Lobbyismus über den Wolken

Diese Wirtschaftsbosse reisten mit Merkel ins Ausland

Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Minister:innen zu einem Staatsbesuch ins Ausland aufbrechen, werden sie nicht selten von Wirtschaftsvertreter:innen begleitet. Passagierlisten, die abgeordnetenwatch.de ausgewertet hat, zeigen nun, wer im Regierungsflieger mitreisen durfte. Verlockend für die Chefs von Siemens, Daimler und Co.: Der informelle Zugang zur Kanzlerin und den Minister:innen.

von Josephine Andreoli, 27.11.2020
Flugzeug der Bundesregierung

Saudi-Arabien, Argentinien, China, Ghana, Japan: Die Liste der Auslandsreisen, auf denen Siemens-Chef Joe Kaeser Bundeskanzlerin Angela Merkel begleitet hat, ist lang. Insgesamt elf Mal reiste die Kanzlerin seit der letzten Bundestagswahl mit einem Heer von Konzernbossen zu Auslandsterminen. Kein Unternehmer begleitete sie dabei so häufig wie Siemens-Vorstandschef Kaeser – ganze neun Mal war er mit von der Partie. Nimmt man die vorangegangene Legislaturperiode dazu, waren es sogar 15 Mal. Doch auch zahlreiche andere Unternehmer:innen sind regelmäßig an Bord des Regierungsfliegers.

Das ergibt sich aus einer aktuellen Regierungsantwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion, die abgeordnetenwatch.de und das Nachrichtenportal t-online ausgewertet haben. Demnach wurden Bundeskanzlerin Merkel und ihre Minister:innen bei den 34 Delegationsreisen der laufenden Legislaturperiode von 441 Wirtschaftsvertreter:innen begleitet. Seit der Bundestagswahl 2013 waren es sogar 1.565 Konzernbosse und Verbandsvertreter:innen, die bei insgesamt 107 Delegationsreisen mitflogen.

Siemens-Chef Joe Kaeser 2017 mit Kanzlerin Angela Merkel in Mexiko
Siemens-Chef Joe Kaeser mit Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Delegationsreise 2017 in Mexiko


Wettbewerbsvorteil Delegationsreise

Delegationsreisen von Regierungsmitgliedern sind bei Unternehmer:innen und Manager:innen begehrt. Sie dienen als Türöffner für Expansionen und verhelfen zum Abschluss lukrativer Auslandsgeschäfte. Doch nicht nur das. Ein Platz im Regierungsflieger bietet die Gelegenheit, persönlich und informell mit der Kanzlerin oder den Minister:innen ins Gespräch zu kommen und „zu erzählen, wo gerade der Schuh drückt“, wie es einmal ein Unternehmer schilderte, der häufiger an Delegationsreisen teilnahm. Für die mitreisenden Unternehmen, so schreibt es die Linksfraktion in der Vorbemerkung ihrer Kleinen Anfrage, ergebe sich dadurch ein Wettbewerbsvorteil. Ein weiteres Plus: Bei den Gesprächen im Regierungsflieger gibt es anders als bei einem Lobbytreffen im Kanzleramt oder Ministerium keinerlei schriftliche Aufzeichnungen, die Auskunft über das Besprochene geben könnten.

Delegationsmitglieder aus der Wirtschaft bei Auslandsreisen von Angela Merkel und Minister:innen (Auswahl):

Angela Merkel (Bundeskanzlerin):

  • Carsten Spohr, Lufthansa
  • Joe Kaeser, Siemens
  • Dieter Kempf, BDI
  • Friedrich Curtius, DFB
  • Ulrich Grillo, Grillo Werke AG (Metall- und Chemieindustrie)
  • Clemens Tönnies, Tönnies Lebensmittel GmbH
  • Herbert Diess, Volkswagen AG
  • Günther Papenburg, Günther Papenburg AG (Bauindustrie)
  • Gerhard Wiesheu, Bankhaus Metzler
  • Werner Baumann, Bayer AG
  • Ola Källenius, Daimler AG
  • Christian Sewing, Deutsche Bank AG
  • Martin Herrenknecht, Herrenknecht AG (Maschinen- und Anlagenbau)

Sigmar Gabriel (Außenminister, 2017-2018):

  • Ulrich Dietz, Bitkom
  • Martin Wansleben, DIHK
  • Hubert Lienhardt, Präsident des Asien- Pazifikausschusses der deutschen Wirtschaft
  • Clemens Tönnies, Tönnies Holding GmbH
  • Joe Kaeser, Siemens

Heiko Maas (Außenminister):

  • Clas Neumann, SAP
  • Burkhard Ley, Wirecard AG
  • Thomas Ulbrich, Volkswagen AG
  • Michael Harms, Ostausschuss der deutschen Wirtschaft

Julia Klöckner (Landwirtschaftsministerin):

  • Julia Hamal, BASF
  • Arnd Nenstiel, Bayer AG
  • Peter Müller, Bayer CropScience
  • Steen Sönnichsen, Westfleisch
  • Geron Schulze Altoff, Tönnies Lebensmittel GmbH

