Alexander S. Neu
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Frage von Miriam S. •

Frage an Alexander S. Neu von Miriam S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Dr. Neu

Würden Sie mir dahingehend zustimmen, das nur weil man Flüchtlinge nicht in unser Land, beziehungsweise nicht nach Europa lässt, dieses nicht gleichbedeutend damit ist das diese Flüchtlinge sterben müssen, da man beispielsweise Flüchtlingslager nahe ihrer Heimat finanzieren kann (also inklusive Nahrung, Wasser, Medikamente, Anziehsachen, Bildung etc) die gegebenenfalls vom Militär geschützt werden oder da man angrenzende Länder nahe der Krisenregion finanziell unterstützen kann die diese Flüchtlinge aufnehmen?

Das ganze ist auch deutlich günstiger. So könnte man beispiesweise für jeden syrischen Flüchtling der hier nach Deutschland kommt, für die gleiche Menge an Geld, 10 syrischen Flüchtlingen in Jordaninen helfen.

Quelle:
http://www.independent.co.uk/voices/syrian-refugees-will-cost-ten-times-more-to-care-for-in-europe-than-in-neighboring-countries-a6928676.html

https://twitter.com/data_debunk?lang=de

Mit freundlichen Grüßen
M. S.

Alexander S. Neu
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau S.,

leider kann ich Ihrem Ansatz nicht zustimmen.

Ein Großteil der über 60 Millionen Menschen, die sich derzeit auf unserem Planeten auf der Flucht befinden, suchen Zuflucht in Nachbarländern in ihrer Herkunftsregion und finden dort auch Aufnahme (vgl. beispielhaft: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-03/syrien-fluechtlinge-un-fuenf-millionen ). Zahlreiche dieser Länder befinden sich damit an ihrer eigenen Belastungsgrenze. Sie sind ökonomisch deutlich schlechter ausgestattet als die Bundesrepublik Deutschland, und dennoch nehmen sie um ein Vielfaches mehr Menschen auf, als Deutschland und alle anderen europäischen Staaten. Tatsächlich müssen diese Staaten unterstützt werden. Keine Lösung, erst recht keine langfristige, ist es aber, wenn Deutschland oder die EU versuchen, sich „freizukaufen“.

Selbstverständlich muss, gerade auch mit Mitteln der wohlhabenden Industriestaaten, etwas dafür getan werden, dass Menschen in ihren Herkunftsregionen verbleiben können. Dazu gehört, die ausbeuterischen Praktiken des Welthandels zu beenden und den Klimawandel zu stoppen, denn beides führt zum einen dazu, dass Menschen ihre Herkunftsregionen verlassen müssen, weil ihnen dort die Existenzgrundlagen entzogen werden, zum anderen zur Entstehung mit Waffengewalt ausgetragener Konflikte um Ressourcen. Dazu gehört auch, zu verhindern, dass Konflikte mit militärischen Mitteln ausgetragen werden, und bestehende Konflikte einzudämmen, statt sie anzufachen – sei es durch eigene offene oder verdeckte Beteiligung bzw. militärische Unterstützung auf Seiten einer oder mehrerer Konfliktparteien, wie dies in vielen Regionen der Welt geschieht und geschehen ist (Syrien, Irak, Jugoslawien), oder durch Waffenhandel. Deutschland gehört zu den Waffen-Exportweltmeistern. Es ist also nicht so, dass die Rolle Deutschlands bei den internationalen Fluchtbewegungen erst beginnt, wenn Geflüchtete die deutschen Grenzen oder das Gebiet der EU erreichen. Deutschland und die EU sind vielmehr maßgeblich beteiligt an der Setzung der Fluchtursachen.

Flüchtlinge, die aus Krisenregionen nach Europa kommen, kann man nicht einfach vor Ort in Lager internieren. Zum einen wäre das menschenunwürdig. Zum anderen würde Ihr Vorschlag, derartige Lager vom Militär schützen zu lassen, zu einer weiteren Militarisierung der Fluchtregionen und ihrer Nachbarländer führen. Meine Rückfrage an Sie: Soll das Militär die Geflüchteten daran hindern, die Lager zu verlassen? Oder soll Militär eingesetzt werden, um Lager in Ländern einzurichten, die so instabil sind, dass Geflüchtete vom Militär vor regionalen Gruppen geschützt werden müssten?

Die Verpflichtung, Geflüchtete nicht zurückzuweisen, ergibt sich übrigens nicht zuletzt aus dem Völkerrecht, zum Beispiel der Genfer Flüchtlingskonvention. Der Schutzanspruch Geflüchteter beginnt nicht erst dann, wenn diese sonst, wie Sie schreiben, sterben müssen, sondern bereits, wenn sie in ihrer körperlichen Integrität oder ihrer Freiheit bedroht sind.

Mit freundlichen Grüßen
Alexander S. Neu