Lobbyismus über den Wolken: Diese Wirtschaftsbosse reisten mit Merkel ins Ausland | abgeordnetenwatch.de Direkt zum Inhalt
Lobbyismus über den Wolken
Diese Wirtschaftsbosse reisten mit Merkel ins Ausland
Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Minister:innen zu einem Staatsbesuch ins Ausland aufbrechen, werden sie nicht selten von Wirtschaftsvertreter:innen begleitet. Passagierlisten, die abgeordnetenwatch.de ausgewertet hat, zeigen nun, wer im Regierungsflieger mitreisen durfte. Verlockend für die Chefs von Siemens, Daimler und Co.: Der informelle Zugang zur Kanzlerin und den Minister:innen.
Saudi-Arabien, Argentinien, China, Ghana, Japan: Die Liste der Auslandsreisen, auf denen Siemens-Chef Joe Kaeser Bundeskanzlerin Angela Merkel begleitet hat, ist lang. Insgesamt elf Mal reiste die Kanzlerin seit der letzten Bundestagswahl mit einem Heer von Konzernbossen zu Auslandsterminen. Kein Unternehmer begleitete sie dabei so häufig wie Siemens-Vorstandschef Kaeser – ganze neun Mal war er mit von der Partie. Nimmt man die vorangegangene Legislaturperiode dazu, waren es sogar 15 Mal. Doch auch zahlreiche andere Unternehmer:innen sind regelmäßig an Bord des Regierungsfliegers.
Delegationsreisen von Regierungsmitgliedern sind bei Unternehmer:innen und Manager:innen begehrt. Sie dienen als Türöffner für Expansionen und verhelfen zum Abschluss lukrativer Auslandsgeschäfte. Doch nicht nur das. Ein Platz im Regierungsflieger bietet die Gelegenheit, persönlich und informell mit der Kanzlerin oder den Minister:innen ins Gespräch zu kommen und „zu erzählen, wo gerade der Schuh drückt“, wie es einmal ein Unternehmer schilderte, der häufiger an Delegationsreisen teilnahm. Für die mitreisenden Unternehmen, so schreibt es die Linksfraktion in der Vorbemerkung ihrer Kleinen Anfrage, ergebe sich dadurch ein Wettbewerbsvorteil. Ein weiteres Plus: Bei den Gesprächen im Regierungsflieger gibt es anders als bei einem Lobbytreffen im Kanzleramt oder Ministerium keinerlei schriftliche Aufzeichnungen, die Auskunft über das Besprochene geben könnten.
Delegationsmitglieder aus der Wirtschaft bei Auslandsreisen von Angela Merkel und Minister:innen (Auswahl):
Angela Merkel (Bundeskanzlerin):
Carsten Spohr, Lufthansa
Joe Kaeser, Siemens
Dieter Kempf, BDI
Friedrich Curtius, DFB
Ulrich Grillo, Grillo Werke AG (Metall- und Chemieindustrie)
Clemens Tönnies, Tönnies Lebensmittel GmbH
Herbert Diess, Volkswagen AG
Günther Papenburg, Günther Papenburg AG (Bauindustrie)
Gerhard Wiesheu, Bankhaus Metzler
Werner Baumann, Bayer AG
Ola Källenius, Daimler AG
Christian Sewing, Deutsche Bank AG
Martin Herrenknecht, Herrenknecht AG (Maschinen- und Anlagenbau)
Sigmar Gabriel (Außenminister, 2017-2018):
Ulrich Dietz, Bitkom
Martin Wansleben, DIHK
Hubert Lienhardt, Präsident des Asien- Pazifikausschusses der deutschen Wirtschaft
Clemens Tönnies, Tönnies Holding GmbH
Joe Kaeser, Siemens
Heiko Maas (Außenminister):
Clas Neumann, SAP
Burkhard Ley, Wirecard AG
Thomas Ulbrich, Volkswagen AG
Michael Harms, Ostausschuss der deutschen Wirtschaft
Julia Klöckner (Landwirtschaftsministerin):
Julia Hamal, BASF
Arnd Nenstiel, Bayer AG
Peter Müller, Bayer CropScience
Steen Sönnichsen, Westfleisch
Geron Schulze Altoff, Tönnies Lebensmittel GmbH
Peter Altmaier (Wirtschaftsminister):
Eckart von Klaeden, Daimler AG
Markus Kramer, BASF
Johannes Thyssen, E.ON SE
Hans-Josef Zimmer, EnBW
Ivonne Bollow, Metro AG
Rolf Wirtz, ThyssenKrupp Marine Systems GmbH
Auf der nun veröffentlichten Passagierliste taucht unter anderem der Name Wirecard auf. So ließ Außenminister Heiko Maas (SPD) sich bei einer Delegationsreise im November 2018 vom damaligen Finanzvorstand Burkhard Ley nach China begleiten. Auch wenn das Ausmaß des Skandals zum damaligen Zeitpunkt noch nicht absehbar war: Das fragwürdige Geschäftsgebaren der Wirecard-Manager war zumindest kein Geheimnis. Allen voran die Financial Times hatte wiederholt kritisch über den Zahlungsdienstleister berichtet.
