Bundestagsfraktionen

Unzulässige Parteienfinanzierung durch Öffentlichkeitsarbeit?

Seit Jahren machen Bundestagsfraktionen unerlaubt Parteiwerbung in den Sozialen Netzwerken. Daran änderte auch die Kritik des Bundesrechnungshofes nichts. Jetzt planen sie eine Gesetzesänderung, die ihnen die umstrittene Praxis erlaubt.

von Tania Röttger, 06.09.2024
Der Bundestag im Hintergrund, davor drei Screenshots von Social Media Beiträgen. Einer der SPD, einer der AfD, einer des BSW.

Ein paar Beispiele für Social-Media-Beiträge der Bundestagsfraktionen: 

  • SPD: Ein Video auf Facebook darüber, warum die AfD demokratisch gewählt und trotzdem demokratiefeindlich sein kann. 
  • AfD im September 2023 auf Instagram: Warum die Ampel „fertig“ hat und wie sie Deutschland besser machen würde. 
  • Die BSW-Bundestagsgruppe macht Werbung für eine sechsteilige Serie von YouTube-Videos, in denen Sahra Wagenknecht Menschen aus Politik und Kultur interviewt.

Diese Inhalte klingen wie normale politische Kommunikation, aber sie könnten gegen das Abgeordnetengesetz verstoßen. Noch. 

Das Online-Ökosystem der Parteien ist verzweigt. Neben den jeweiligen Parteiaccounts, etwa auf Instagram oder YouTube, gibt es gesonderte Kanäle der Fraktionen im Bundestag. Diesen Aufwand betreiben die Parteien aus gutem Grund. Für die Fraktionen, die sich aus Steuermitteln finanzieren, gelten besondere Regeln. Sie dürfen nur über konkrete Fraktionstätigkeiten informieren, so will es das Abgeordnetengesetz. Das bedeutet: Social-Media-Beiträge über parteipolitische Standpunkte oder gar Wahlwerbung sind auf diesen Kanälen bisher nicht erlaubt. Nun wollen die Fraktionen das Gesetz ändern.

Es mag zunächst unsinnig scheinen, dass Fraktionen nicht für ihre Parteien werben dürfen. Doch damit sollen fraktionslose Mitglieder des Bundestags geschützt werden, und Parteien, die nicht im Bundestag vertreten sind - diese bekommen schließlich keine Fraktionsmittel. 

Der Bundesrechnungshof bemängelte bereits mehrmals, wie die Fraktionen auf den Sozialen Netzwerken agieren. Die Behörde, die die Verschwendung öffentlicher Gelder bekämpfen soll, hatte sich die Social Media Accounts in den sechs Wochen vor der Bundestagswahl 2021 angesehen – und Alarm geschlagen. 

Beiträge seien “klar und unmittelbar partei- und wahlwerbend” gewesen. Sie enthielten “werbende Botschaften von Parteivorsitzenden, Streams von Wahlsendungen im Fernsehen, Wiedergabe des Wahlprogramms oder Interviews mit Direktkandidaten in Wahlkreisen” - alles nicht zulässig, laut Bundesrechnungshof. Die Fraktionen bewilligen sich ihre schließlich Mittel selbst. Sie könnten sich also übermäßig viel bewilligen, mit denen sie dann auch Parteiaufgaben finanzieren.

Mehr als die Hälfte der untersuchten Beiträge verstießen demnach gegen rechtliche Vorschriften: “Der hohe Anteil an unzulässigen Beiträgen deutet auf ein strukturelles Problem hin.”

Doch die Fraktionen machen bis heute ungehindert weiter, wie Recherchen von abgeordnetenwatch.de zeigen. 

Alexandra Bäcker vom Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat sich die oben erwähnten Beiträge angesehen und abgeordnetenwatch.de eine Einschätzung gegeben. 

Zum Video der SPD über die Demokratiefeindlichkeit der AfD schreibt Bäcker per E-Mail: "Das Video ist grenzwertig." Es gehe nicht im Kern um die Fraktion. "Weder setzt sich das Video mit verfassungsfeindlichen Tendenzen der AfD-Fraktion noch der Abgeordneten auseinander oder thematisiert, welchen Einfluss dies auf die parlamentarische Arbeit hat." Tatsächlich werde vielmehr die Teilnahme der Partei am Parteienwettbewerb und deren Beobachtung durch den Verfassungsschutz thematisiert. Die Relevanz für die Arbeit der SPD-Fraktion im Bundestag werde nicht deutlich. 

Die Video-Serie des BSW, in der Sahra Wagenknecht verschiedene prominente Personen trifft, hält sie auch für "eher grenzwertig", da hier "nicht über die Tätigkeit der BSW-Gruppe oder der Abgeordneten unterrichtet wird, sondern vielmehr allgemeinpolitische Ansichten anderer verbreitet und ausgebreitet werden."

Zum Beitrag der AfD schreibt Bäcker: "Es geht gar nicht um die Tätigkeit der aktuellen Fraktion, sondern es wird „Werbung“ dafür gemacht, dass die AfD bei der nächsten Wahl genug Stimmen erhält, um die (partei-)politischen Ziele in der nächsten Legislaturperiode umsetzen zu können. Das ist Partei- und Wahlwerbung."

