Millionenklage

Warum die Bundesrepublik Deutschland in der Schweiz die "Höhenklinik Davos" besitzt

Die wohl ungewöhnlichste Beteiligung des deutschen Staates ist die "Genossenschaft Höhenklinik Valbella Davos" in den Schweizer Bergen. Das ehemalige Sanatorium, das in Thomas Manns "Zauberberg" beschrieben wird, ist Gegenstand eines Gerichtskrimis. Es geht um Millioneneinnahmen für den Haushalt von Finanzminister Lindner.

von Tania Röttger, 23.06.2023
Ansicht von Davos

Mit Interesse dürfte Finanzminister Christian Lindner dieser Tage in die Schweiz schauen. Dort geht es vor einem Bundesgericht um Millionen für den Bundeshaushalt. Die Geschichte ist verworren, und sie reicht zurück bis ins Kaiserreich.

abgeordnetenwatch.de stieß auf den kuriosen Fall in einem Bericht der Bundesregierung. Jedes Jahr im Februar veröffentlicht das Finanzministerium den Beteiligungsbericht des Bundes. Manche der darin aufgeführten Staatsbeteiligungen sind allgemein bekannt – etwa die am Energiekonzern Uniper oder an der Deutschen Bahn. Von der "Genossenschaft Höhenklinik Valbella Davos" in der Schweiz dürften die wenigsten gehört haben.  

Die Klinik aus Thomas Manns "Zauberberg"

Wer nach Informationen über die Höhenklinik Valbella sucht, stößt auf eine legendäre Einrichtung. Den Schriftsteller Thomas Mann soll die Höhenklinik Dr. Philippe im Jahr 1912 zu seiner Beschreibung des Sanatoriums im “Zauberberg” inspiriert haben: “Ein lang gestrecktes Gebäude mit Kuppelturm, das vor lauter Balkonlogen von weitem löchrig und porös wirkte wie ein Schwamm”.

 

Bild des Davoser Sanatoriums, das Gebäude ist gelb

 

Warum gehört dem deutschen Staat die "Genossenschaft Höhenklinik Valbella Davos"?

Als abgeordnetenwatch.de beim Arbeitsministerium nach der Beteiligung fragte, wurde es ungewöhnlich: Anstatt eine schriftliche Antwort zu schicken, bot das Haus von Hubertus Heil ein halbstündiges Video-Gespräch an. Darin werde man den Sachverhalt erläutern. 

Deutsche Krankenkassen finanzierten den Aufenthalt in den Schweizer Bergen

Tatsächlich ist der Fall komplex. 1918 erwarben der Hilfsbund für Deutsche Kriegerfürsorge und der Reichsausschuss für Kriegsgeschädigtenfürsorge das seinerzeitige Sanatorium Valbella Davos. Kriegsversehrte und tuberkulosekranke Soldaten sollten sich in der hohen Bergluft auskurieren. 

Mit der Zeit verlor Tuberkulose an Relevanz und Luftkurorte wie Davos wandten sich anderen Leiden zu: Haut-, Asthma- und Allergiekrankheiten. 

1953 wurde die Höhenklinik Davos zu einer Genossenschaft nach Schweizerischem Obligationenrecht, deren Anteile zu 100 Prozent von der Bundesrepublik Deutschland gehalten werden. Verwaltet werden sie bis heute vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS).

Jahrzehnte lang kamen Patientinnen und Patienten auf Kosten deutscher Krankenkassen in die Valbella Höhenklinik. Irgendwann schwanden Bedarf und Geld. Krankenkassen wollten nicht länger für den teuren Aufenthalt in der Schweizer Bergluft aufkommen. 2004 schloss der damalige Finanzminister Hans Eichel (SPD) den Betrieb der deutschen Höhenklinik.

Weiterverkauf mit Profit – die Bundesregierung reichte Klage ein

2007 verkaufte die Bundesrepublik die Klinik, die in den 50er Jahren durch einen schmucklosen Betonbau ersetzt worden war, für 12,5 Millionen Schweizer Franken an das Immobilienunternehmen SPI Real Estate AG. Eigentlich hätte die Sache damit zu den Akten gelegt werden können. Doch der Kaufvertrag enthielt eine Wertsteigerungsklausel: Würden Grund und Gebäude innerhalb von zehn Jahren mit Gewinn weiterverkauft, stünde der Bundesrepublik ein Anteil daran zu. 

Genauso kam es. Das Grundstück wurde nach dem Verkauf umgewidmet. Als die Bundesregierung noch Eigentümerin der Liegenschaft war, handelte es sich um eine Kurzone, in der lediglich Klinikbetrieb gestattet war. Nach dem Verkauf und der Umwidmung durften auf dem Gelände auch Wohnungen gebaut werden. Dadurch stieg der Wert der Anlage.

2012 verkaufte die SPI Real Estate AG die Liegenschaft weiter – mit Profit. Die Bundesregierung berief sich auf die Wertsteigerungsklausel, musste mit ihrer Forderung aber vor Gericht ziehen. 2018 gab es das erste Urteil, das ganz im Sinne der Bundesregierung ausfiel. Das Immobilienunternehmen ging in Berufung. 

5 Millionen Euro extra für den Bundeshaushalt? Das bleibt weiterhin offen

Als abgeordnetenwatch.de sich im Mai 2023 beim Arbeitsministerium nach der kuriosen Staatsbeteiligung in den Schweizer Bergen informierte, gab es Neuigkeiten zu vermelden: Gerade hatte das Kantonsgericht Graubünden das Urteil aus der ersten Instanz weitgehend bestätigt. Der Bundesrepublik Deutschland wurden 4,9 Millionen Schweizer Franken (umgerechnet rund 5 Millionen Euro) zugesprochen, plus 5 Prozent Zinsen pro Jahr ab 2015. 

Doch ob sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) tatsächlich über die zusätzlichen Millioneneinnahmen freuen kann, ist weiterhin offen. Die SPI Real Estate AG hat Mitte Mai beim Schweizer Bundesgericht Beschwerde eingelegt. Beim Arbeitsministerium wagt man keine Prognose. “Der Ausgang des Verfahrens bleibt abzuwarten.”

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