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Frage von Sophia O. •

Frage an Andrea Nahles von Sophia O. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Nahles!

Sie schreiben, Voraussetzung für die Umstellung des Modells der Rundfunkfinanzierung seien aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion die langfristige Gebührensicherheit und eine breite gesellschaftliche und politische Akzeptanz. --- Die ersten, bei denen diese Umstellung keine Akzeptanz finden wird, sind diejenigen, die weder Radio- noch Fernsehgerät haben: eine unberücksichtigte Minderheit. Sie werden wahrscheinlich schlucken und EUR 17,98 monatlich wegwerfen müssen. Sie wollen Gebührensicherheit mit Zwang erreichen? Wenn dieses Ziel mit dem Zwang mal erreicht worden ist, dann nur, weil Menschen, die nicht mehr am Rundfunk teilnehmen wollten, zum Beispiel weil die Gebühren hoch und höher wurden, weiter zu zahlen gezwungen werden: sonst hätte die ganze Reform keinen Sinn. Die Akzeptanz wird immer sinken, wenn die Bürger bewusst werden, dass sie durch einen Vertrag, den sie nicht unterschrieben haben, durch einen Staatsvertrag, gezwungen werden. Wenn sie bewusst werden, dass eher Zwang als Demokratie herrscht. Die Frage: glauben sie nicht, dass mit dieser Reform die Akzeptanz der SPD und der Parteien, die die Reform unterstützen, leiden könnte?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Orthoi,

ist Ihre Frage ist leider nicht kurz zu beantworten. Jedoch möchte ich Sie erst einmal darauf hinweisen, dass in Deutschland Fragen der Medienordnung und auch Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks allein Angelegenheiten der Länder sind und dem Bund hier keine Gestaltungs- oder gar Entscheidungskompetenz zukommt. Dies gilt selbstverständlich auch für die Regelungen zu den Rundfunkgebühren und ihre Erhebung durch die GEZ.

Die Regierungschefs der Länder haben sich nun am 10. Juni 2010 auf Eckpunkte zur Neuordnung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verständigt. Diese sehen im Kern, das ist richtig, einen Wechsel vom bisherigen Modell der geräteabhängigen Gebühr hin zu einem geräteunabhängigen Beitrag vor, der für jeden Haushalt und jede Betriebsstätte erhoben werden soll. Auf Grundlage dieser Eckpunkte soll nun eine Änderung des Rundfunkstaatsvertrages vorbereitet werden, der dann von den Ministerpräsidenten unterzeichnet und voraussichtlich im nächsten Jahr von allen Landtagen endgültig als Gesetz beschlossen werden soll. Gelten würde das neue Modell ab dem Jahr 2013.

Ziel ist es, die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum einen auf eine in finanzieller und verfassungsrechtlicher Hinsicht dauerhaft tragfähigen Grundlage zu stellen. Zum anderen soll das neue Beitragsmodell zu mehr Transparenz, größerer Gerechtigkeit und weniger Bürokratie beitragen.

Ob und in welcher Höhe die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten finanziert werden, ist nicht in das Belieben der Politik gestellt. Insofern geht es bei den Rundfunkgebühren im Kern nicht um die Akzeptanz der einzelnen Parteien. Vielmehr erfüllt der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen aus dem Grundgesetz abgeleiteten Funktionsauftrag. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der aus diesem Funktionsauftrag sich ergebende Finanzierungsbedarf gesetzlich sicherzustellen.