Die Beiträge stehen in den Werbedatenbanken von Facebook und Google. Das heißt, die Fraktionen haben die wahrscheinlich unzulässigen Beiträge zusätzlich mit Werbebudget versehen, je zwischen 50 und 1.500 Euro. 

Auf Anfrage äußerte sich zunächst nur die AfD-Fraktion gegenüber abgeordnetenwatch.de. “Die PK und damit das Video haben erkennbar und unzweifelhaft einen direkten Bezug zur parlamentarischen Arbeit der Fraktion”, schreibt die Pressestelle per E-Mail.

Nach Veröffentlichung dieses Artikels meldete sich auch die Pressestelle der SPD-Fraktion. Das Video habe einen Bezug zur parlamentarischen Arbeit: Bürger und Bürgerinnen würden Abgeordnete der SPD immer wieder dafür kritisieren, "dass Rednerinnen und Redner der SPD-Fraktion im Plenum die Politik der AfD als antidemokratisch und verfassungsfeindlich bewerten". Das Video stelle deshalb die grundlegende Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion klar. 

Dass die Fraktionen die Regeln für ihre Social-Media-Arbeit anders auslegen als Außenstehende, ist nicht neu. Gegenüber dem Bundesrechnungshof wies jede der untersuchten Fraktionen die vorgebrachte Kritik zurück.

Das neue Gesetz: Wettbewerbsverzerrung

Im März 2024 hat der Bundesrechnungshof einen weiteren Bericht vorgelegt. Darin fordert er die Fraktionen auf, ein Gesetz zu beschließen, um „die aus Fraktionsmitteln finanzierte Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen von Parteiarbeit abzugrenzen“. Bislang habe keine Fraktion einen praktikablen Vorschlag vorgelegt.

Dann ging es ganz schnell. Im Juni, kurz vor der Sommerpause, haben die Regierungsfraktionen zusammen mit der CDU/CSU einen Gesetzentwurf eingebracht.

Wer diesen liest, wird überrascht sein. Anstatt die geforderte Trennung zwischen Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen und der Parteien zu definieren, scheinen sich die Fraktionen eher einen Blankoscheck auszustellen, der künftig auch Öffentlichkeitsarbeit mit “allgemeinen politischen Standpunkten" und den Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern über die parlamentarisch-politische Arbeit” erlaubt.

Johannes Fechner (SPD) sagte in seiner Rede dazu: “Die Auffassung des Rechnungshofes halten wir für zu eng, und deswegen regeln wir ganz klar, dass die Vermittlung allgemeiner politischer Standpunkte, und zwar insbesondere auch über Social Media, ein berechtigtes Interesse einer Fraktion ist und dass dafür die Fraktionsmittel verwendet werden dürfen.”

Nicht gelten soll das in den sechs Wochen vor der Bundestagswahl. Doch hier haben sich die Fraktionen ein Schlupfloch gelassen: im Falle eines “besonderen parlamentarischen Anlasses” soll die Öffentlichkeitsarbeit mit Fraktionsbudget erlaubt sein.

Parteienforscherin Alexandra Bäcker hält den Gesetzentwurf für „sehr bedenklich“. „Wettbewerb um Wählerstimmen ist ein Wettbewerb der politischen Parteien. Mit der in dem Gesetz vorgesehenen Öffentlichkeitsarbeit verstärken die Fraktionen die Wirkmacht ihrer Parteien und verzerren den Wettbewerb massiv.“

Auch die Ausnahme vor der Bundestagswahl hält sie für wenig sinnvoll. „Die Fraktionen scheinen zu verstehen, was sie da machen, wenn sie den Zeitraum vor der Bundestagswahl auslassen. Aber was ist das für ein Zeitraum? Der Wahlkampf geht länger als sechs Wochen.“ Und auch andere Wahlen seien relevant – etwa EU-Wahlen oder Landtagswahlen.

Gestern veröffentlichte der Bundesrechnungshof einen Sonderbericht zur geplanten Gesetzesänderung. Er liest sich besorgt bis alarmiert. Dass abgesehen von den sechs Wochen vor der Bundestagswahl nun auch parteiwerbende Beiträge erlaubt seien sollen, berge “erhebliche verfassungsrechtliche Risiken”. Zudem könnte “die staatsfinanzierte Öffentlichkeitsarbeit” einer Fraktion als “unzulässige Spende” an ihre Partei angesehen werden. Und es fehle weiterhin ein wirkungsvoller Sanktionsmechanismus gegen Verstöße. 

Ob die Bedenken des Bundesrechnungshofs eine Auswirkung haben, wird sich zeigen. Im Bundestag muss der Gesetzentwurf noch durch die zweite und dritte Lesung.

Anmerkung: Wir haben den Artikel um eine Stellungnahme der SPD-Bundestagsfraktion erweitert, die ein paar Tage nach Veröffentlichung bei uns eintraf.

Vorkommende Politiker:innen

Lizenz: Der Text auf dieser Seite steht unter der Creative Commons Lizenz BY-NC-SA 4.0.