Knapp ein Jahr später war es Bundeskanzlerin Merkel persönlich, die sich bei einer China-Reise für Wirecard einsetzte – obwohl es bei ihren Beratern Unbehagen bezüglich des Unternehmens gab.
Auf eine andere Reise als Wirtschaftsminister nahm Gabriel einmal seinen früheren Wahlkampfmanager in der Wirtschaftsdelegation mit. Der Unternehmensberater Heino Wiese, ein früherer SPD-Bundestagsabgeordneter, durfte seinen Parteifreund Gabriel im Juli 2015 nach China begleiten. Auf der Website seiner Consulting-Firma wirbt Wiese mit „Kontaktaufbau und –pflege mit Politik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene“.
Immer wieder sorgen Fälle von Freundschaftsdiensten und möglicher Vetternwirtschaft für Schlagzeilen. 2014 musste beispielsweise der mittlerweile verstorbene CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Mißfelder einräumen, einem befreundeten Unternehmer vier Jahre zuvor einen Platz im Regierungsflieger mit dem damaligen Außenminister Guido Westerwelle (FDP) besorgt zu haben. Auch Westerwelle selbst sah sich mehrfach dem Vorwurf ausgesetzt, bei Delegationsreisen private und politische Interessen nicht sauber zu trennen: mit an Bord nahm er einen FDP-Großspender sowie den Manager eines Unternehmens, an dem sein Bruder beteiligt war.
Lobbystreit um das Lieferkettengesetz
Wer zahlt die Reisekosten?
Wenn Wirtschaftsvertreter:innen die Kanzlerin oder andere Regierungsmitglieder ins Ausland begleiten, müssen sie "die Kosten für eine Teilnahme selbst tragen (Hotelkosten, Impfkosten, anteilige Flugkosten bei Mitflügen in einer Maschine der Flugbereitschaft)“, so die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Linken-Anfrage. Kosten für den Transfer vor Ort wie auch für Empfänge übernehme die Regierung. Auf welche Höhe sich die Ausgaben belaufen, beantwortete sie nicht.
Da Delegationsreisen vonseiten der Bundesregierung als zentrales Außenwirtschaftsförderinstrument gehandelt werden, erwarte sie von den mitreisenden Unternehmen „generell ein verantwortungsvolles und dem geltenden Recht entsprechendes unternehmerisches Verhalten“. Das schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Linken-Anfrage. Sanktionen bei Verstößen sind offenbar nicht vorgesehen. Auf die Frage der Linksfraktion, ob die Regierung erwäge, Unternehmen von Delegationsreisen auszuschließen, die gegen Menschenrechte verstoßen haben, reagiert sie ausweichend. „Die Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung über Eckpunkte für eine verbindliche Regelung der Sorgfaltspflicht von Unternehmen entlang ihrer Lieferketten“ seien noch nicht abgeschlossen.
Der Grund für die Verzögerungen bei den Eckpunkten: Auf Drängen der Wirtschaftslobby hatte das Kanzleramt das Gesetzgebungsverfahren ausgebremst. Druck machten insbesondere große Wirtschaftsverbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) – allesamt regelmäßige Teilnehmer bei den Delegationsreisen.