordnetenentschädigung auf diese Vergütung anzuheben wurde entschieden, die Entschädigung in zwei Schritten anzuheben: Zum 1. Januar 2008 wurde die Abgeordnetenentschädigung um 330 Euro auf 7.339 Euro und zum 1. Januar 2009 um 329 Euro auf 7.668 Euro angehoben. Zugleich wurde die Steigerungsrate für die Altersversorgung von 3 auf 2,5 Prozent pro Mandatsjahr abgesenkt. Während früher ein Abgeordneter nach 8 Mandatsjahren bereits 35 Prozent der Abgeordnetenentschädigung als Altersversorgung erhielt, waren es nach 1995 nur 24 Prozent, seit 2008 sind es nur noch 20 Prozent.

Nun haben die Tarifpartner im April 2008 einen Tarifabschluss erreicht, mit dem die Gehälter im öffentlichen Dienst in 2008 um 50 Euro zuzüglich 3,1 Prozent und in 2009 um weitere 2,8 Prozent steigen. Diese Erhöhung ist gerechtfertigt, denn nach Jahren der Lohnzurückhaltung können damit endlich auch die Arbeitnehmer an der guten wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben. Es ist daher auch richtig, dass der Tarifabschluss auf die Beamten und Pensionär des Bundes übertragen und damit deren Bezüge entsprechend erhöht werden. Damit kommt es nun aber zum ersten Mal zu einer Anpassung, wie sie in 2007 bei der Neuregelung der Abgeordnetenentschädigung vorgesehen wurde. Denn mit der Übertragung des Tarifabschlusses auf die Beamten steigt auch die Besoldung eines Bürgermeisters einer kleinen Stadt mit B6 bzw. die Besoldung eines einfachen Bundesrichters mit R6. Die jetzt vorgesehene Anpassung der Abgeordnetenentschädigung vollzieht dieses Ergebnis nach.

Damit steigt die Abgeordnetenentschädigung zum 1. Januar 2009 um weitere 278 Euro (3,63 Prozent) auf 7.946 Euro und zum 1. Januar 2010 um 213 Euro (2,68 Prozent) auf 8.159 Euro. Das entspricht dem Tarifabschluss von Verdi für den öffentlichen Dienst. Im Ergebnis wird die Abgeordnetenentschädigung zum 1. Januar 2010 genau dem dann erhöhten Niveau von B6 bzw. R6 entsprechen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Allerdings: Die Anpassung erfolgt zeitlich versetzt um ein Jahr später als bei den Beamten. Auch wird die von Verdi für 2009 erreichte Einmalzahlung von 225 Euro nicht berücksichtigt.

Die erneute Anpassung orientiert sich an einem klaren, nachvollziehbarem Maßstab: Die Entschädigung steigt nur dann, wenn sich die Vergütung vergleichbarer Bürgermeister und Bundesrichter ändert. Dies gilt übrigens für die Zukunft auch dann, wenn Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst ausbleiben. Dann kann es selbstverständlich auch keine Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung geben.

Vielleicht findest du nach wie vor nicht alles richtig, was ich dir dazu schreibe, aber auch nicht jeder öffentliche Vorwurf in unsere Richtung ist eben berechtigt.

Viele Grüße
Andrea