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Agnieszka Brugger
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Alexander K. •

Wie stehen Sie zu jedweden gezielten Angriffen auf rein zivile Ziele, wie sie massenhaft Russland einerseits, aber auch vereinzelt der Ukraine angelastet werden?

Im Interview mit Ihnen, das am 1.8.'23 im DLF ausgestrahlt wurde (https://www.dlf.de/interview-agnieszka-brugger-gruene-wie-gefaehrlich-ist-der-drohnenkrieg-dlf-f4a4f024-100.html), werden Sie bei 01m08s darauf angesprochen, dass es Angriffe auf zivile Ziele in Russland durch die Ukraine gegeben habe. Sie gehen darauf nicht direkt ein und spielen die Anzahl der Angriffe auf russisches Territorium insgesamt herunter. Sie sagen jedoch, es würden [Anm.: Seitens der Ukrine] "vor allem militärische Ziele ins Visier genommen" (01m33s) [Anm.: Im Umkehrschluss also auch zivile Ziele!] und sagen, dies müsse man zu den massenhaften Angriffen Russlands auf zivile Ziele in der Ukraine im Verhältnis sehen (01m57s). Sie rechtfertigen m.E. hier einen Bruch des humanitären Völkerrechts damit, dass Russland ihn auch begehe. Sie sagen zwar, die Angriffe auf Russland seien u.a. rechtlich zu bewerten, tun dies aber auch im weiteren Verlauf trotz Nachfrage (02m22s) selbst nicht. Bitte holen Sie dies nach!

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr K., 

vielen Dank, dass Sie sich mein Interview so aufmerksam angehört haben und entschuldigen Sie bitte die späte Antwort. 

Seit über zwei Jahren verteidigt sich die Ukraine gegen den brutalen russischen Überfall, der ja an sich schon einen extremen Bruch des Völkerrechts und die Verletzung gleich mehrerer Verträge darstellt. – Auch wenn Ihre Frage auf das „ius in bello“ und nicht das „ius ad bellum“ abstellt, sollte man dies in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht auch noch einmal erwähnen.Dieser Völkerrechtsbruch ist dabei nicht nur ein Angriff auf die Menschen vor Ort, sondern auch eine Attacke auf unsere gemeinsame internationale Ordnung und die Sicherheit auf unserem Kontinent. Völkerrechtlich darf sich die Ukraine als angegriffener Staat gegen diesen Angriff verteidigen und dabei darf sich die Ukraine auch auf dem Territorium des angreifenden Staates wehren und im Rahmen des humanitären Völkerrechts (dazu gehört zum Beispiel das Prinzip der Verhältnismäßigkeit) militärische Ziele in Russland angreifen. Vorwürfe und Anzeichen aller Art, dass humanitäres Völkerrecht gebrochen wird, verfolgt die Bundesregierung und verfolgen auch wir im Deutschen Bundestag mit größter Sorgfalt. Ich bin zutiefst beeindruckt mit welchem Engagement in der Ukraine, neben dem Kampf für das eigene Überleben, Bemühungen unternommen werden, die entsprechenden Dokumentationen und juristischen Prüfungen auf den Weg zu bringen, damit die Voraussetzungen geschaffen werden, Völkerrechtsverletzungen auch unter internationaler Aufsicht zu ahnden. Auch der internationale Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes, der gegen Wladimir Putin erlassen wurde, ist eine Folge des ukrainischen und internationalen Einsatzes für die Stärke des Rechtes.

Und zum Gesamtbild gehört auch: Während die Ukraine nach wie vor bei Weitem nicht alle Möglichkeiten der Selbstverteidigung ausschöpft, die ihr rechtlich erlaubt sind, kennt der Aggressor Russland keine Regeln, Gesetze und Normen, attackiert regelmäßig die ukrainische zivile Infrastruktur und hat zur klaren Kriegsstrategie, die ukrainische Bevölkerung zu terrorisieren und möglichst viel leiden zu lassen. Die Menschenverachtung des Regimes lässt sich zugleich gegenüber den eigenen Streitkräften beobachten.  Soweit ich das beurteilen kann, ist bei Angriffen auf russisches Territorium die Vorgehensweise der Ukraine von Zurückhaltung geprägt. Die Ukraine ist eine mehr als verlässliche Partnerin bei den Absprachen, die bezüglich des spezifischen Einsatzes der gelieferten Waffensysteme mit den jeweiligen Staaten getroffen worden sind. Da sich die Ukraine in der Regel zu einigen Nachrichten explizit nicht äußert (die wenn dann auch nicht mit gelieferten Waffensystemen staatfinden), und weil Berichte zu Folgen dieser Militäraktionen oft von russischer Seite kommen (und zumindest teilweise nachgewiesenermaßen nicht korrekt waren), bin ich ohne glaubwürdige Detailinformationen immer eher vorsichtig, vorschnelle Bewertungen zu treffen. 

Insbesondere weil das humanitäre Völkerrecht mit Blick auf die Selbstverteidigung mehrere Abwägungen vornimmt, und weil für die endgültige Bewertung, ob eine militärische Aktion vom Völkerrecht gedeckt ist, detaillierte Kenntnis über das genaue Ziel, die Art und Weise der Ausführung und weitere Aspekte unerlässlich ist. Zugleich sehe ich keine systematische Kriegsführung der Ukraine, die wie Russland bewusst zivile Ziele ins Visier nimmt und auf maximale zivile Opfer ausgerichtet ist.Auch wenn das über den konkreten Gegenstand Ihrer Frage hinausgeht, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass ich den Einsatz von Streumunition durch die Ukraine kritisch kommentiert habe – auch wenn hier ebenso zum gesamten Bild wieder gehört, dass Russland diese Munition in deutlich größerem und skrupelloseren Ausmaß einsetzt (und auf fremdem, nicht eigenem Territorium). 

Meine Aussagen zu dem Thema finden Sie in diesem Artikel: https://www.spiegel.de/politik/ukrainische-forderung-nach-geaechteten-waffen-stoesst-in-deutschland-auf-ablehnung-a-c5223e9f-1f0e-42a3-aa91-d0ffb708f33eZuletzt möchte ich noch einmal betonen, dass der von mir auf mehreren Ebenen ausführlich beschriebene immense qualitative und quantitative Unterschied zwischen der ukrainischen Selbstverteidigung und dem russischen Angriffskrieg auch darin deutlich wird, dass in der Ukraine mögliche Regelverletzungen durch die eigene Justiz verfolgt wurden und entsprechende Urteile erlassen wurden. Im hässlichen Kontrast dazu hat Präsident Putin nach der Enthüllung der ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen und Massaker in den besetzten Gebieten die Massenmörder bewusst und aus meiner Sicht auch mit der klaren Botschaft der Unterstützung geehrt.

Bei der Verteidigung des Friedens, der internationalen Ordnung auf unserem Kontinent und gegen die Aggression Russlands stehen wir fest an der Seite der Menschen in der Ukraine. 

Mit freundlichen Grüßen

Agnieszka Brugger

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