Frage an Andrea Nahles von Günter B. bezüglich Soziale Sicherung
02.10.2011
Sehr geehrter Frau Nahles,
Ich wünsche Ihnen für Ihr politisches und gesellschaftliches Wirken weiter viel Erfolg und Durchschlagskraft.
Als Bauingenieur bin ich mit 59 Jahren „langzeitarbeitslos“ und im Wechsel zwischen Arbeitsgelegenheiten mit Aufwandsentschädigung und Entgeltmaßnahmen auf Grundlage von Eingliederungsvereinbarungen mit der Arbeitsagentur im zweiten Arbeitsmarkt beschäftigt oder auch zeitweise gar nicht. Meine ständigen vielfältigen Bewerbungsbemühungen waren auch alternativ erfolglos.
Seit September bin ich im Programm „ Aktiv zur Rente“, Variante Arbeitsgelegenheit mit Aufwandsentschädigung (1-Euro-Job), im Bereich pädagogischer Tätigkeit eingegliedert. Mir wurde eine so genannte "Brücke" zum Übergang in die Rente geschaffen. Eine Eingliederung in finanzierte Entgeltmaßnahmen oder sonstige Vermittlungen in den Arbeitsmarkt wurden mir seitens der ARGE auch in unmittebarer Perspektive nicht in Aussicht gestellt. Zudem erfolgt ab dem 59. Lebensjahr keine statistische Erfassung der Arbeitslosigkeit.
Mit dieser Eingliederung in das Programm „Aktiv zur Rente“ wird mir folgendes monatliches „Einkommen“ gewährt: ca. 150 € Aufwandsentschädigung, 40 € ALG II, 250 € Wohngeld (innerhalb der Solidargemeinschaft Familie). Aber: gar keine Rentenanrechnung bzw. Aufstockung des Rentenniveaus. Mein gesellschaftliches Leben wird vom Einkommen meiner Ehefrau gestützt. (Solidargemeinschaft). Es ist somit eine der passivsten Formen des Rentenübergangs und begründet Altersarmut, basierend auf gegebenen gesetzlichen Grundlagen der Regierung.
Leider, so habe ich den Eindruck, sind in der Öffentlichkeit viele Bürger nicht ausreichend über die geschilderte Sachlage informiert.
Ich fühle mich in meiner Persönlichkeit und Würde verletzt und möchte gern zu meiner aktuellen Situation Widerspruch einlegen und eine perspektivische Lösung bewirken.
Hinweise und Ratschläge von Ihnen nehme ich dankend entgegen und freue mich auf Ihre Antwort.
mfG
Günter Bromann
Sehr geehrter Herr Bromann,
es ist wahr, dass bei den Erwerbstätigen im rentennahen Alter von 60 bis unter 65 Jahren die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sehr zu wünschen übrig lässt. Insbesondere wird die deutlich angestiegene Erwerbsquote Älterer durch einen hohen Anteil ausschließlich geringfügig Beschäftigter verzerrt; zudem gehen, wie Sie richtig feststellen, in die Erwerbsquote auch diejenigen ein, die zwar erwerbsorientiert, aber arbeitslos sind. Nach wie vor haben wir in Deutschland eine schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt für Ältere vor dem Ruhestand. Dies drückt sich auch im Übergang aus dem Erwerbsleben in die Rente aus: Nur 40,5 Prozent der Männer und sogar nur 32,2 Prozent der Frauen gehen aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in die Rente. Während das durchschnittliche Renteneintrittsalter aktuell bei 63,2 Jahren liegt, sind die Menschen im Durchschnitt am Ende ihres Erwerbslebens 61,7 Jahre alt. Da nur die wenigsten Versicherten so die Voraussetzungen für den Bezug der abschlagsfreien Regelaltersrente mit 65 Jahren erfüllen, bedeutet dies, dass ein immer größerer Teil der Versicherten eine vorgezogene Rente mit Abschlägen (0,3 Prozent für jeden Monat vor Vollendung des 65. Lebensjahres) in Kauf nehmen muss, und/oder aus dem Bezug von Arbeitslosengeld oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende in die Rente wechselt.
Natürlich entscheidet das Erwerbsleben in guter Arbeit über die soziale und materielle Teilhabe in unserer Gesellschaft. Gute Arbeit ist notwendig, um Altersarmut zu vermeiden. Auf die steigende Lebenserwartung und die Verschiebungen im Altersaufbau unserer Gesellschaft einschließlich des Rückgangs der Zahl der Erwerbspersonen muss in der Alterssicherung reagiert werden. Notwendig ist die Schaffung von flexiblen Übergängen, um den Eintritt in die Rente in Würde zu erreichen. Aus gutem Grund ist der Beginn der Erhöhung des Renteneintrittsalters mit einer Überprüfungsklausel (§ 154 Absatz 4 Satz 1 und 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VI) verknüpft, die sicherstellt, dass der Einstieg in die Rente mit 67 nur erfolgt, wenn auch die Bedingungen dafür erfüllt sind. Die verbindlichen Prüfsteine bilden die Entwicklung der Arbeitsmarktlage und die wirtschaftliche und soziale Situation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In unserem Antrag "Chancen für die Teilhabe am Arbeitsleben nutzen: Arbeitsbedingungen verbessern - Rentenzugang flexibilisieren" fordern wir die Regierung zur Erarbeitung eines Gesamtkonzepts auf, das die nötigen Voraussetzungen für die Anhebung der Regelaltersgrenze schafft. Der für 2012 vorgesehene Einstieg in die Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre sowie der vorgezogenen Altersrenten muss ausgesetzt werden. Er kann erst erfolgen, wenn die Menschen, die über 60 Jahre alt sind, mehrheitlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und der Übergang aus dem Erwerbsleben in eine abschlagsfreie Rente zur Regel wird. Die Beschäftigung Älterer kann und muss erhöht werden. Dadurch soll die gesetzliche Rente als Grundlage der Altersvorsorge gestärkt, Altersarmut verringert und ein fairer Ausgleich zwischen den Generationen geschaffen werden.
Wir als SPD versuchen regelmäßig, über die auch von Ihnen angesprochene Situation zu informieren. Darüber hinaus haben wir umfangreiche Material- und Argumentationssammlungen auf unseren Internetseiten. Hier können Sie sich informieren.
Ich wünsche Ihnen persönlich alle Gute.
Beste Grüße
Andrea Nahles