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Frage von Volker E. •

Frage an Andrea Nahles von Volker E. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrte Frau Nahles,

Sie sind sicherlich nicht der ärgste Verfechter der Agenda 2010, aber trotzdem möchte ich Ihnen einige Fragen stellen. Worin genau besteht der Zusammenhang zwischen Agenda 2010 und dem derzeitigen Wirtschaftsaufschwung, der von Kurt Beck hergestellt wird ("ansehnliche Wachstumsraten dank Schröder")? Können Sie dem Kurs der Agenda 2010 auch nur irgendetwas abgewinnen (mit Ausnahme der Förderung von Bildung und Forschung)?

Wir hatten in der aktuellen Aufschwungphase der Jahre 2005 bis 2007 ein Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent. In den Jahren 1998 bis 2000 betrug das Wachstum in Deutschland 5,3 Prozent. In beiden Aufschwungphasen sind fast gleich viele Arbeitsplätze neu entstanden, rund 700.000. Dennoch ist die Arbeitslosigkeit in diesem Aufschwung stärker zurückgegangen als im letzten.

Dies wird von den Medien fast einhellig als ein Erfolg von Hartz IV interpretiert. Waren die Arbeitslosen tatsächlich einfach zu faul, um zu arbeiten und blieben die Personalabteilungen der Unternehmen auf ihren Stellenanzeigen sitzen, weil sich niemand darauf gemeldet hätte?

Tatsache ist jedenfalls, dass der stärkere Rückgang der Arbeitslosigkeit nicht auf eine Flut neuer Stellen zurückgeht (700.000 mehr Arbeitsplätze sind für einen Aufschwung normal), sondern dass in den vorigen Aufschwüngen mehr Menschen neu in den Arbeitsmarkt eingetreten sind (vor allem Hausfrauen, die vorher nicht arbeitslos gemeldet waren), also ein entsprechend größeres Angebot am Arbeitsmarkt war. Wenn man alles zusammenrechnet, kommt man auf einen Unterschied von plus minus 0, wenn man die Phase seit Hartz IV mit den Aufschwungphasen vor Hartz vergleicht. Nachzulesen auch im Sachverständigen-Bericht zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2007/2008 (siehe Minderheitsvotum Bofinger).

Viele Grüße, Volker Eishold (Bonn)

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Eishold,

ich finde einige Punkte der Agenda 2010 sind wichtig gewesen. Wir haben die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II (ALG II) zusammengelegt. Wir haben Hunderttausende Sozialhilfeempfänger aus dem Schattendasein der Arbeitslosigkeit herausgeholt und uns um Menschen bemüht, um die sich vorher keiner gekümmert hat. ALG II-Bezieher sind nun in die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung einbezogen. Ehemalige Sozialhilfeempfänger werden deutlich besser gefördert und in Arbeit vermittelt als vor der Reform. Wir haben in der Familienpolitik entscheidende Pflöcke eingeschlagen, 4 Mrd. ? für Ganztagsbetreuung, Ausbau der Betreuung für Kinder unter 3 Jahren, Kinderzuschlag für Familien mit geringem Einkommen. Auch haben wir haben Betriebsgründungen im Handwerk erleichtert. Das schafft neue Arbeitsplätze.

Gleichzeitig habe ich immer gesagt, die Agenda 2010 ist nicht unantastbar. Sie ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit, denn viele Erwerblose finden ein neue Stelle, gleichzeitig nehmen Arbeitsverhältnisse zu, von denen die Menschen mehr schlecht als recht leben können. Ich sage nur Minijobs, Teilzeitarbeit und Leiharbeit. Hier brauchen wir eine gesetzliche Haltelinie nach unten in Form eines Mindestlohnes, der Armut trotz Arbeit verhindert. Viele ältere Arbeitslose sind ohne erfolgreiche Vermittlung plötzlich in das ALG II gerutscht, obwohl sie jahrzehntelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Diese Ungerechtigkeit haben wir mit der Verlängerung des Arbeitslosengeldes I bereits beseitigt. Dennoch dürfen unsere Anstrengungen für die älteren Erwerbslosen nicht aufhören! Darüber hinaus wurden die Reformen zu wenig erklärt und haben viele Menschen verunsichert. Reformen sind notwendig, aber wir wollen die Menschen besser mitnehmen auf dem Weg. Keiner darf zurückbleiben.

Zur langen Geschichte meiner Partei gehören unbequeme Entscheidungen dazu. Vielleicht wird das in zehn Jahren deutlicher gesehen als heute.

Beste Grüße
Andrea Nahles