Frage an Agnes Krumwiede von Dietmar S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Krumwiede,
im folgenden verlinkten Artikel geht es um "Deutsche Zustände", so heißt die von Wissenschaftlern unter Leitung des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer erstellte große interdisziplinäre Langzeitstudie, die in diesem Monat in ihrer neunten Auflage veröffentlicht wurde. Was Heitmeyer und seine Kollegen über die Befindlichkeiten der Deutschen herausfanden, ist im höchsten Maße alarmierend.
So ist von einer "deutlichen Vereisung des sozialen Klimas", von einer "rohen Bürgerlichkeit", und von einem "zunehmenden Klassenkampf von oben" die Rede. "Zivilisierte, tolerante, differenzierte Einstellungen in höheren Einkommensgruppen scheinen sich in unzivilisierte, intolerante Einstellungen zu wandeln" - es gäbe Hinweise auf eine "entsicherte wie entkultivierte Bürgerlichkeit", so die Wissenschaftler.
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33857/1.html
Dies ist auch m.E. höchst alarmierend, weil sich Wertvorstellungen zu Toleranz, Gemeinsinn etc. gerade im Mittelstand, im Bildungsbürgertum, bei den sog. gut Situierten ins Negative ändern!
Was unternehmen Sie persönlich und ganz konkret in der nächsten Zeit als Abgeordnete, um dieser bedrohlichen Entwicklung entgegenzuwirken?
Mit freundlichen Grüßen
Dietmar Schmutzer
„Arm und elend sind wir. Wenn wir jetzt auch noch dumm werden, können wir aufhören, ein Staat zu sein.“
Christian VIII. Friedrich, König von Dänemark und Norwegen, Entgegnung auf den Einspruch des Finanzministers gegen die Erhöhung des Bildungsetats
Sehr geehrter Herr Schmutzer,
vielen Dank für Ihre Frage. Die Ergebnisse der Studien von Herrn Heitmeyer sind in der Tat alarmierend und werden an einigen Stellen sogar immer schlimmer.
Als Abgeordnete haben wir die Chance, dass uns viele Leute zuhören. Leider nutzen viele PolitikerInnen das nicht, sondern schwimmen lieber mit dem Mainstream. Ich nutze diese Chance immer wieder, um gegen Rassismus und für Solidarität zu streiten – zum Beispiel in Antworten auf die vielen Anfragen besorgter BürgerInnen in der Finanzkrise, in der Sorge um eine faire Behandlung von Asylsuchenden in meinem Wahlkreis oder protestierend, als Thilo Sarrazin in meiner Heimatstadt seine Thesen von der biologischen Minderwertigkeit der Unterschicht verbreiten wollte.
Wir werden als Grüne im nächsten Jahr viel eisigen Gegenwind bekommen, wenn sich die öffentliche Debatte um die Finanzkrise im Wahlkampf noch stärker auf die Ressentiments vieler Menschen gegen die vermeintlich faulen SüdländerInnen richtet, die „unser Geld“ wollen und wir auf die ökonomische Vernunft und die europäische Solidarität pochen. Wir stehen das durch.
Die Studien von Herrn Heitmeyer zeigen an einigen wenigen Punkten auch positive Entwicklungen. Die offene Ablehnung von Homosexuellen oder der Wunsch, Frauen an den Herd zu verbannen nehmen stetig ab. Das hat auch damit zu tun, dass die Diskussionen darum in den vergangenen Jahrzehnten geführt wurden und die ersten geouteten Homosexuellen und FeministInnen viel durchgemacht haben.
Bei aller Sorge um die zu lösenden Zukunftsfragen bleibt genug Hoffnung, um weiterzukämpfen.
Mit freundlichen Grüßen
Agnes Krumwiede