Frage an Agnes Krumwiede von Clemens W. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Krumwiede,
meine Frau (53 Jahre) ist Orchestermusikerin in einem Philh. Orchester einer mittleren Großstadt (180.000 EW). Sie spielt Trompete. Seit einiger Zeit wachsen ihre Beschwerden - Reizüberempfindlichkeit, Tinitus, psychosomatische Beschwerden (Bauchschmerzen, Krämpfe, Kopfschmerzen, Verspannungen im Rücken und Schulterbereich). Organische Beschwerden/ Verletzungen liegen laut Arztbericht nicht vor. Es gibt jedoch kaum Ärzte, die überhaupt etwas von der "Berufsnotwendigkeit" des Musikers verstehen. Ihre Aufgabe: die gesamte Orchesterliteratur zu spielen. Orch.musiker sein bedeutet, absolute Höchstleistungen punktgenau zu erbringen. Dies ist nicht nur eine "persönlich-kulturelle" Entscheidung (nach dem Motto: ich möchte meine Arbeit gut machen), sondern auch extrem wichtig für die Anerkennung in der Gruppe, im Orchester/ GMD insgesamt. Dazu kommen extreme Lautstärkebelastungen durch die Mitmusiker am Blech und vor allem am Schlagzeug; dabei werden bis zu 125 dez. erreicht.
Ich frage an, (1) gibt es einen besonderen strukturellen Gesundheitsschutz für Orch.Musiker; (2) ist bekannt, dass Orch.Musiker weit früher und häufiger Rente beantragen müssen aus Gesundheitsschäden als Nichtmusiker (darunter "viele" frühzeitige Todesfälle/ Stress/ Infarkte/ Schlaganfälle); (3) gibt es Förderprogramme für den persönlichen Gesundheitsschutz; (4) können oder werden psychosomatische Schäden (ähnlich wie "burn out") als Berufskrankheit von Musikern anerkannt - um früher in Rente gehen zu können.
Zur Info: es gibt knapp 10.000 Musiker in Kulturorchestern in Deutschland; eine relativ kleine "Interessengruppe". Pro Woche sind ca. 9 - 10 Dienste (ein Dienst = 3 Std. Dauer) zu leisten; dies kann mehrere Wochen hintereinander so gehen, ohne dass es einen angemessener Dienstausgleich gibt. Sondertermine sind nicht gerechnet (zB. Benefiz-Konzert/ Sparkassen-Jubiläum/ Ausstellungseröffnung, etc.). Die Interessenvertretung ist auf Arbeitn.-Seite die DOV
Sehr geehrter Herr Wolff,
vielen Dank für ihre klaren und interessanten Fragen. Als Musikerin weiß ich aus eigener Erfahrung, dass die Arbeitsbedingungen von MusikerInnen oft katastrophal sind. Als Abgeordnete setze ich mich für eine Verbesserung der sozialen Lage von Kulturschaffenden ein. Aber aus dem Kopf konnte ich ihre Fragen nicht alle beantworten. Es hat etwas gedauert, bei der Deutschen Orchestervereinigung, der Berufsgenossenschaft und der Deutschen Rentenversicherung die entsprechenden Daten einzuholen.
Die formalen und statistischen Antworten, die ich Ihnen geben kann, werden der Intention, die Sie hatten, wohl nicht gerecht. Die spezielle Gesundheitsbelastung von OrchestermusikerInnen ist nicht ausreichend erforscht und aus den Zahlen, die zur Verfügung stehen, lässt sich nicht ablesen, dass sie besonders gefährdet sind.
Ich weiß aber aus eigener Erfahrung als Pianistin, wie sehr Musik als Beruf auch körperlich anstrengt. Eine Verbesserung der der Absicherung, Anerkennung und nicht zuletzt Bezahlung von Kulturschaffenden ist daher eins der wichtigsten Ziele in meiner politischen Arbeit.
Nun aber die konkreten Antworten auf Ihre Fragen.
