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Agnieszka Brugger
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Diethard G. •

Frage an Agnieszka Brugger von Diethard G. bezüglich Verteidigung

Sehr geehrte Frau Brugger, ich frage Sie als Mitglied einer einst von konsequenten Kriegsgegnern gegründeten Partei: Inwieweit sehen Sie durch die Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO im Zusammenhang mit den aktuellen Spannungen mit der russischen Bevölkerung in der Ukraine eine Gefahr eines durch den Bündnisautomatismus ( wie im ersten Weltkrieg) ausgelösten weltweiten Krieges? Außerdem möchte ich wissen, ob die NATO unabhängig von den Parlamenten der Mitgliedländer eigenständig militärische Handlungen befehlen kann? Ich denke hierbei zum Beispiel an den Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Günther,
vielen Dank für ihre beiden Fragen.

Ich möchte zuerst ihre beiden Fragen beantworten und dann noch einmal die Politik mit Blick auf die europäische Sicherheit und den Kurs gegenüber der aktuellen Politik des Kremls etwas grundsätzlicher einordnen.

In der NATO gibt es weder einen Automatismus bei der Ausrufung eines Bündnisfalls, noch kann die NATO diesen oder die Entsendung von Streitkräften in einen Einsatz selbst beschließen. Solche gravierenden Entscheidungen werden von den Mitgliedsstaaten und hinsichtlich des Bündnisfalles nur als einstimmiger Beschluss getroffen. Auch nach der einstimmigen Feststellung entscheiden die Mitgliedsstaaten souverän, ob und welche militärischen Beiträge sie für einen solchen Fall zur Verfügung stellen. Bei der Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen entscheidet der Bundestag über ihre Entsendung anhand eines Mandates, das von der Bundesregierung vorgelegt wird. Von besonderer Relevanz ist dabei das Kriterium, wie groß die Wahrscheinlichkeit von bewaffneten Auseinandersetzungen ist. Da die Ukraine kein Mitglied der NATO ist, greifen aber ohnehin in diesem Fall die entsprechenden Artikel des Nordatlantikvertrages nicht.

Ich bin der festen Auffassung, dass wir eine Reihe von weltweiten Herausforderungen sehen – von der Pandemie über die Klimakrise bis zur Gefahr von Massenvernichtungswaffen. Wenn wir diese Probleme lösen wollen, dann müssen wir das gemeinsam am Verhandlungstisch tun, und auch das ist ein wichtiger Grund, weshalb die Staaten der EU ein großes Interesse an besseren Beziehungen zu Russland haben. Wir wollen die Verbindungen und den Austausch zwischen den Zivilgesellschaften stärken und ausbauen. Langfristige Sicherheit in Europa kann es nur mit und nicht gegen Russland geben, auch wenn gerade jetzt Russland eher eine die Stabilität in der Region untergrabende Rolle spielt.

Ich habe in der Vergangenheit auch nicht mit Kritik gegenüber der NATO gespart, ob beim Zwei-Prozent-Ziel oder auch beim Raketenabwehrsystem. Zugleich gilt es aber auch der Realität ins Auge zu schauen: Nicht nur mit der Besatzung der Krim und seiner Destabilisierungspolitik in der Ostukraine fügt Russland der Ukraine und der gesamten europäischen Friedensordnung massiven Schaden zu und hat mit der Besetzung der Krim völkerrechtswidrig und mit militärischen Mitteln Grenzen in Europa verschoben und darüber hinaus auch einen wichtigen Abrüstungsvertrag, das Budapester Memorandum, massiv gebrochen.

Auch die Verbrechen in Syrien, der Angriff mit völkerrechtswidrigen chemischen Kampfstoffen in Salisbury, die Hackerattacken in Deutschland wie auf den Bundestag und der Auftragsmord im Tiergarten direkt vor den Türen unseres Parlaments, eine Reihe von unangemeldeten Militärmanövern, bei denen die vereinbarten Regeln nicht eingehalten werden und nicht zuletzt die massive Gewalt gegen Oppositionelle zeigen uns eine Eskalation seitens des Kremls, die uns mit großer Sorge erfüllen muss und die wir auch nicht ignorieren können.

Die Bundesregierung darf sich hier nicht dauernd wegducken und sollte daher beispielsweise dem Projekt North Stream 2 die politische Unterstützung entziehen oder sich auch in der EU für gezielte Sanktionen gegen Oligarchen einsetzen. Sie muss die Eskalationen Russlands mit diplomatischen Mitteln und mit klarem und harten Konsequenzen beantworten und mit der Botschaft verbinden, dass wir eigentlich wieder zu Dialog und besseren Beziehungen zurückkehren möchten, wenn der Kreml seinen destruktiven Kurs ändert. Wir sollten auch diejenigen unterstützen, die sich Autokratie, Korruption und Menschenrechtsverletzungen entgegenstellen, ob in Belarus oder in Russland.

Für mich ist aber auch klar: Die Gefahr einer weiteren militärischen Eskalation bleibt hoch, militärisch ist der Konflikt in der Ukraine nicht zu lösen. Eine nachhaltige Friedensordnung kann es nur über den diplomatischen Weg geben. Denn ein wichtiges Prinzip der europäischen Politik ist es, Konflikte gemeinsam am Verhandlungstisch und im multilateralen Rahmen zu lösen. Voraussetzung dafür sind die Umsetzung des Minsker Abkommens und die Rückgabe der Krim an die Ukraine.

Echte Sicherheit für alle Menschen in der Ukraine setzt voraus, dass sich die russische Politik verändert. Die Achtung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten sowie die Einhaltung völkerrechtlicher Verträge bleiben dabei Voraussetzung für dauerhaften Frieden und Stabilität.

Mit freundlichen Grüßen
Agnieszka Brugger

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