Frage an Agnieszka Brugger von Christine G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Malczak,
Sie schreiben auf Ihrer Internetseite, dass Sie sich in Ihrem Studium intensiv damit beschäftigt haben, wie man Konflikte mit zivilen Mitteln lösen bzw. verhindern kann. Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund Ihrer Ausbildung die massive Kritik Ihrer Parteikollegen Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit an der Bundesregierung dafür, dass Deutschland im Sicherheitsrat nicht für ein militärisches Eingreifen in Libyen gestimmt hat? Werden Sie sich dafür aussprechen, dass die Bombenangriffe der Koalition auf Libyen eingestellt werden, damit der Konflikt friedlich gelöst werden kann?
Quelle: ( http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,752488,00.html )
Mit freundlichen Grüßen
Chr. Gärtner
Sehr geehrte Frau Gärtner,
vielen Dank für Ihre Anfrage!
Die Situation in Libyen spitzt sich immer weiter zu. Gaddafi bekämpft mit seinen verbliebenen Truppen die Aufständischen mit härtester Gewalt und ist ihnen mit seinen Waffen überlegen. Die Bevölkerung leidet unter den Kämpfen und flieht zu Tausenden aus dem Land. Die internationale Gemeinschaft kann nicht zusehen, wie das libysche Regime die eigene Bevölkerung terrorisiert. Stattdessen muss sie mit geeigneten Mitteln alles tun, um einen größtmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Die Frage ist nun, mit welchen Mitteln dies geschehen soll.
Wer denkt, dass mit einer Flugverbotszone alles gut würde in Libyen, der irrt. Denn um eine Flugverbotszone durchzusetzen, muss zunächst massiv die Luftabwehr Libyens bombardiert werden. Zivile Opfer sind dabei nicht ausgeschlossen. Die Folgen von zivilen Opfern für die Akzeptanz eines westlichen Eingreifens sind von heute aus gesehen völlig unklar und die Gefahr einer weiteren Eskalation des Konflikts groß. Dass Deutschland an der Durchsetzung der Flugverbotszone nicht teilnimmt ist deshalb richtig. Zu groß sind die damit verbundenen militärischen und humanitären Risiken. Die Äußerungen von Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit kann ich vor diesem Hintergrund überhaupt nicht nachvollziehen. Cohn-Bendits Vergleich mit dem Warschauer Ghetto entbehrt jeder Grundlage und absolut inakzeptabel.
Dass die Bundesregierung jedoch jede militärische Beteiligung kategorisch ausgeschlossen hat, zeigt, wie wenig durchdacht ihre Strategie ist. Mit einer Teilnahme an einem seegestützten Waffenembargo beispielsweise hätte Deutschland nicht nur demonstriert, dass wir die Gewaltanwendung Gaddafis gegen die Bevölkerung Libyens nicht tolerieren, sondern sich auch einen Gestaltungsraum für eine möglichst deeskalierende Bearbeitung des Konfliktes bewahrt. Eine solche Einflussmöglichkeit bleibt der Bundesregierung nun selbstverschuldet verschlossen. Die Bundesregierung reagierte viel zu spät und agiert nun völlig orientierungslos. Statt sich engagiert für eine Konfliktbearbeitung mit zivilen Mitteln einzusetzen und hierzu Initiativen zu ergreifen, hat sie sich in eine völlig passive Rolle manövriert.
Gerade unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit lassen zur Vorsicht beim schnellen Hantieren mit militärischen Optionen raten. Ich warne deshalb vor einer militärfixierten Debatte und werbe stattdessen dafür, den Druck auf Gaddafi durch weitere zivile Sanktionen zu erhöhen. Alle nicht-militärischen Mittel zum Schutz der Zivilbevölkerung müssen zur Anwendung gebracht werden. Wir fordern, das Regime international weiter zu isolieren und keine Geldflüsse aus dem Ausland nach Libyen mehr zuzulassen. Es darf außerdem keinerlei wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Gaddafi-Regime mehr geben. Zudem muss humanitäre und medizinische Hilfe das Gebot der Stunde sein. Hierzu zählt auch ein konsequenter Flüchtlingsschutz in gesamteuropäischer Verantwortung.
Es ist ein trauriger und zugleich zynischer Umstand, dass jetzt mit militärischen Mitteln ein Diktator bekämpft wird, den man jahrelang „aufgerüstet“ hat. 2009 wurden laut Rüstungsexportbericht der Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) Rüstungsgüter im Wert von 53,1 Mio € aus Deutschland nach Libyen geliefert. Welche und wie viele deutsche Waffen darüber hinaus nach Libyen gelangt sind, kann die Bundesregierung nicht sagen, weil sie den Endverbleib von Waffenexporten de facto nicht kontrolliert. Diese laxe Praxis in der Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung, die sich zunehmend an den wirtschaftlichen Interessen der Rüstungsindustrie orientiert, ist skandalös. Hier muss es bei der Bundesregierung dringend ein generelles Umdenken jenseits der bereits angeordneten Rüstungsexportstopps in Länder wie Ägypten und Libyen geben. Der Fall Libyen zeigt auf bittere Weise, wie sich die deutsche und europäische Unterstützung der Aufrüstung des Gaddafi-Regimes im Nachhinein rächt, zum großen Leid der dortigen Zivilbevölkerung.
Mit freundlichen Grüßen
Agnieszka Malczak