GroKo schweigt zu Lobbykontakten (Update)

Wer sind die Lobbyisten, die mit dem Segen der Fraktionen im Bundestag ein und aus gehen? Auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage verweigern die Parlamentarischen Geschäftsführer von Union und SPD Auskunft zu ihren Lobbykontakten, angeblich aus Datenschutzgründen. Die Linken - und nach anfänglichen Bedenken auch die Grünen - haben kein Problem mit Transparenz.

von Martin Reyher, 19.06.2014

 

 

 

Rein architektonisch ist der Deutsche Bundestag wahrscheinlich das transparenteste Parlament der Welt: Dass das Volk seinen Repräsentanten aufs Dach steigen und ihnen von dort aus bei der Arbeit zusehen kann - wo gibt es das sonst?!

Mit der Transparenz ist es allerdings schnell vorbei, wenn es um den Zugang von Lobbyisten zum Reichstag und den anderen Parlamentsgebäuden geht. Vergangene Woche hatte abgeordnetenwatch.de berichtet, dass die Bundestagsverwaltung die offiziellen Zugangsregeln für Interessenvertreter unter Verschluss hält - angeblich aus Sicherheitsgründen.

Und so war der Öffentlichkeit bislang verborgen geblieben, wer die eigentlichen Türöffner für Lobbyisten sind: Die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen. Halten sie den regelmäßigen Besuch eines Interessenvertreters für erforderlich und zeichnen dessen Antrag für einen Bundestagshausausweis ab, öffnen sich dem Lobbyisten fortan alle Türen.

Wer mit dem Segen der Parlamentarischen Geschäftsführer im Bundestag ein und aus gehen darf, soll allerdings bis auf Weiteres geheim bleiben.

"Aus Gründen des Datenschutzes" könne er leider keine näheren Angaben zu der Sache mit den Lobbyisten-Hausausweisen machen, teilte Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage mit.

SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht erklärte: "Sie werden Verständnis dafür haben, dass wir aus datenschutzrechtlichen Gründen keine näheren Angaben machen können." Auf einen interessanten Aspekt wies Lambrecht allerdings hin: Entscheidend für die Befürwortung eines Hausausweises sei, wie häufig ein Lobbyist "an SPD-Sitzungen, Besprechungen und Veranstaltungen" teilnehme. Dass Interessenvertreter ihre Anliegen bei internen Sitzungen vorbringen, gehörte bislang nicht zum Kenntnisstand der breiten Öffentlichkeit. Ob dazu auch SPD-Fraktionssitzungen gehören, dem zentralen Ort der innerfraktionellen Meinungsbildung, ließ Lambrecht unbeantwortet.

Auch die Grünen wollten zunächst nicht mitteilen, welchen Lobbyisten sie Einlass verschaffen. "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir aus Gründen des Datenschutzes diese Personen und Vereine nicht einzeln nennen," schrieb Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann. Auf Nachfrage stellte sie eine Antwort in Aussicht, die allerdings bis zum Erscheinen dieses Artikels trotz einer Erinnerungsmail von abgeordnetenwatch.de nicht vorlag. [Inzwischen hat uns Frau Haßelmann eine entsprechende Liste zukommen lassen, s. Update vom 25.6.2014].

Tatsächlich ist der Verweis auf den Datenschutz eine vorgeschobene Behauptung, die nur einem Zweck dient: Die eigenen Lobbykontakte vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Denn abgeordnetenwatch.de wollte ausdrücklich nichts zur Identität einzelner Personen wissen, sondern bat ausschließlich um Auskunft zu deren Auftraggeber. Weswegen die Namen von Konzernen, Verbänden und Vereinen einem besonderen Schutz unterliegen und deshalb unter Verschluss bleiben müssen, wollte keiner der Parlamentarischen Geschäftsführer erklären.

Dass der Datenschutz nicht als Argument gegen die Offenlegung von Lobbykontakten herhalten kann, zeigt die Linksfraktion. Wenige Minuten nach der Mailanfrage von abgeordnetenwatch.de kam die Antwort aus dem Büro von Fraktionsgeschäftsführerin Petra Sitte: Man habe überhaupt kein Problem mit Transparenz, hier seien die gewünschten Angaben:

"Wir haben für folgende Institutionen Hausausweise befürwortet:

  • Forschungsforum "Öffentliche Sicherheit" e.V., Grund: Frank Tempel, MdB LINKE, hat derzeit den Vorsitz
  • IG  Bau-Agrar-Umwelt. Grund: sind zuständig für Betreuung der Gebäudereiniger im Bundestag
  • Aktionsbündnis gegen AIDS, Grund: Zusammenarbeit mit dem Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit
  • Interessenverband Unterhalt und Familienrecht, Grund: Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des Familienausschusses im Familienausschuss"

[Ergänzung vom 27.10.2015: Die Linksfraktion hat nun auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de eine aktuelle Liste mit der Anzahl der im laufenden Jahr von ihr bewilligten Hausausweise mitgeteilt: 10x Parteivorstand DIE LINKE, 4x Rosa-Luxemburg-Stiftung, 1x Aktionsbündnis gegen AIDS, 1x Deutscher Frauenrat, 4x Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit (Frank Tempel MdB Vorsitz Beirat), 1x Miserior, 2x Vorstand Goethe-Institut e.V. (über Dr. Gesine Loetzsch, MdB außerordentliches Mitglied in der Mitgliederversammlung), 3x Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt Region Berlin Brandenburg (zuständig für Gebäudereiniger im Bundestag), 1x Geschäftsführender Vorstand Magnus-Hirschfeld-Stiftung, 1x Hauptstadtbeauftragter Interessenverband Unterhalt und Familienrecht ISUV e.V. (Kontakt über Jörn Wunderlich, MdB, Mitglied im Familienausschuss), 1x Business and Professional Women e.V., 1x ver.di (Tarifverhandlungsführer für die Beschäftigten der Fraktion)]

 

UPDATE 25.6.2014:

Gestern Abend hat auch Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann in einer Mail an abgeordnetenwatch.de mitgeteilt, bei welchen Organisationen und Verbänden sie seit Beginn der 18. Legislaturperiode die Austellung eines Hausausweises befürwortet hat:

  • Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin
  • Agora Energiewende
  • Bündnis90/Die Grünen (Bundespartei)
  • Bundesverband Solarwirtschaft
  • BSW - Solar e.V.
  • Digital Courage
  • Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychatrie
  • Deutsche Umwelthilfe
  • Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"
  • Heinrich-Böll-Stiftung
  • KfW-Bank
  • Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
  • Medico International
  • Metro AG
  • Verband Deutscher Verkehrsunternehmen
  • Verband Entwicklungshilfe Deutscher Nichtregierungsorganisationen
  • WWF Deutschland
  • Forum Menschenrechte

[Ergänzung vom 27.10.2015: Das Büro der Parlamentarischen Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, hat nun auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de eine aktuelle Liste mitgeteilt. Hausausweise befürwortet wurden demnach für: Agora Energiewende, Berlin-Brandenburg Energy Networks, Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Brot für die Welt, BUND, Kommission hochradioaktiver Abfallstoffe, Bundesverband Solarwirtschaft (BSW Solar), Bündnis 90/Die Grünen (Partei, Bundesgeschäftsführung, Vorsitz, Vorstand, Grüne Jugend), Butterstulle, Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychatrie, Deutsche Umwelthilfe, Deutsches Kinderhilfswerk, Deutsches Seeverladerkomittee (DSVK), Digital Courage, DWR eco, EKD, Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg, Familienbund der Katholiken, Forum Menschenrechte, Bündnis90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin, GBB Gesundheitspflege, GRIHED, Heinrich-Böll-Stiftung, Hering Schuppener, Hewlett-Packard GmbH, Hildegard-Lagrenne-Stiftung, KfW Bankengruppe, Kinderfreundliche Kommunen e.V., Kommunikationsberatung, Medico International, Metro AG, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", Stiftung 2 -Deutsche Unternehmer für  Klimaschutz, Uni Duisburg-Essen, Verband der forschenden Pharma-Unternehmen, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, Verband Entwicklungshilfe Deutscher Nichtregierungsorganisationen, Verband kommunaler Unternehmen e.V., Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft (VIFG) mbH (Bundesgesellschaft), Welthungerhilfe, World Food Programme, WWF Deutschland. Insgesamt habe man 51 Anträge bewilligt.]

Haßelmann schrieb in ihrer Mail:

"Wir haben den Organisationen und Verbänden aus Transparenzgründen mitgeteilt, dass eine entsprechende Anfrage von Abgeordnetenwatch bei uns eingegangen ist und wir diese wie folgt beantwortet haben. Darüber hinaus will ich Sie darüber informieren, dass wir mit der Drucksache 17/2486 eine parlamentarische Initiative zur Einführung eines Lobbyistenregisters eingebracht haben."

Haßelmann schreibt weiter:

"Anders als in Ihrem Blog dargestellt, habe ich es mir keinesfalls mit der Beantwortung Ihrer Anfrage „anders überlegt“. Ich hatte Ihnen eine Übersicht in Aussicht gestellt, die hiermit erfolgt."

Anmerkung der Redaktion: Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen hatte - wie im Artikel dargestellt - eine Antwort auf eine abgeordnetenwatch.de-Anfrage bis zum 20. Mai in Aussicht gestellt. Nachdem diese auch am 28. Mai noch nicht eingegangen war, bat abgeordnetenwatch.de erneut um eine Liste der Interessenvertreter. Bis zum Erscheinen dieses Artikels am 19. Juni erfolgte keine Reaktion auf das Schreiben von abgeordnetenwatch.de. So entstand der Eindruck, Haßelmann habe es sich nach mehreren Wochen ohne Rückmeldung "anders überlegt", wie in einer früheren Version des Artikels stand.

UPDATE vom 4.7.2014:
Zu ihrem Schreiben vom 24. Juni hatte abgeordnetenwatch.de Britta Haßelmann drei Fragen gestellt, die von der Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin gestern wiefolgt beantwortet wurden:

- Frage abgeordnetenwatch.de: Gab es auch Verbände und Organisationen, die nicht mit einer Veröffentlichung einverstanden waren (d.h.: handelt es sich um eine vollständige Liste)? Wenn ja: Um wie viele Fälle handelt es sich?
- Antwort B. Haßelmann: Wir haben die Organisationen informiert. Ein Einverständnis haben wir nicht abgefragt. 

- Frage abgeordnetenwatch.de: Haben Sie überdies der Ausstellung von Hausausweisen an Interessenvertreter zugestimmt, die nicht für einen Verband oder eine Organisation tätig sind (z.B. freiberufliche Lobbyisten, die im Auftrag von Unternehmen, Verbänden etc. arbeiten)?
- Antwort B. Haßelmann: Nein.

- Frage abgeordnetenwatch.de: Aus welchem Grund haben Sie einen Hausausweis für Vertreterinnen und Vertreter der Metro AG befürwortet?
- Antwort B. Haßelmann: Wie bereits geschrieben, prüfen wir Anträge darauf, ob ein Bedarf eines Hausausweises gegeben ist, also ein regelmäßiger Austausch zwischen Antragstellern und der Bundestagsfraktion stattfindet.

Update:
19.6.2014: Auf unserer Facebookseite schreibt ein User: "Dass es auch anders geht, zeigt auch ein Blick in das Transparenzregister des Europäischen Parlaments, wo alle Personen mit ständigem Zugangsausweis namentlich mitsamt ihrer Organisation aufgelistet"

Update:
20.6.2014: Ein Bürger erinnert die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, via abgeordnetenwatch.de daran, dass ihre Fraktion in der Vergangenheit selbst Transparenz eingefordert hat und sogar eine Initiative mit dem Titel "Wir wollen es wissen – raus aus den Hinterzimmern!" startete.

Update:
21.6.2014: Mit einer lesenswerten Kritik an seinen Parteifreunden in Berlin hat ein grüner Kommunalpolitiker auf den abgeordnetenwatch.de-Artikel reagiert. Er halte es "für untragbar, die Nennung dieser Lobbyisten zu verweigern," schrieb er in einem Brief an Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann (s. auch in den Kommentaren auf dieser Seite).

 

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde am 25.6.2014 leicht überarbeitet und an die neuen Entwicklungen (s. Update) angepasst.

Fotos: Michael Grosse-Brömer © Butzmann, Lizenz: CC-BY-SA 3.0 | Christine Lambrecht © spdfraktion.de | Britta Haßelmann © gruene-bundestag.de | Petra Sitte © DIE LINKE im Bundestag

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