Im Vorfeld der aktuellen Entscheidung der Ministerpräsidenten wurde vom ehemaligen Bundesverfassungsrichter Prof. Paul Kirchhof ein Gutachten über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingeholt, in dem dargelegt wird, dass die bislang geltende Rundfunkgebühr aus mehreren Gründen problematisch ist. Insbesondere sei die bisherige Unterscheidung zwischen herkömmlichen und neuartigen Empfangsgeräten sowie Radio- und Fernsehgeräten immer weniger tragfähig. Die Nutzung von Internet-PCs und Handys sei insbesondere bei jungen Menschen zum Alltagsmedium für den Empfang von Radio- und Fernsehprogrammen geworden. Ob aber z.B. ein Handy Rundfunk über ein eingebautes UKW-Empfangsteil oder über die UMTS-Technologie empfangen kann, lasse sich kaum noch überprüfen. Somit stelle das Empfangsgerät einen insgesamt zunehmend ungeeigneten Anknüpfungspunkt für eine Rundfunkabgabe dar. Bezogen auf diese Empfangsrealität geht Prof. Kirchhof davon aus, dass sich das gegenwärtige Rundfunkgebührenmodell unter den Bedingungen moderner Technik der Verfassungswidrigkeit nähert. Das System leide an schweren Erhebungsdefiziten, wobei die Bemühungen der GEZ, die Legalitäts- und Aufkommensverluste durch zusätzliche Kontrolle aufzufangen, auch noch die innere Akzeptanz der Abgabe gefährden würden. Die tatbestandliche Anknüpfung an das Rundfunkempfangsgerät verfehle die gemeinte Wirklichkeit, sei nicht sachgerecht und deshalb gleichheitswidrig.

Für die Anforderungen an ein neues Abgabenmodell hat Prof. Kirchhof Maßstäbe der Rundfunkfinanzierung herausgearbeitet, an denen sich die Ministerpräsidenten mit dem neuen Gebührenbeitragsmodell im Wesentlichen orientieren. Der Rundfunkbeitrag soll den Aufwand finanzieren, der den Rundfunkanstalten bei der Erfüllung ihres Auftrags entsteht. Zur Finanzierung wiederum soll derjenige beitragen, dem die Rundfunkprogramme zugutekommen. Dazu liegt es nach Ansicht von Prof. Kirchhof in der Hand des Gesetzgebers, ob er eher die Wirkungen der Rundfunkprogramme als allgemein zugängliche Quellen individuellen und öffentlichen Wissens, Meinens, Erlebens und Freizeitgestaltens würdigt, oder ob er mit dem Beitrag ein Entgelt für die vermutete individuelle Nutzung der Programme fordert.

Mit dem neuen haushalts- und betriebsstättenbezogenen Beitrag wollen die Länder diesen Vorgaben gerecht werden. Dabei gehen sie davon aus, dass jeder Staatsbürger und auch die Wirtschaft direkt oder indirekt vom Informationsangebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und einer pluralen Medienordnung profitieren. Deshalb wird ein geräteunabhängiger Beitrag mit Beitragspflicht für jeden Haushalt und jede Betriebsstätte erhoben, der von der Höhe des Beitrages einheitlich auf Grundlage der bisherigen vollen Rundfunkgebühr (derzeit 17,98 Euro) berechnet ist.

Die Differenzierung zwischen Rundfunk- und Fernsehgebühr und damit zwischen TV, Radio, Handy und PC wird aufgegeben. Im nicht-privaten Bereich wird der Beitrag pro Betriebsstätte erhoben und nach der Anzahl der regelmäßig dort beschäftigten Personen gestaffelt. Für den typischen Privatnutzer erhöht sich die bisherige Belastung von 17,98 Euro also nicht. Allerdings ist klar, dass es auch Personen gibt, deren individuelle Belastung sich erhöht, weil sie bislang beispielsweise nur ein Radioempfangsgerät angemeldet haben. Auf der anderen Seite wird es aber auch viele geben, die entlastet werden, etwa weil die Beitragspflicht für Minderjährige mit eigenem Einkommen oder der Beitrag für die berufliche Nutzung in einer privaten Wohnung (Arbeitszimmer) entfällt. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass das neue Modell sowohl Zustimmung als auch Kritik erfahren wird.

Unter dem Strich entscheidend ist letztlich, ob es hierzu bessere Alternativen gegeben hätte. Mir ist jedenfalls kein solches Modell bekannt, das sowohl den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt als auch die notwendige Finanzierungssicherheit langfristig sicherstellt. Die vorgelegten Eckpunkte regeln nun noch nicht jedes Detail. Dies wird dann der endgültige Entwurf für den Rundfunkänderungsstaatsvertrag präzisieren.

Beste Grüße
Andrea Nahles