Sich selbst die Diäten zu erhöhen ist für Abgeordnete meist ziemlich unangenehm. Man kann die Uhr danach stellen, dass die Boulevardblätter bei Bekanntwerden solcher Pläne „Abzocker“-Schlagzeilen abfeuern und das Volk in Wallung bringen. Schön ist das nicht, aber Abgeordnete müssen die öffentliche Diskussion, auch wenn sie hysterisch und unsachlich geführt wird, aushalten können. Welcher Angestellte kann schon frei über seine Einkünfte entscheiden?
Nun haben die Landtagsabgeordneten in Nordrhein-Westfalen einen Trick ersonnen, um der unangenehmen Diskussion aus dem Weg zu gehen. In diesen Minuten befasst sich der NRW-Landtag mit dem Tagesordnungspunkt „Drucksache 15/62 – Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags“ (pdf). Hinter dem unscheinbaren Dokument verbirgt sich der Plan, eine automatische Diätenerhöhung einzuführen, anstatt sich jedes mal von Neuem vor uns Steuerzahlern für eine Anhebung der Bezüge zu rechtfertigen. Über eine Diätenerhöhung würde dann nicht mehr im Plenum debattiert, und auch eine öffentliche Abstimmung gäbe es nicht mehr. Statt dessen würden die Diäten jährlich auf Grundlage der Steigerung von allgemeinen Löhnen, Gehältern, Renten und sozialen Dienstleistungen automatisch angepasst. Für die Erhöhung ihrer Bezüge wären also nicht mehr die Landtagsabgeordneten selbst verantwortlich, sondern letztlich das Landesamt für Statistik, das diesen Wert jedes Jahr von Neuem ermittelt.
In einer aufwendigen Berechnung (pdf) kommen die Statistiker für das vergangene Jahr auf einen Zuwachs von 1,14 Prozent, d.h. die Abgeordnetendiäten würden um 114 Euro auf dann 10.093 Euro steigen – rückwirkend zum 1. Juli. Das Ganze ist verfassungsrechtlich äußerst fragwürdig. In einem Grundsatzurteil hatte das Bundesverfassungsgericht 1976 entschieden,
dass der Willensbildungsprozeß im Parlament, der zur Festsetzung der Höhe der Entschädigung und zur näheren Ausgestaltung der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen finanziellen Regelungen führt, für den Bürger durchschaubar ist und das Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen wird.
Der NRW-Landtag zitiert auf seiner Homepage sogar selbst aus dem Urteil:
Der Vorwurf der "Selbstbedienung", zieht nicht. Das "Diätenurteil" des Bundesverfassungsgericht von 1975 hat die Abgeordneten ausdrücklich verpflichtet, selbst und "vor den Augen der Öffentlichkeit" über die Höhe ihrer Entschädigung zu beschließen.
Genau das soll in NRW künftig nicht mehr gelten. Die Öffentlichkeit würde ausgeschaltet, weil Statistiker in ihrem Kämmerchen per Taschenrechner ermitteln, wie viel uns Steuerzahlern unsere Abgeordneten eigentlich wert sind. Kritische Bürgerfragen auf abgeordnetenwatch.de – von den Politikern einfach ausgehebelt. In NRW gibt es für diesen Plan eine ganz große Koalition: SPD, CDU, Grüne und FDP sind sich zumindest in dieser Sache einig, nur die Linken wollen sich weder der Diätenerhöhung noch dem Automatismus anschließen. Sie fordern einen Verzicht der Abgeordneten und eine Abstimmung des Landtags über geplante Diätenerhöhungen. 2008 war eine „automatische Diätenerhöhung“ nach Negativschlagzeilen schon mal gescheitert. Nun gibt es einen neuen Anlauf, Ausgang offen. Wir werden weiter berichten.
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Hintergrund Diäten im NRW-Landtag: Das nordrhein-westfälische Abgeordnetengesetz gilt allgemein als vorbildlich. Anders als etwa die Bundestagsabgeordneten verfügen die NRW-Landtagsabgeordneten über keine steuerfreien Pauschalen und müssen für ihre Altersvorsage selbst aufkommen. Netto bleibt ihnen deshalb am Monatsende weniger als den Kollegen im Bund oder in den meisten anderen Landesparlamenten. Weitere Informationen im NRW-Abgeordnetengesetz oder bei Wikipedia unter "Abgeordnetenentschädigung".
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