Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben in den ersten sieben Monaten der Legislaturperiode bereits Nebeneinkünfte von mindestens 5,5 Mio. Euro erhalten. Das berichten die Transparenzorganisation abgeordnetenwatch.de und der SPIEGEL, die die Selbstauskünfte der Parlamentarier auf der Internetseite des Bundestages ausgewertet haben. Danach meldete mehr als jeder fünfte Volksvertreter mindestens eine angabepflichtige Nebeneinkunft (alle Zahlen hier.)
Laut abgeordnetenwatch.de kassieren manche Abgeordnete zum Teil beträchtliche Summen für Posten in Unternehmensgremien. Beispiele:
- Der FDP-Bundestagsabgeordnete Hermann Otto Solms erhält von der Deutschen Vermögensberatung AG (DVAG) für einen Beiratsposten jährlich zwischen 15.000 und 30.000 Euro.
- Die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) kassiert für einen Verwaltungsratsposten vom Schweizer Pharmahersteller Siegfried Holdling AG monatlich zwischen 3.500 und 7.000 Euro; für das vergangene Jahr meldete sie außerdem ein Zusatzhonorar von mindestens 75.000 Euro.
- Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) meldete als Mitglied eines Expertenbeirats bei der PR-Agentur CNC AG in diesem Jahr Einkünfte zwischen 7.000 und 15.000 Euro. CNC wirbt auf seiner Internetseite damit, „über Jahre hinweg vertrauensvolle Beziehungen“ in die Politik aufgebaut zu haben, „die unseren Kunden zu Gute kommen“.
abgeordnetenwatch.de-Sprecher Roman Ebener fordert Konsequenzen. "Nebentätigkeiten von Politikern in der Wirtschaft sind ein Einfallstor für Lobbyismus. Durch die Postenvergabe an Abgeordnete erkaufen sich Unternehmen einen exklusiven Zugang zur Politik. Deswegen müssen Lobbyjobs in der Wirtschaft endlich verboten werden," so Ebener.
abgeordnetenwatch.de kritisiert außerdem, dass in vielen Fällen die Geldgeber der Abgeordneten unbekannt sind. Freiberufler und Selbständige wie Landwirte oder Anwälte können diese hinter Bezeichnungen wie "Kunde", "Vertragspartner" oder "Mandant" verbergen. So gibt beispielsweise der AfD-Abgeordnete und Rechtsanwalt Enrico Komning den „Mandant 30468“ an, von dem er seit 2017 mindestens 325.000 Euro erhalten hat.
"Dass unsere Abgeordneten teils beträchtliche Summen aus anonymen Quellen kassieren, ist skandalös. Alle Nebeneinkünfte müssen endlich vollständig auf den Tisch, mitsamt der Geldgeber," so Roman Ebener.
Zu den Volksvertretern mit hohen Nebenverdiensten gehören u.a. die beiden Ex-Minister Ulla Schmidt (mind. 109.000 Euro) und Peter Ramsauer (mind. 102.500 Euro) sowie FDP-Parteichef Christian Lindner (mind. 77.000 Euro). Schmidt und Ramsauer beziehen ihre Einkünfte zum überwiegenden Teil aus Posten in Unternehmens- oder Verbandsgremien, Lindner wurde für die Teilnahme an Unternehmensempfängen und Vorträge bezahlt.
Die Liste der Nebeneinkünfte wird wie in den Vorjahren von Freiberuflern und Selbstständigen angeführt:
- Albert Stegemann (CDU, Landwirt), mind. 585.000 Euro
- Carl-Julius Cronenberg (FDP, Geschäftsführender Gesellschafter), mind. 508.000 Euro
- Hans-Georg von der Marwitz (CDU, Landwirt), mind. 360.000 Euro
Bei den Beträgen handelt es sich um Bruttozuflüsse, von denen Freiberufler wie Landwirte unter Umständen auch Mitarbeitergehälter oder Investitionen finanzieren müssen. Nebeneinkünfte sind von daher nur bedingt vergleichbar. Allerdings können sich aus den Geschäftsbeziehungen auch Interessenkonflikte ergeben. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Abgeordneter im Ausschuss mit einem Gesetzentwurf befasst ist, der seine Vertragspartner betrifft.
Um geheimen Lobbyismus in die Schranken zu weisen, brauche es dringend schärfere Transparenzregeln. "Welche Kontakte es zwischen Lobbyisten und Politikern gibt und wer an Gesetzen mitwirkt, erfährt die Öffentlichkeit so gut wie nie. Deshalb braucht es ein verbindliches und weitreichendes Lobbyregister. Wir fordern insbesondere Union und FDP auf, ihre bisherige Blockade aufzugeben," so Ebener.
Weiterführende Informationen:
Auswertung: Das sind die Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten (mit Tabelle aller Einkünfte am Ende des Textes)
Hintergrundinformationen zu Nebeneinkünften:
- Bundestagsabgeordnete müssen nicht die tatsächliche Höhe ihrer Nebeneinkünfte in Euro und Cent angeben, sondern in einer von zehn Verdienststufen. Stufe 1 steht für Einkünfte zwischen 1.000 und 3.500 Euro, die Stufe 2 entspricht 3.500 bis 7.000 Euro. Die Höchststufe 10 steht für Einkünfte von mehr als 250.000 Euro. Ob ein Abgeordneter 260.000 oder 1 Mio. Euro erhielt, bleibt im Dunkeln.
- Sämtliche Einkünfte unterhalb von 1.000 Euro monatlich und 10.000 Euro jährlich sind nicht veröffentlichungspflichtig.
- Bundestagsabgeordnete müssen ihre Einkünfte innerhalb von drei Monaten nach Erhalt beim Bundestagspräsidenten melden, sie werden anschließend auf der Bundestagshomepage veröffentlicht. Wegen der dreimonatigen Übergangsfrist kann es sein, dass ein Abgeordneter in den vergangenen Wochen eine Zahlung erhalten hat, diese aber noch nicht in seinem Bundestagsprofil aufgeführt wird. Stand aller Angaben ist der 17 Mai 2018.
- Die Berechnung von abgeordnetenwatch.de beruht auf den Selbstauskünften der Abgeordneten seit Beginn der Legislaturperiode am 24. Oktober 2017 auf bundestag.de. Monatliche Einkünfte wurden mit 6 multipliziert (1. November 2017 bis 30. April 2018). Nebeneinkünfte mit der Angabe "jährlich" wurden einmalig berechnet.
abgeordnetenwatch.de hat Petitionen zur vollständigen Veröffentlichung von Nebeneinkünften sowie zur Einführung eines verbindlichen Lobbyregisters gestartet: