Hunderte Lobbykontakte der Bundesregierung veröffentlicht

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Großer Koalition droht eine Klage wegen unzureichender Angaben

Hamburg/Berlin – Die Transparenzorganisation abgeordnetenwatch.de hat am Dienstag eine Übersicht mit hunderten Lobbykontakten der Bundesregierung veröffentlicht. In der Liste werden unter anderem Telefonate und Treffen aufgeführt, die Interessenvertreterinnen und -vertreter mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, den Bundesministerinnen und -ministern sowie Staatssekretärinnen und -sekretären zu Gesetzentwürfen in der laufenden Legislaturperiode geführt haben.

Die Angaben zu den Lobbykontakten stammen aus dutzenden Antworten der Bundesregierung auf Parlamentarische Anfragen der Linken. Zu 75 Gesetzgebungsverfahren hatte die Oppositionsfraktion unter anderem erfragt, mit welchen Lobbyakteuren die Regierung Kontakt hatte und ob Forderungen von Interessenorganisationen in die Gesetzentwürfe eingeflossen sind.

Demnach traf sich die Große Koalition häufig mit großen Wirtschaftsverbänden wie der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sowie mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Auch zahlreiche Unternehmen wie Philip Morris, Deutsche Wohnen oder Vattenfall erhielten einen Gesprächstermin mit hochrangigen Regierungsmitgliedern. In der Liste tauchen des weiteren Kirchenvertreterinnen und -vertreter und zivilgesellschaftliche Organisationen wie AWO oder Mieterbund auf.

“Die jetzt bekannt gewordenen Lobbytreffen der Bundesregierung sind lediglich die Spitze des Eisbergs”, kritisiert abgeordnetenwatch.de-Sprecherin Léa Briand. “Denn viele Kontakte legt die Große Koalition gar nicht offen – das gibt sie auch offen zu.” In ihren Antworten schreibt die Regierung: „Eine Verpflichtung zur Erfassung sämtlicher geführter Gespräche – einschließlich Telefonate – besteht nicht, und eine solche umfassende Dokumentation wurde auch nicht durchgeführt.“

Die Sprecherin von abgeordnetenwatch.de weiter: “Es ist skandalös, dass die Lobbykontakte der Großen Koalition nur in Ausschnitten ans Licht kommen – und auch nur dann, wenn die Opposition danach fragt. Wir brauchen deshalb ein verbindliches Lobbyregister.” In einer repräsentativen infratest dimap-Umfrage vom April 2019 haben sich insgesamt 77 Prozent für ein weitreichendes Lobbyregister ausgesprochen.

Aus den Regierungsantworten werden laut abgeordnetenwatch.de bestimmte Muster der Einflussnahme von Lobbyakteuren auf die Gesetzgebung deutlich:

  • Lobbyisten profitieren von ihrem Kontakt zu Parteifreundinnen -freunden in den Ministerien: So nahmen beispielsweise Vertreter von DAK, dem Verband der kommunalen Unternehmen und der Beratungsgesellschaft Baker Tilly Kontakt zu Parlamentarischen Staatssekretären auf, mit denen sie zuvor als Abgeordnete in derselben Bundestagsfraktion saßen.
  • Mehrere Lobbyakteure verhindern eine Veröffentlichung ihrer Schreiben an die Bundesregierung zu konkreten Gesetzentwürfen, u.a. der Tabakkonzern Philip Morris und die Versicherung DEKRA. Normalerweise veröffentlicht die Regierung die Schreiben (Stellungnahmen).
  • Bei Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sind auffallend viele Telefontermine mit Interessenvertreterinnen und -vertretern dokumentiert – zumeist Funktionäre von SPD nahestehenden Gewerkschaften wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) oder IG Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE).
  • In einem Fall räumt die Bundesregierung Änderungen an einem Gesetzentwurf ein, die auf einen Interessenverband zurückgeht. Der Lobbyverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) lieferte sogar einen Textvorschlag, der laut Regierung jedoch nicht übernommen wurde. In zahlreichen weiteren Fällen habe es laut Regierung Änderungen am Gesetzentwurf gegeben. Auf wen diese zurückgingen, lässt die Bundesregierung in ihren Antworten jedoch offen.

Da die Bundesregierung in ihren Antworten zahlreiche Fragen unkonkret oder allgemein beantwortet, droht die Linksfraktion der Großen Koalition mit Klage. Nach Informationen von abgeordnetenwatch.de schickte der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken-Bundestagsfraktion, Jan Korte, am 29. April 2019 einen Beschwerdebrief an Kanzleramtschef Helge Braun. Darin heißt es: „Die Bundesregierung unterlässt verfassungswidrig die Angabe, warum sie welche Regelungsvorschläge von Interessenvertreter*innen in die Gesetzentwürfe übernommen hat.“ Die Regierung solle die fehlenden Informationen nachreichen, so Korte. Andernfalls müsse man eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht „ernsthaft erwägen“.

Weiterführende Informationen:

Liste der Lobbykontakte

Hintergrundartikel und Auswertung: Die Lobbykontakte der Bundesregierung

infratest dimap-Umfrage zu Lobbyregister