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Frage von Klara W. •

Frage an Andrea Nahles von Klara W. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Nahles,

"Es sterben jedes Jahr um 2000 Menschen auf der Warteliste." https://aok-bv.de/presse/dpa-ticker/index_21957.html

An welchen Ursachen sind diese Personen gestorben und um wieviel länger hätten sie mit einem fremden Organ gelebt?
Wieviel Menschen sterben jedes Jahr an anderen Ursachen als einzig an einem vollständig funktionsunfähigem Organ?

In dem Artikel https://www.sueddeutsche.de/politik/interview-der-brustkorb-hebt-und-senkt-sich-1.4266876 berichtet eine Transplantations­beauftragte über extreme Situationen im Umgang mit Angehörigen eines potentiellen Organspenders, sie sagt "Die Familie hat schon genug damit zu tun, den Tod ihres Partners, Geschwisters oder Kindes zu verarbeiten und dann kommen wir noch mit dem Thema Organspende...." Weiterhin berichtet sie von einem Mädchen, das wegen einer Mandel-OP ins Krankenhaus kam, dabei verstarb und daraufhin einer Organentnahme unterzogen wurde. Die Eltern hatten es so gewollt. In einem anderen Fall hat die Großmutter einer Patientin widersprochen.

Wie ist es möglich, dass Aussenstehende und nicht die Person selbst (auch junge Menschen sind denkende und fühlende Wesen), ausschließlich darüber entscheiden, was mit dem sterbenden aber noch lebenden Körper ("Menschen, die hirntot sind, nicht wie tot wirken. Ihr Körper ist warm, der Brustkorb hebt und senkt sich durch die Maschinen") geschieht?

Ist die aktuelle Gesetzeslage nicht so, dass ohne eine ausdrückliche und nachgewiesene Zustimmung einer Person, eine Organentnahme nicht durchgeführt werden darf und bei Minderjährigen gänzlich ausgeschlossen ist?

Was geschieht in den Fällen, in denen keine Angehörigen da sind und wie stellt man fest, dass Angehörige ausschießlich im Sinne der betroffenen Person handeln?

Wie hoch ist der Prozentsatz der Spender, die keinen Spendeausweis hatten und von Aussenstehenden zur Organentnahme freigegeben wurden und mit welcher Begründung ist die Freigabe in diesen Fällen erfolgt?

Vielen Dank.
Klara W.

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Antwort von
SPD

Liebe Frau Waldmann,

ich lese aus Ihrer Mail die Sorge heraus, dass Andere im Zweifelsfall über Ihren Kopf hinweg entscheiden könnten, was mit Ihnen passiert. Dazu besteht kein Anlass, erst recht nicht mit den zu erwartenden Neuregelungen des Gesetzes, da muss man sich entscheiden, so oder so.
In Deutschland wird man erst mit einer schriftlichen oder mündlichen Willenserklärung zum Organspender. Deswegen ist es wichtig, mit Angehörigen und engen Freunden über seine Entscheidung zu sprechen und einen Organspendeausweis bei sich zu tragen.
Hat man keine Entscheidung getroffen, werden im Todesfall die nächsten Angehörigen befragt. Diese sollen im Sinne des Verstorbenen entscheiden. Damit sie in der akuten Situation Bescheid wissen, ist es wichtig, dass Sie sich frühzeitig Gedanken über die Organ- und Gewebespende machen und mit Ihren Angehörigen darüber sprechen.
Natürlich können Eltern auch jetzt bereits darüber entscheiden, was mit ihrem Kind nach dessen Tod passiert - Eltern entscheiden ja auch darüber, ob, wie und wo ein minderjähriges Kind zu Lebzeiten operiert werden soll.
Hier die entsprechende Stelle im Gesetz:
Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben (Transplantationsgesetz - TPG)
§ 4 Entnahme mit Zustimmung anderer Personen
(1) Liegt dem Arzt, der die Organ- oder Gewebeentnahme vornehmen oder unter dessen Verantwortung die Gewebeentnahme nach § 3 Abs. 1 Satz 2 vorgenommen werden soll, weder eine schriftliche Einwilligung noch ein schriftlicher Widerspruch des möglichen Organ- oder Gewebespenders vor, ist dessen nächster Angehöriger zu befragen, ob ihm von diesem eine Erklärung zur Organ- oder Gewebespende bekannt ist. Ist auch dem nächsten Angehörigen eine solche Erklärung nicht bekannt, so ist die Entnahme unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3, Satz 2 und Abs. 2 Nr. 2 nur zulässig, wenn ein Arzt den nächsten Angehörigen über eine in Frage kommende Organ- oder Gewebeentnahme unterrichtet und dieser ihr zugestimmt hat. Kommt eine Entnahme mehrerer Organe oder Gewebe in Betracht, soll die Einholung der Zustimmung zusammen erfolgen. Der nächste Angehörige hat bei seiner Entscheidung einen mutmaßlichen Willen des möglichen Organ- oder Gewebespenders zu beachten. Der Arzt hat den nächsten Angehörigen hierauf hinzuweisen. Der nächste Angehörige kann mit dem Arzt vereinbaren, dass er seine Erklärung innerhalb einer bestimmten, vereinbarten Frist widerrufen kann; die Vereinbarung bedarf der Schriftform.
(2) Der nächste Angehörige ist nur dann zu einer Entscheidung nach Absatz 1 befugt, wenn er in den letzten zwei Jahren vor dem Tod des möglichen Organ- oder Gewebespenders zu diesem persönlichen Kontakt hatte. Der Arzt hat dies durch Befragung des nächsten Angehörigen festzustellen. Bei mehreren gleichrangigen nächsten Angehörigen genügt es, wenn einer von ihnen nach Absatz 1 beteiligt wird und eine Entscheidung trifft; es ist jedoch der Widerspruch eines jeden von ihnen beachtlich. Ist ein vorrangiger nächster Angehöriger innerhalb angemessener Zeit nicht erreichbar, genügt die Beteiligung und Entscheidung des zuerst erreichbaren nächsten Angehörigen. Dem nächsten Angehörigen steht eine volljährige Person gleich, die dem möglichen Organ- oder Gewebespender bis zu seinem Tode in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahegestanden hat; sie tritt neben den nächsten Angehörigen.
(3) Hatte der mögliche Organ- oder Gewebespender die Entscheidung über eine Organ- oder Gewebeentnahme einer bestimmten Person übertragen, tritt diese an die Stelle des nächsten Angehörigen.
(4) Der Arzt hat Ablauf, Inhalt und Ergebnis der Beteiligung der nächsten Angehörigen sowie der Personen nach Absatz 2 Satz 5 und Absatz 3 aufzuzeichnen. Die nächsten Angehörigen sowie die Personen nach Absatz 2 Satz 5 und Absatz 3 haben das Recht auf Einsichtnahme.

Alle weiteren Fragen, insbesondere zur Statistik, beantwortet Ihnen gern das Infotelefon:
https://www.organspende-info.de/infothek/infotelefon

mit freundlichen Grüßen,
Andrea Nahles