(1) gibt es einen besonderen strukturellen Gesundheitsschutz für Orchestermusiker:
Der Gesundheitsschutz und die Prävention werden in den einzelnen Betrieben sehr unterschiedlich gehandhabt. Der DOV berichtet, dass in der Regel nur gesetzliche Mindeststandards wie Lärmschutz, technische Sicherheit oder Mutterschutz erfüllt werden. Aus Arbeitnehmersicht sind in den Betrieben die Betriebs- und Personalräte für die Wahrnehmung der berechtigten Gesundheitsbelange der Beschäftigten zuständig. Auch diese Verantwortung wird örtlich sehr unterschiedliche wahrgenommen.
Der DOV verweist auch auf die Association of British Orchestras (ABO), die seit einigen Jahren eine vorbildliche „Healthy Orchestra Charter“ propagiert (http://www.abo.org.uk/Information/Healthy-Orchestra/). Etwas ähnliches gibt es in Deutschland aber noch nicht.
(2) ist bekannt, dass Orch.Musiker weit früher und häufiger Rente beantragen müssen aus Gesundheitsschäden als Nichtmusiker (darunter "viele" frühzeitige Todesfälle/ Stress/ Infarkte/ Schlaganfälle):
Von den insgesamt 589 MusikerInnen, die im Jahre 2010 in Rente gegangen sind, war bei 105 oder 18,5% Berufsunfähigkeit der Grund. Das ist weniger als der Durchschnitt (26,8%) und sehr deutlich weniger als bei typischen Burn Out Berufen wie KindergärtnerInnen (44,5%). Allerdings sind diese Zahlen, die von der Deutschen Rentenversicherung kommen, sehr ungenau und erfassen nicht alle MusikerInnen, sondern nur solche die als MusikerInnen rentenversichert sind – was aber bei langjährigen OrchestermusikerInnen der Fall sein sollte. MusikerInnen, die nach einem Autounfall berufsunfähig sind werden darin ebenso erfasst wie solche, die wegen der Ausübung ihres Berufs erkranken. Außerdem werden OrchestermusikerInnen in dieser Statistik nicht extra erfasst.
Die Frage ist damit zwar nicht abschließend beantwortet, aus den Zahlen, die zur Verfügung stehen lässt sich aber auch kein Hinweis auf eine besonders hohe Quote von berufsbedingt frühverrenteten MusikerInnen ablesen.
(3) gibt es Förderprogramme für den persönlichen Gesundheitsschutz:
Nein, es gibt dafür leider keine speziellen Förderprogramme.
(4) können oder werden psychosomatische Schäden (ähnlich wie "burn out") als Berufskrankheit von Musikern anerkannt – um früher in Rente gehen zu können:
Was eine Berufskrankheit ist, regelt SGB VII §9. Nur was die Bundesregierung in die Liste der Berufskrankheiten aufnimmt, kann als Berufskrankheit anerkannt werden. Zu diesen sogenannten Listenkrankheiten gehört Burn Out nicht. Es kann also niemandem als Berufskrankheit anerkannt werden, egal ob die Krankheit im Einzelfall eindeutig auf die Belastung im Beruf zurückgeht oder nicht. Abweichend von der Liste können die Berufsgenossenschaften auch Krankheiten, bei denen wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, dass bestimmte Berufsgruppen von einer Krankheit verglichen mit dem Rest der Bevölkerung besonders häufig betroffen sind, diese als Berufskrankheit anerkennen. Dazu braucht es aber belastbare wissenschaftliche Studien, die teuer sind. Da nun KünstlerInnen nur kleine Gruppen sind und leider nicht immer besonders im Focus der Wissenschaft und Politik stehen, gibt es diese Studien oft nicht. So haben zum Beispiel auch ArtistInnen mit Gelenkproblemen trotz offensichtlicher Berufsbedingtheit keine Chance, ihre Gelenkprobleme als Berufskrankheit anerkennen zu lassen.
Mit Burn Out ist es sogar noch schwieriger. Burn Out ist als psychisches Syndrom nur schwer definierbar, überschneidet sich oft mit Depressionen und ist in vielen Gruppen sehr weit verbreitet. Das als Berufskrankheit für MusikerInnen anerkennen zu lassen, wäre sehr, sehr schwierig.
Als Antwort auf ihre Frage also kurz: Nein. Es ist leider nicht möglich, dass sich MusikerInnen psychosomatische Schäden wie Burn Out anerkennen als Berufskrankheit anerkennen lassen, um in Frührente zu gehen.
Mit freundlichen Grüßen
Agnes Krumwiede