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Frage von Martina H. •

Frage an Andrea Nahles von Martina H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

GRIECHENLAND / BANKEN
Haben Sie den Text, über den Sie und Menschen Ihrer Partei abstimmen sollen, bereits erhalten? Um welche Uhrzeit ? In einer glaubwürdigen Übersetzung? Wieviele Seiten waren das ? Sie hatten bestimmt andere wichtige Dinge zu tun, und nicht nur das Lesen. Wieviel Zeit hatten Sie zum Lesen?

Haben Sie den Text, über den Sie abstimmen sollen, IN SEINEN KONSEQUENZEN annähernd verstanden? Oder wenigstens von Anfang bis Ende mehr als einmal AUFMERKSAM durchgelesen?

Sind Sie Ihrem Gewissen verpflichtet ?

Fraktionszwang mit Devise: “Fraktion befiel, wir folgen.”

Einfache Frage eines einfachen Bürgers:
werden Sie, ja Sie, Sie persönlich, als Mensch mit Gewissen, mit NEIN oder (parteibuchbrav) mit JA stimmen?

Darauf hätte ich gern eine Antwort.

Gruß
Dr. Martina Homma

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Homma,

die Fraktion der SPD hat in dieser Woche sehr intensiv über ihr Abstimmungsverhalten hinsichtlich eines neuen Hilfspaketes für Griechenland diskutiert. Dabei wurde von der Fraktion weder das Abstimmungsverhalten befohlen, noch hat dies etwas mit "parteibuchbrav" zu tun.

Die Entscheidung, abermals einem Hilfspaket für Griechenland zuzustimmen, ist uns nicht leicht gefallen, gerade weil die Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung mehr als berechtigt ist. Jedoch haben wir über ein Maßnahmenpaket abgestimmt, das von 17 Euroländern, von denen elf sozialdemokratisch (mit)regiert werden, getragen wird. Das klare Bekenntnis zum Verbleib Griechenlands in der Eurozone ist ein wichtiges Signal für die Menschen, aber auch für Investoren. Das haben in der Vergangenheit Politikerinnen und Politiker von FDP und CDU/CSU leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Wir als SPD haben keinen Zweifel an der Zugehörigkeit Griechenlands zur Eurozone.

Die Stabilisierung der Eurozone liegt in unserem ureigensten Interesse, sie ist nicht nur ein Akt der Nächstenliebe. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann uns die Rezession erreicht. Das ist keine Schwarzmalerei: Wir profitieren nur so lange von unseren Exporten, wie es in unseren Nachbarländern soziale Stabilität und Wohlstand gibt. Wir haben einem konkreten Hilfspaket zugestimmt, das Griechenland vor einer Staatspleite bewahrt. Damit werden m. E. eine ökonomische Kettenreaktion in Europa und fatale Auswirkungen auch auf den Wohlstand in Deutschland verhindert.

Mit unserem Votum signalisieren wir KEINE Zustimmung zu einer Austeritätspolitik mit verheerenden Folgen, für unausgewogene Kürzungen bei Löhnen, Renten oder Sozialleistungen in Griechenland. Schon vor Monaten haben wir angemahnt, dass Strukturreformen nicht über Nacht umzusetzen sind. Griechenland und die reformwilligen Kräfte brauchen Unterstützung und Anreize für die dringend benötigte Verwaltungsmodernisierung. Nur wenn Griechenland ausreichend Zeit zur Umsetzung dieser Strukturreformen erhält, wird das Land künftig wieder einen tragfähigen Haushalt entwickeln und auf eigenen Füßen stehen.

Zeit und Erleichterung werden jedenfalls durch die beschlossenen Maßnahmen gegeben. Ein Aufbauprogramm für Wachstum und Beschäftigung ist, durch die schnellstmögliche Einführung der Finanztransaktionssteuer zu finanzieren. Das haben wir in den Verhandlungen zum Fiskalpakt gegenüber der Bundesregierung und im Schulterschluss mit den sozialdemokratischen Regierungen in der EU durchgesetzt. Weiterhin halten wir fest an unserer Forderung, einen europäischen Schuldentilgungsfonds für Altschulden gemäß den Vorschlägen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einzurichten, um den notleidenden Staaten eine realistische Entschuldungsperspektive zu bieten.

Dringend benötigt Athen auch Hilfe bei der Verbesserung des Abrufs von EU-Geldern, beispielsweise durch Qualifizierungsmaßnahmen für Staatsbedienstete. Denn Strukturfonds können einen Teil des Wachstumsprogramms für Griechenland bilden, allerdings muss es auch administrative Kapazitäten geben, diese Mittel überhaupt in Anspruch zu nehmen.

Jenseits der wirtschaftlichen Auswirkungen, die eine Staatspleite für Griechenland und Europa hätte, ist es der SPD wichtig, dass das politische System und die Demokratie nicht weiter unter die Räder geraten. Bei aller Kritik an überkommenen Strukturen, Steuerhinterziehung und Korruption: Besonders die jungen Griechinnen und Griechen brauchen Solidarität und Hoffnung. Dafür müssen wir ihnen einen Vertrauensvorschuss geben.

Die Vorlagen standen in englischer und deutscher Sprache zur Verfügung und konnten somit gelesen werden. Die Zeit zum Lesen muss man sich nehmen, so sehe ich das zumindest.

Beste Grüße

Andrea Nahles