Berlin / Hamburg - Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich nach Recherchen der Transparenzinitiative abgeordnetenwatch.de mehr für die Aktivitäten des inzwischen insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard eingesetzt als bisher bekannt. Dies geht aus einer internen Mail des früheren Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg an einen Merkel-Berater aus dem September 2019 hervor, die abgeordnetenwatch.de nun veröffentlicht hat.
In seinem Schreiben vom 3. September 2019 an den Leiter der Wirtschaftsabteilung im Bundeskanzleramt, Lars-Hendrik Röller, berichtet Guttenberg von einem Gespräch mit Kanzlerin Merkel am selben Tag zum Markteintritt von Wirecard in China. Der frühere Verteidigungsminister, der damals mit seiner Firma Spitzberg Partners als Berater für Wirecard tätig war, schrieb an den Berater von Angela Merkel: "Ich hatte heute Nachmittag einen Termin bei meiner ehemaligen Chefin und wir sprachen mit Blick auf die anstehende Reise nach China u.a. kurz über das Dax-Unternehmen Wirecard. (...) Wir waren uns einig, dass ein kurzer Hinweis im Rahmen des Besuches sehr hilfreich sein könnte."
In dem Gespräch mit Merkel, so stellt Guttenberg es in seiner Mail dar, habe die Kanzlerin von ihm weitere Informationen zu Wirecard erbeten. Wörtlich schreibt der frühere Minister: "Die Frau Bundeskanzlerin bat mich, Ihnen noch einige Zeilen zukommen zu lassen, um die richtige Formulierung an der Hand zu haben." Guttenbergs Schreiben ist ein einseitiges Dokument mit Informationen zum Markteintritt von Wirecard in China angehängt.
Tatsächlich sprach Merkel das Thema Wirecard bei ihrer China-Reise wenige Tage später gegenüber chinesischen Stellen an. Dies ergibt sich unter anderem aus einer Mail, die der Berater der Kanzlerin, Lars-Hendrik Röller, am Morgen nach der Rückkehr aus China gegenüber Guttenberg bestätigte: „Thema ist durch die Chefin angesprochen worden“, schrieb Röller am 8. September 2019. Ob dabei der von Guttenberg ans Kanzleramt geschickte Sprechzettel eine Rolle spielte, ist unklar.
Brisant ist das Datum des Vorgangs. Denn zum Zeitpunkt der China-Reise der Kanzlerin im September 2019 waren die schwerwiegenden Manipulationsvorwürfe gegen Wirecard durch Recherchen der Financial Times bereits öffentlich bekannt. Nichtsdestotrotz setzte Merkel sich gegenüber chinesischen Stellen für den damaligen Dax-Konzern ein. Die Rolle der Bundeskanzlerin und weiterer Regierungsmitglieder in der Wirecard-Affäre ist auch Gegenstand eines von der Opposition eingesetzten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der am gestrigen Donnerstag erstmals zusammentrat.
„Dass Bundeskanzlerin Merkel den Lobbyisten des Skandalunternehmens Wirecard um Argumentationshilfe bat, ist skandalös“, erklärt der Lobbyexperte von abgeordnetenwatch.de, Roman Ebener. „Der Vorgang zeigt, dass Lobbyisten wie Karl-Theodor zu Guttenberg hinter den Kulissen ungestört agieren können. Deswegen braucht es ein strenges Lobbyregister mit Angaben zu Lobbykontakten von Bundesregierung und Abgeordneten. Der bisherige Entwurf der Großen Koalition erfüllt diesen Anspruch nicht mal in Ansätzen.“
Die Guttenberg-Mail und weitere Unterlagen zu dem Vorgang wurden vom Kanzleramt auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) an abgeordnetenwatch.de herausgeben. Auf eine Anfrage von abgeordnetenwatch.de zu den Dokumenten vermochte das Bundeskanzleramt bis zum heutigen Freitag, 10 Uhr, keine inhaltliche Antwort zu geben.
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