Frage an Agnieszka Brugger von Dagny L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Brugger,
vor einigen Wochen habe ich in der ZEIT einen Artikel gelesen, der über das irische Modell der Bürgerversammlung* berichtet. Mich fasziniert diese Idee, weil sie vielleicht eine Möglichkeit wäre, Interesse und Akzeptanz für die politische Arbeit zu stärken. Mich würde interessieren, ob es eine Partei in Deutschland gibt, die solche Alternativen diskutiert bzw. Befürwortet. Deswegen zwei Fragen, die sie einfach mit Ja oder Nein beantworten können. Sollten Sie Lust und Zeit haben, würde ich mich aber natürlich auch über eine Begründung freuen.
• Gibt es bei den Grünen Bestrebungen eine Art Bürgerversammlung ähnlich dem irischen Modell auch in Deutschland einzuführen?
• Würden Sie persönlich, sollte es zu einer Abstimmung über diese Frage kommen, mit Ja stimmen?
Vielen Dank und freundliche Grüße
Dagny Locher
*Die irische Bürgerversammlung funktioniert folgendermaßen: 99 Iren, ganz normale Menschen, zufällig ausgewählt, tagen ein Jahr lang, ein Wochenende im Monat. Sie sprechen mit Experten, Betroffenen, Vertretern verschiedener Gruppierungen. Anschließend debattieren sie über das Thema. Vergangenes Jahr über die Homo-Ehe, in Zukunft über den Klimawandel, eine Wahlreform, die Überalterung Irlands. Anschließend schicken sie Empfehlungen an das Parlament.
Solche Bürgerversammlungen gibt es nicht nur in Irland, sondern auch in Kanada, den Niederlanden und Island. Hier haben per Los ausgewählte Gruppen etwa über eine Wahlrechtsreform oder bestimmte Verfassungsartikel beraten.
Sehr geehrte Frau Locher,
vielen Dank für Ihre Frage und Ihren Impuls für mehr Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern bei politischen Entscheidungsprozessen. Wir Grüne haben in der Vergangenheit immer wieder neue Ideen unterstützt und auch in der eigenen Partei ausprobiert, um Bürgerbeteiligung zu erhöhen und mehr direktdemokratische Entscheidungen zu ermöglichen. Deshalb sind wir grundsätzlich auch Ideen, wie der von Ihnen angesprochenen Bürgerversammlung aufgeschlossen.
Ein ähnliches Modell - das Bürgerpanel, bei dem auf kommunaler Ebene per repräsentativer Stichprobe Bürgerinnen und Bürger ausgewählt werden, die zu aktuellen Themen ein Meinungsbild abgeben - haben wir bereits vor Jahren in unseren Handlungskatalog aufgenommen. Daneben setzen wir uns für sogenannte Bürgerhaushalte ein, bei denen die Bürgerinnen und Bürger über die Verwendung von Haushaltsmitteln in ihren Gemeinden mitbestimmen. Rund 270 Kommunen in Deutschland gehen dabei schon mit gutem Beispiel voran. Eine Zusammenstellung solcher Projekte finden Sie unter https://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Demokratiekongress/Best_Practice_Beispiele_f%C3%BCr_B%C3%BCrgerbeteiligung_IngridH%C3%B6nlinger.pdf.
Um aber Ihre konkrete Frage zu beantworten: Ich kann mir sehr gut vorstellen, eine solches Konstrukt auch auf Bundesebene zu unterstützen. Die besten politischen Debatten und die überzeugendsten Ideen entstehen meiner Erfahrungen nach besonders dann, wenn Vielfalt und unterschiedliche Perspektiven in einem konstruktiven und lebendigen Dialog aufeinandertreffen. Gleichzeitig ist eine solche Bürgerversammlung ein Ort, in dem Bürgerinnen und Bürger die Gelegenheit bekommen auch jenseits von Parteien an der Politik teilzunehmen, sich intensiv und differenziert mit verschiedenen Argumenten auseinanderzusetzen.
Aber für uns Grünen ist auch direkte Demokratie eine wichtige Forderung, die uns sehr am Herzen liegt. Neben der direktdemokratischen Beteiligung auf allen Ebenen wollen wir Volksentscheide im Grundgesetz verankern und das Wahlalter auf 16 Jahre senken, um junge Menschen die Möglichkeit zu geben, mit über ihre Zukunft zu entscheiden. Unsere Forderungen finden Sie unter anderem in unserem Wahlprogramm für die letzte Bundestagswahl: https://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/BUENDNIS_90_DIE_GRUENEN_Bundestagswahlprogramm_2017.pdf.
Freundliche Grüße
Agnieszka Brugger