Frage an Andrea Nahles von Renate B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Nahles,
ich bin nach dem Sozialgesetzbuch schwerbehindert.
Meine Behinderung sieht man mir nicht an, ich sitze nicht im Rollstuhl, mir fehlen keine Gliedmaßen, trotzdem bin ich in meinem Leben eingeschränkt.
Im Urlaub im europäischen Ausland sehe ich, genau wie hier in Deutschland, an den Kassen von Museen etc, dass es Ermäßigungen für schwerbehinderte Personen gibt.
Diese Ermäßigungen kann ich nie in Anspruch nehmen, da es auf deutschen Behindertenausweisen keinen fremdsprachlichen Hinweis bzw. Zeichen (z.B. Rollstuhl analog Behindertenparkausweis) gibt und dieser Ausweis nicht europäisch harmonisiert ist.
Warum ist der Krümmungsgrad der Bananen und Gurken wichtiger als ein harmonisierter europäischer Schwerbehindertenausweis?
Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Renate Biener
Sehr geehrte Frau Biener,
der Schwerbehindertenausweis dient dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Rechten und Nachteilsausgleichen, die schwerbehinderten Menschen in Deutschland zustehen. Gültigkeit hat er folglich nur in Deutschland, genauso wie entsprechende ausländische Ausweise keine Gültigkeit in Deutschland haben. Es ist leider so, dass Sie auf die Vergünstigungen, die Sie in Deutschland problemlos erhalten, in anderen Ländern keinen Rechtsanspruch haben. Teilweise stellen die Ämter für Versorgung und Familienförderung auf Wunsch eine Bescheinigung in englischer, französischer, spanischer und italienischer Sprache aus, in der das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft nach deutschem Recht amtlich bescheinigt wird. Diese Bescheinigung kann dem Schwerbehindertenausweis beigelegt werden. Sie erleichtert mit dem Abbau sprachlicher Barrieren aber lediglich die Inanspruchnahme freiwilliger Vergünstigungen, wie etwa ermäßigte Eintrittspreise. Ein Rechtsanspruch auf Nachteilsausgleiche besteht auch in den anderen Ländern der Europäischen Union nicht, denn wer als schwerbehindert anerkannt wird, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich geregelt.
Eine Einführung eines europäischen Behindertenausweises ist zur Zeit nicht vorgesehen. Es hat zwar mehrere Vorstöße seitens einiger Europa-Parlamentarier gegeben, aber die Europäische Kommission hat sich bisher nicht veranlasst gesehen, in dieser Richtung initiativ zu werden. Immerhin gibt es seit dem 1. Januar 2001 den EU-einheitlichen Parkausweis für Behinderte. In den letzten Jahren sind immer wieder Forderungen laut geworden, in der Europäischen Union einen einheitlichen Europäischen Behindertenausweis einzuführen. Ein solcher Ausweis käme nur dann Betracht, wenn der berechtigte Personenkreis der behinderten Menschen und die Regelungen in den Mitgliedstaaten über Sozialleistungen für behinderte und schwerbehinderte Menschen annähernd gleich wären. Dies ist aber gegenwärtig nicht der Fall, sie sind vielmehr sehr unterschiedlich. Daher wird eingeschätzt, dass die Chancen für einen einheitlichen europäischen Behindertenausweis eher gering sind. Sollte die Europäische Kommission eine weitere Initiative für einen europäischen Schwerbehindertenausweis starten, werden wir dies selbstverständlich positiv begleiten.
Ich vermute jedoch auch, dass es sehr schwierig wird, eine echte Harmonisierung hinzubekommen, denn das würde bedeuten, dass die deutschen behinderten Menschen auf viele Nachteilsausgleiche verzichten müssten. Es geht bei der internationalen Debatte eher um die Verfolgung gleicher Grundsätze, wie z.B. Nicht-Diskriminierung und Inklusion. Die Umsetzung ist subsidiär den Mitgliedsstaaten überlassen.
Beste Grüße
Andrea Nahles