Wenn auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe mittelfristig verzichtet werden muss, stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit von North-Stream 2. Welche Position vertreten Sie? Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr H.,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne beantworte.
Für mich sprechen gute Gründe für den Bau der Nord-Stream 2-Pipeline.
Zunächst ist es in der Tat so, dass wir zum Erreichen unserer Klimaziele das Verbrennen fossiler Rohstoffe möglichst schnell beenden müssen. Nach 250 Jahren mit Kohle und Öl wollen und müssen wir in Zukunft klimaneutral wirtschaften und leben. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, parallel zum nächstes Jahr beendeten Atomausstieg, mit dem Kohleausstieg zu beginnen.
Die wichtigste Voraussetzung für eine gelingende Energiewende ist, dass ausreichend erneuerbare Energie zur Verfügung steht. Zwar haben wir gegen den Widerstand der Union eine Anhebung des Ausbauziels ebenso erreicht, wie die Streichung des 52-Gigawatt-Deckels beim Solarstrom. Aber wir werden noch ambitionierte Ausbauziele verfolgen und diese mit dem Energieleitungsausbau sowie möglichst effektiven Energiespeichern in Einklang bringen müssen.
Je nachdem wie erfolgreich wir dabei sind kann es notwendig und sinnvoll sein, modernste, nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung arbeitende Gaskraftwerke zum Schließen einer Stromlücke oder als Reservekapazität bei Nachfragespitzen vorzuhalten.
Eines aber noch zur Klarstellung: Sollten wir Gaskraftwerke für einen Übergangszeitraum nutzen, muss das dadurch erzeugte CO2 natürlich in anderen Sektoren eingespart werden. Nur so können wir unser CO2-Budget einhalten und die Ziele des Pariser Abkommens erfüllen.
Doch selbst wenn wir unseren Strombedarf bald vollständig aus erneuerbaren Energien decken können und Gaskraftwerke nicht gebraucht werden, werden wir trotzdem noch Erdgas als wichtigen Rohstoff für die chemische Industrie importieren.
Wir werden also noch lange auf Gasimporte angewiesen sein. Gleichzeitig entwickeln sich beispielsweise die Niederlande gerade vom Ex- zum Importeur und die Nachfrage nach Gas in der EU steigt. Aus diesen Gründen halte ich eine Diversifizierung der Gasversorgung für richtig. Neben Nord-Stream 2 zählt hierzu für mich auch der Bau eines LNG-Terminals, wie er in Brunsbüttel geplant ist.
Und vor dem Hintergrund, dass nun auch eine Lösung gefunden wurde mit der die Ukraine gut leben kann, fällt es mir noch leichter mich für diese Pipeline auszusprechen:
https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/nord-stream-2-einigung-101.html
Abschließend noch ein Gedanke zur zukünftigen Nutzung: Selbst wenn wir nicht auf Gasimporte durch die Pipeline angewiesen sind, sollten wir bedenken, dass Russland ein riesiges Potential für Onshore-Windenergie hat. Dies bietet die Chance zur Herstellung von Wasserstoff. Hiernach haben wir langfristig einen großen, nicht selbst zu deckenden Bedarf. Auch diesen könnte man durch die Pipeline transportieren.
Mit freundlichen Grüßen
Adis Ahmetovic