Frage an Alexander Hartmann von Armin U. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Hartmann,
wieso nimmt die Musik in der Kulturarbeit der Büso einen so großen Raum ein? Es gibt immerhin noch Malerei und Bildhauerei. Diese haben den Vorteil, daß man nicht hinschauen muß, wenn es einem nicht gefällt, während Musik oft als Lärm (eines der wirklichen Umweltprobleme) oder als Datenmüll, dem man sich nicht entziehen kann, (das andere wirkliche Umweltproblem - man kann sich ja nicht ständig die Ohren zuhalten) empfunden wird.
Sehr geehrter Herr Ulrich,
herzlichen Dank für Ihre Frage. Wie Sie vielleicht wissen, nimmt der Mensch einen Großteil seiner Wahrnehmungen über seine Umwelt über die Augen auf. Da unser heutiger Zeitgeist einen stark empiristischen Zug hat, reduziert sich für Viele das Weltbild tatsächlich auf ein "Bild", d.h., sie glauben, was sie sehen (besonders, wenn es im Fernsehen gezeigt wird).
Aber da kann man sich täuschen. Die Erkenntnisse, aus denen die wirklichen Fortschritte der Menschheit in den Jahrtausenden ihrer Entwicklung hervorgingen, beruhten stets darauf, daß jemand wie z.B. Kepler Widersprüche bemerkte, die sich bei der Interpretation der Wahrnehmungen der unterschiedlichen Sinne ergaben. Die Wahrheit liegt, wie beim Unterschied zwischen einem Kreis und einem diesem eingeschriebenen Unendlicheck oder beim pythagoräischen Komma - in den Nuancen.
Noch schlimmer wird es, wenn man das "gesehene" in die Form mathematischer Formeln gießt, mit denen man zwar rechnen kann, die aber gerade die Nuancen kaum
berücksichtigen, und dann das rechnen dem Computer überläßt, anstatt darüber nachzudenken, was sich wohl für eine Realität hinter den Formeln verbirgt. Dann arbeitet
nämlich nicht mal mehr das Sehen, geschweige denn die anderen Sinne.
Die großen Krisen der Menschheit treten immer dann ein, wenn das vorherrschende Weltbild nicht in der Lage ist, die Ursache dieser Krisen zu sehen, weil es zu sehr dem empirischen Denken verhaftet ist. Alle Wirtschaftsprognosemodelle der heute "etablierten" Ökonomen (auf deren rat sich unsere Regierungen verlassen) beruhen auf diesem Denken, und deswegen sind sie auch allesamt mit ihren Prognosen gescheitert. Kein einziger von ihnen hat die jetzige Zusammenbruchskrise vorausgesehen, obwohl sie keineswegs plötzlich eintrat, sondern sich jahrelang vorbereitete. Ich persönlich habe schon 2001 bei einer Vortragsreise durch Österreich gewarnt, daß der Versuch, das Platzen der IT-Blase durch das Aufbauen einer Immobilienblase auffangen zu wollen, notwendigerweise scheitern und die Immobilienblase platzen würde - also sechs Jahre vor dem Ausbruch der sog. Immobilienkrise. Die Ursache dafür lag nicht im finanziellen Bereich, sondern im physikalischen; aber unsere Politiker, unsere Ökonomen und ein viel zu großer Teil der Bevölkerung - sonst würden ja andere Politiker gewählt - sehen nur aufs Geld, und nicht auf die Realwirtschaft.
Es gilt also, das vorherrschende Denken zu durchbrechen. Das ist möglich, dazu müssen wir die Menschen in einer Weise ansprechen, die es ihr ermöglicht, ihre ungenutzten Denkfähigkeiten zu entwickeln. Dazu ist es sinnvoll, den "Kanal" zu wechseln, indem man sich statt an das Auge an das Ohr richtet. Und an das Gehör richten sich nun einmal die Musik und deren Sonderform, die Sprache. (Rockmusik, die zu Hörschäden führen kann und deshalb zurecht als Lärm und als Belästigung empfunden wird, erfüllt diese Bedingung natürlich nicht).
Gerade die klassische Musik kann, wenn man sie richtig beherrscht, oft Dinge ausdrücken, die sich in Worten nur schwer fassen lassen; oder sie kann durch die Art, wie etwas gesagt oder gesungen wird, Ironien aufzeigen, die im bloß gelesenen Text leicht untergehen, aber für ein richtiges Verständnis wesentlich sind.
Natürlich findet man diese Fähigkeit zur Ironie oder Nuancierung auch in der Malerei, etwa bei Rembrandt, Leonardo oder Spitzweg, und auch in der Bildhauerei, wie man an
den "lebendigen" griechischen Skulpturen sieht (im Unterschied etwa zur modernen Bildhauerei). Aber sie richten sich eben auch an den visuellen Sinn, den wir durch die
Entwicklung der anderen Sinne ergänzen wollen.
Mit freundlichen Grüßen
Alexander Hartmann