Peter Altmaier (Wirtschaftsminister):

  • Eckart von Klaeden, Daimler AG
  • Markus Kramer, BASF
  • Johannes Thyssen, E.ON SE
  • Hans-Josef Zimmer, EnBW
  • Ivonne Bollow, Metro AG
  • Rolf Wirtz, ThyssenKrupp Marine Systems GmbH

Auf der nun veröffentlichten Passagierliste taucht unter anderem der Name Wirecard auf. So ließ Außenminister Heiko Maas (SPD) sich bei einer Delegationsreise im November 2018 vom damaligen Finanzvorstand Burkhard Ley nach China begleiten. Auch wenn das Ausmaß des Skandals zum damaligen Zeitpunkt noch nicht absehbar war: Das fragwürdige Geschäftsgebaren der Wirecard-Manager war zumindest kein Geheimnis. Allen voran die Financial Times hatte wiederholt kritisch über den Zahlungsdienstleister berichtet.

Knapp ein Jahr später war es Bundeskanzlerin Merkel persönlich, die sich bei einer China-Reise für Wirecard einsetzte – obwohl es bei ihren Beratern Unbehagen bezüglich des Unternehmens gab.

Freundschaftsdienste und Vetternwirtschaft

Und ein weiterer Name sticht bei den Delegationsmitgliedern ins Auge: Clemens Tönnies, der Chef von Deutschlands größtem Fleischkonzern. Tönnies begleitete den damaligen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) im Mai 2017 auf einer Reise nach China. Wahrscheinlich war es ein Zufall, dass die beiden knapp drei Jahre später erneut in Sachen China zusammenkamen: Diesmal beriet Gabriel, mittlerweile Ex-Minister, den Fleischunternehmer zu Transportmöglichkeiten seiner Ware ins Reich der Mitte.
 

1.565 Wirtschaftsvertreter:innen begleiteten die Kanzlerin und ihre Minister:innen seit 2013 ins Ausland
picture alliance / dpa | Gregor Fischer


Auf eine andere Reise als Wirtschaftsminister nahm Gabriel einmal seinen früheren Wahlkampfmanager in der Wirtschaftsdelegation mit. Der Unternehmensberater Heino Wiese, ein früherer SPD-Bundestagsabgeordneter, durfte seinen Parteifreund Gabriel im Juli 2015 nach China begleiten. Auf der Website seiner Consulting-Firma wirbt Wiese mit „Kontaktaufbau und –pflege mit Politik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene“.

Immer wieder sorgen Fälle von Freundschaftsdiensten und möglicher Vetternwirtschaft für Schlagzeilen. 2014 musste beispielsweise der mittlerweile verstorbene CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Mißfelder einräumen, einem befreundeten Unternehmer vier Jahre zuvor einen Platz im Regierungsflieger mit dem damaligen Außenminister Guido Westerwelle (FDP) besorgt zu haben. Auch Westerwelle selbst sah sich mehrfach dem Vorwurf ausgesetzt, bei Delegationsreisen private und politische Interessen nicht sauber zu trennen: mit an Bord nahm er einen FDP-Großspender sowie den Manager eines Unternehmens, an dem sein Bruder beteiligt war.

Lobbystreit um das Lieferkettengesetz

Wer zahlt die Reisekosten?

Wenn Wirtschaftsvertreter:innen die Kanzlerin oder andere Regierungsmitglieder ins Ausland begleiten, müssen sie "die Kosten für eine Teilnahme selbst tragen (Hotelkosten, Impfkosten, anteilige Flugkosten bei Mitflügen in einer Maschine der Flugbereitschaft)“, so die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Linken-Anfrage. Kosten für den Transfer vor Ort wie auch für Empfänge übernehme die Regierung. Auf welche Höhe sich die Ausgaben belaufen, beantwortete sie nicht.

Da Delegationsreisen vonseiten der Bundesregierung als zentrales Außenwirtschaftsförderinstrument gehandelt werden, erwarte sie von den mitreisenden Unternehmen „generell ein verantwortungsvolles und dem geltenden Recht entsprechendes unternehmerisches Verhalten“. Das schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Linken-Anfrage. Sanktionen bei Verstößen sind offenbar nicht vorgesehen. Auf die Frage der Linksfraktion, ob die Regierung erwäge, Unternehmen von Delegationsreisen auszuschließen, die gegen Menschenrechte verstoßen haben, reagiert sie ausweichend. „Die Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung über Eckpunkte für eine verbindliche Regelung der Sorgfaltspflicht von Unternehmen entlang ihrer Lieferketten“ seien noch nicht abgeschlossen.

Der Grund für die Verzögerungen bei den Eckpunkten: Auf Drängen der Wirtschaftslobby hatte das Kanzleramt das Gesetzgebungsverfahren ausgebremst. Druck machten insbesondere große Wirtschaftsverbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) – allesamt regelmäßige Teilnehmer bei den Delegationsreisen.

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