Hamburg / Berlin, 26. Februar 2021 - Der Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein muss sich mit dem Verdacht der Bestechlichkeit, Steuerhinterziehung und möglichen Verstößen gegen die Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages auseinandersetzen. Seit Freitag lässt er deshalb sein Amt als Unionsfraktionsvize ruhen. Doch auch wenn in diesem Fall die Ermittlungen noch laufen, offenbaren sie ein strukturelles Transparenz-Problem: Die Interessenkonflikte sind nur zufällig offengelegt worden, da Nüßlein möglicherweise Einkünfte nicht korrekt versteuert hat. abgeordnetenwatch.de fordert umfassende Transparenz-Regeln.
Nüßlein hat nach abgeordnetenwatch.de-Recherchen dem Gesundheitsausschuss des Bundestages, dem er als stellvertretendes Mitglied angehört, keinen Interessenkonflikt (nach §6 der Verhaltensregeln) angezeigt.
abgeordnetenwatch.de-Sprecherin Léa Briand: „Abgeordnete, die sich in Krisen persönlich bereichern, beschädigen massiv das Ansehen der Politik. Wirksam hiergegen ist vor allem die präventive Wirkung von Transparenzregeln sowie die harte Sanktionierung von Verstößen dagegen. Wir müssen Vertrauen und objektive Entscheidungen als Grundpfeiler unserer Demokratie wirksam vor Ausbeutern schützen.“
abgeordnetenwatch.de fordert den Bundestag auf, die folgenden Transparenz-Schlupflöcher noch vor der Bundestagswahl im September 2021 zu schließen:
Regeln für Abgeordnete
- Vollständige Offenlegung von Unternehmensbeteilgungen (bisher erst ab 25 Prozent)
- Vollständige Offenlegung der durch Beteiligungen erzielten Einkünfte inklusive der Optionen auf Gesellschaftsanteilen (Aktienoptionen) Regeln für Lobbyist:innen - Einführung eines Lobbyregisters, dass insbesondere die Kontakte von Interessenverteter:innen zur Politik offenlegt. Dies ist im aktuellen diskutierten Entwurf der Koalitions-Fraktionen nicht vorgesehen.
- Vollständige Offenlegung von Auftraggebern und geleisteten Zahlungen
Besonders ärgerlich, so abgeordnetenwatch.de: Diese Schlupflöcher sind seit Jahren bekannt. Wesentliche Lücken wurden bereits 2014 im 4. Evaluationsbericht der Antikorruptions-Kommission des Europarates (GRECO) sichtbar. Unter anderem forderte die GRECO, dass Abgeordnete Interessenkonflikte unverzüglich und proaktiv offenlegen müssen. Die Dringlichkeit wurde im Umsetzungsbericht 2019 verschärft: Die GRECO „hielt es aber für bedenklich, dass (…) noch keine konkreten Schritte zur Umsetzung dieser Empfehlung unternommen worden waren.“
Briand weiter: „Mit klaren Regeln wäre der Fall Nüßlein nicht erst bei der Steuerrazzia bekannt geworden. Es ist unklar, ob es weitere ähnliche Fälle gibt. Wir fordern von der Politik noch vor der Wahl eine Transparenz-Offensive zu starten.“
Ergänzende Informationen:
- GRECO: Zweiter Umsetzungsbericht Deutschland in der vierten Evaluierungsrunde, Juni 2019
- Artikel von abgeordnetenwatch.de: Fehlende Transparenzmaßnahmen: Europarat rüffelt Deutschland – und lobt abgeordnetenwatch.de-Aktionen
- Artikel von abgeordnetenwatch.de: Europarat kritisiert Deutschlands Umgang mit Lobbyismus