Silvana Koch-Mehrin: Seit 2009 keine Ausschusssitzung mehr besucht

Schon einmal war Silvana Koch-Mehrin wegen häufiger Abwesenheit bei den Plenarsitzungen des EU-Parlaments ins Gerede gekommen. Nun berichtet das ARD-Magazin Panorama, die frühere Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments habe zuletzt im November 2009 eine Sitzung des Petitionsausschusses besucht. In dem Fernsehbeitrag kommt auch unser Kollege Gregor Hackmack mit einer Bewertung der Panorama-Rechercheergebnisse zu Wort.

von Martin Reyher, 29.09.2011

 

Es ist schon einige Zeit her, da meldete sich bei uns ein Mitarbeiter von Silvana Koch-Mehrin und erkundigte sich, nach welchen Kriterien wir die auf abgeordnetenwatch.de dokumentierten Abstimmungen auswählen (*). Wie sich herausstellte, war diese Auswahl für Frau Koch-Mehrin äußerst unvorteilhaft, denn auf ihrer Profilseite war bei zahlreichen Abstimmungen „nicht beteiligt“, also fehlend, vermerkt. Auch wenn Koch-Mehrins Abwesenheit wahrscheinlich ihrer damaligen Babypause geschuldet war, zeigt diese Geschichte, wie sehr die frühere Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments um ein blütenweißes Image bemüht ist. Recherchen des Politikmagazins Panorama bringen Koch-Mehrin nun wieder einmal in Erklärungsnot.

Nach Plagiatsaffäre und Aberkennung ihres Doktortitels sowie früheren Enthüllungen über geschwänzte Plenarsitzungen im EU-Parlament berichtete das ARD-Magazin am Donnerstag Abend, dass die liberale Spitzenpolitikerin sich auch in den Fachausschüssen rar gemacht hat (der vollständige TV-Beitrag siehe unten). Laut Panorama fehlte sie 2011 bei fast allen Sitzungen des Ausschusses "Industrie, Forschung und Energie", in dem sie bis Juni 2011 stellvertretendes und kurze Zeit auch Vollmitglied war. Im Petitionsausschuss, über den sich Bürgerinnen und Bürger an das EU-Parlament wenden können, war sie in den Jahren 2010 und 2011 nicht ein einziges Mal anwesend.

Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de hat Koch-Mehrin in dieser Wahlperiode überhaupt erst dreimal an einer Sitzung des Petitionsausschusses teilgenommen, und zwar am 16. Juli 2009, am 1. September 2009 und am 4. November 2009. Panorama berichtete außerdem, dass Koch-Mehrin in den vergangenen Monaten so gut wie keine öffentlichen Termine außerhalb des Europäischen Parlaments wahrgenommen habe. Offensichtlich aufgeschreckt durch Panorama-Recherchen habe die Europabgeordnete in den letzten Tagen damit begonnen, ihre Homepage zu aktualisieren, die bis dahin weitgehend auf dem Stand von 2009 gewesen sei. Wer in letzter Zeit Kontakt zu Koch-Mehrin über ihr Wahlkreisbüro aufnehmen wollte, hatte Pech. Nach Angaben von Panorama seien Anrufe in ihrem Karlsruher Büro auf eine anonyme Handymailbox weitergeleitet worden. Auch bei schriftlichen Anfragen über abgeordnetenwatch.de erhielten Bürger zuletzt keine inhaltliche Antwort mehr, sondern wurden in einem standardisierten Schreiben lediglich an einen Fraktionskollegen verwiesen.

Panorama bat unseren Kollegen Gregor Hackmack um eine Einschätzung. In einer Vorabmeldung zur Sendung schreibt der NDR:

Gregor Hackmack von "Abgeordnetenwatch" fordert Frau Koch-Mehrin auf, sich zu überlegen, "ob sie ihr Mandat nicht an jemanden abgibt, der Lust auf seine Arbeit hat".

(Update: Zahlreiche Medien berichten inzwischen mit Verweis auf abgeordnetenwatch.de, z.B. die Frankfurter Rundschau, das Hamburger Abendblatt oder die Rheinische Post.)

Silvana Koch-Mehrin findet, dass sie „den Auftrag, im Namen meiner Wählerinnen und Wähler im Europäischen Parlament als Volksvertreterin tätig zu sein, verantwortungsvoll ausgeübt“ habe. Das jedenfalls schreibt sie auf abgeordnetenwatch.de. Die Aussage ist allerdings schon etwas älter. Sie stammt vom 3. Juni 2009. Gegenüber Panorama wollte sich Silvana Koch-Mehrin nicht äußern. Panorama vom 29.9.2011 über Silvana Koch-Mehrin:

Update 20.10.2011: Offenbar hat der Panorama-Beitrag Wirkung gezeigt. In einem Nachklapp zum Fall Koch-Mehrin kam in der heutigen Panorama-Sendung FDP-Generalsekretär Christian Lindner zu Wort, der der Europaabgeordneten unverhohlen mit Nichtnominierung droht: "In der FDP ist klar: Abgeordnete, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, werden nicht wieder aufgestellt." Noch weiter gehen die Jungen Liberalen Karlsruhe, wo Koch-Mehrin ihr Wahlkreisbüro hat. Sie wollten am morgigen Freitag gegen den Verbleib von Silvana Koch-Mehrin im Europäischen Parlament demonstrieren. Auf ihren selbst gemalten Plakaten heißt es: "Nichtleistung darf sich nicht mehr lohnen!!" "Ihr Verhalten ist inakzeptabel", so der JuLi-Vorsitzende, Robert Gänger, gegenüber Panorama. 

(*) Aufgrund der Vielzahl an namentlichen Abstimmungen im Europaparlament können wir i.d.R. nur jene Parlamentsabstimmungen dokumentieren, die öffentliche Beachtung finden. In dieser Wahlperiode waren dies beispielsweise Entscheidungen über die Einführung von Internetsperren, das SWIFT-Abkommen, die Lebensmittelampel oder eine verbesserte Durchsetzung von Urheberrechten. An einem einzigen Sitzungstag gibt es im EU-Parlament z.T. mehrere Dutzend namentliche Abstimmungen.

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