Sind die Grünen zur atomaren Aufrüstungspartei geworden?
Sehr geehrte Frau Brugger, in der derzeitigen Debatte vertreten die Grünen und auch Sie persönlich -- wenn ich alles richtig verstanden habe -- Positionen wie die Befürwortung von Waffenlieferungen und die Aufrüstung der Bundeswehr einschließlich der Aufstockung von internationalen Nato-Truppen in den Staaten der unmittelbaren Nachbarschaft zu Russland. Wie verträgt sich das mit der Geschichte Ihrer Partei? Petra Kelly und Heinrich Böll waren Redner auf der großen antiatomaren Friedensdemonstration am 10. Oktober 1983 in Bonn. Glauben Sie, dass beide, wenn sie noch lebten, die jetzige Politik Ihrer Partei noch unterstützen würden? Verfolgen die Grünen überhaupt noch das Ziel einer atomaren Abrüstung und wie wollen sie sich dafür einsetzen? Werden Sie weiterer Aufrüstungd er Nato und der Bundeswehr zustimmen und wenn ja, warum? Müsste die Heinrich-Böll-Stiftung nicht umbenannt werden in z.B. Georg-W.-Bush-Stiftung? Und was ist mit dem Klima? Panzer mit E-Antrieb?
Sehr geehrter Herr G.
vielen Dank für Ihre Frage. Die brutale Aggression Russlands richtet sich nicht nur gegen unsere Freund*innen in der Ukraine, sondern gegen unsere gemeinsame Friedensordnung, gegen das internationale Recht, gegen Demokratie und Freiheit. Wir stehen in diesen furchtbaren Tagen fest an der Seite unser ukrainischen Partner*innen.
Die Bundesregierung vor Kriegsausbruch nichts unversucht gelassen, damit dieser Konflikt am Verhandlungstisch und nicht mit Waffengewalt ausgetragen wird. Es ist richtig, dass die harten Reaktionen auf diesen aggressiven Völkerrechtsbruch in einer breiten internationalen Allianz erfolgen.
Die brutale Invasion Russlands in der Ukraine ist eine historische Zäsur, die uns vor große Herausforderung steht. Es ist die Absage von Wladimir Putin gemeinsame europäische Sicherheit über Vertrauen, Verträge und Vereinbarungen zum Wohl aller Menschen auf unserem Kontinent zu organisieren.
Nach wie vor bin und bleibe ich der festen Überzeugung, setze mich politisch mit aller Kraft dafür ein, dass die vielen Konflikte und Krisen dieser Welt am Verhandlungstisch lösen können. Es ist genau diese Idee, die Präsident Putin gerade angreift, indem er versucht mit militärischer Brutalität das Recht des Stärkeren durchzusetzen in einem eklatanten Bruch der Charta der Vereinten Nationen und einer Reihe von europäischen Vereinbarungen, die Russland selbst unterstützt hat. Er greift dabei auch Werte wie Demokratie und Freiheit an, die uns besonders wichtig sind. Die Realität führt uns vor Augen, dass unsere Sicherheit leider keine Selbstverständlichkeit ist.
Um unsere gemeinsame Sicherheitsordnung, das Völkerrecht, unsere Verbündeten und unsere Bürger*innen vor solcher skrupellosen Gewalt und weiteren Bedrohung zu schützen, brauchen wir eine gemeinsame, mit unseren Partner vereinbarte und starke sicherheitspolitische Antwort mit dem Ziel, Präsident Putin aber auch andere Regelbrecher vor weiterer Aggression abzuhalten.
Sicherheit wird zwar wieder stärker militärisch definiert werden, aber sie darf nicht nur auf diesen Bereich verkürzt werden. Natürlich wäre es für alle Menschen auf unserem Kontinent der bessere und klügere Weg gewesen, über Vertrauen und Zusammenarbeit gemeinsam die globalen Herausforderungen anzugehen. Probleme wie die Klimakrise und die Pandemie verschwinden nicht einfach. Die Lehre aus diesen düsteren Tagen muss daher auch sein, noch stärkere Bündnisse mit anderen Staaten zu schmieden, die diese Überzeugungen teilen. Und mit ihnen gemeinsam Resilienz, Wehrhaftigkeit und internationales Recht zu stärken. Gerade weil genau dieses Fundament des Rechtes und der Werte von brutalen Autokraten gezielt angegriffen wird.
Angesichts dieser neuen Lage auf unserem Kontinent müssen wir mehr für unsere Sicherheit tun und dafür auch mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen - in all ihren Dimensionen. Dabei geht es um die vielen Probleme bei der Bundeswehr, aber auch um Energiesouveränität, Diplomatie, Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Ja, wir werden mehr Geld für eine angemessene Ausstattung der Bundeswehr ausgeben müssen. Dabei geht es aber nicht um Aufrüstung oder Aggression, sondern um Schutz.
Gleichzeitig werden Rüstungskontrolle und Abrüstung in einer unsicheren Welt wieder wichtiger werden. Auf den zivilisatorischen Rückschritt, den der Angriffskrieg von Präsident Putin auf diesem Kontinent darstellt, werden wir auch mit der Wiederbelebung von starken gegenseitigen Verteidigungsbündnissen wie der Nato antworten müssen, die sowohl auf Abschreckung als auch auf Dialog setzen. Aber auch mit Blick auf die Auseinandersetzung des Kalten Krieges muss man feststellen, dass über Rüstungskontrolle und später auch Abrüstungsverträge, gerade in den Zeiten großer Gefahr und Auseinandersetzung zwischen Atommächten, gewisse Risiken eingehegt wurden. Ob, wie, wann und mit wem das möglich ist, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
Mit freundlichen Grüßen
Agnieszka Brugger