Hamburg / Berlin, 1. Dezember 2021 – Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder (SPD) hat seit März 2020 mehrfach bei der Bundesregierung zum Thema "Rente" lobbyiert. Das berichten die gemeinnützige Organisation abgeordnetenwatch.de und die Wochenzeitung DIE ZEIT auf Grundlage von internen Dokumenten aus Bundesministerien.
Schröder ist seit Januar 2020 Vorstand der "Betrieblichen Versorgungswerke für Unternehmen und Kommunen (BVUK) e.V.", einem Lobbyverband der BVUK-Gruppe, die betriebliche Altersvorsorge-Produkte an Unternehmen verkauft. Kurz darauf, im März 2020, vereinbarte der Altkanzler ein Gespräch mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Als Thema ist laut internem Ministeriumsvermerk “Rente” notiert.
Es folgte ein Treffen Schröders mit Heils verantwortlichen Staatssekretär in Begleitung des Geschäftsführers der BVUK-Gruppe. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel tauschte sich der Altkanzler in den vergangenen beiden Jahren zweimal aus, mit Olaf Scholz führte er vier Gespräche, das Thema ist jeweils unbekannt. Das letzte Mal traf Schröder den designierten neuen Bundeskanzler Scholz einen Tag vor Beginn der Sondierungsgespräche der Ampel-Koalition am 6. Oktober 2021. Im Koalitionsvertrag findet sich unter anderem der Satz: "Die betriebliche Altersversorgung wollen wir stärken, unter anderem durch die Erlaubnis von Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen.” Überraschend ist der Passus allerdings nicht: Sowohl FDP als auch Grüne und SPD hatten vor der Wahl bereits versprochen, die betriebliche Altersvorsorge auszubauen.
Léa Briand von abgeordnetenwatch.de kritisiert die unzureichenden Transparenzregeln. “Lobbyisten wie Gerhard Schröder nutzen ihre politischen Kontakte, um sich unentdeckt für ihre Auftraggeber einzusetzen. Die Lobbygespräche mit der Regierung kommen meist nur durch Zufall heraus, etwa durch Medien-Recherchen oder Anfragen der Opposition. Es braucht deswegen eine Offenlegung aller Lobbykontakte per Gesetz", fordert Briand. "Dass die Ampel-Koalition laut Koalitionsvertrag nur Lobbyarbeit im Zusammenhang mit konkreten Gesetzentwürfen transparent machen will und nicht grundsätzlich, ist völlig unzureichend."
Sowohl Gerhard Schröder als auch Olaf Scholz, Angela Merkel, Hubertus Heil sowie die BVUK-Gruppe wollten sich auf Anfrage nicht konkret zu den Gesprächen äußern. Als Kanzler hatte Gerhard Schröder zusammen mit der Riester-Rente die betriebliche Altersversorgung durch Entgeltumwandlung 2002 mit eingeführt und die freiwillige Betriebsrente mit großzügigen Steuergeschenken gefördert. Es ist die Form der betrieblichen Altersvorsorge, die die BVUK-Gruppe heute auch vertreibt.
Einige der Lobbytermine wurden laut Regierungsunterlagen von Schröders Altkanzler-Büro im Bundestag organisiert. Ausgestattet ist das Büro mit fünf Stellen, von denen derzeit vier besetzt sind - Kosten für die Steuerzahler:innen: mehr als 400.000 Euro jährlich.
abgeordnetenwatch.de und ZEIT ONLINE hatten im September bereits die Lobbyaktivitäten eines weiteren hochrangigen Ex-Politikers publik gemacht. Der frühere Minister und Vizekanzler Sigmar Gabriel hatte sich demnach im April 2020 bei Kanzlerin Merkel für ein Anliegen der Deutschen Bank eingesetzt. Kurz zuvor war er als Aufsichtsrat der Bank nominiert worden.