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NRW-Landtagsabgeordnete erhielten mehr als 2,4 Mio. Euro an Nebeneinkünften
Nordrhein-Westfalens Landtagsabgeordnete verfügen nach abgeordnetenwatch.de-Recherchen über zum Teil beträchtliche Nebeneinkünfte. Mehrere Parlamentarier kassierten seit Anfang 2015 jeweils mehr als 100.000 Euro. Besonders fragwürdig: Hoch vergütete Posten in Unternehmen, für die zehntausende Euro flossen.
Eine Liste mit den Nebeneinkünften aller NRW-Landtagsabgeordneter finden Sie am Ende des Textes
Was die Transparenz bei Nebeneinkünften angeht, ist der NRW-Landtag zumindest in einem Punkt vorbildlich: Seit Anfang 2015 müssen die Parlamentarier ihre Verdienste aus Vorstands-, Aufsichtsrats- und Beiratsposten sowie ihre Vortragshonorare vollständig offenlegen – das heißt Euro und Cent genau. Weder der Bundestag noch ein anderes Landesparlament kennen eine solche Komplettoffenlegung. Und so erhält man auf der Internetseite des NRW-Landtags ein gutes Bild davon, wie viel die Volksvertreter zusätzlich zu ihren Abgeordnetenbezügen von derzeit 11.006 Euro (brutto, inkl. Altersvorsorge) verdienen.
Mehr als 2,4 Mio. Euro haben Nordrhein-Westfalens Landtagsabgeordnete seit Beginn des vergangenen Jahres bei Parlamentspräsidentin Carina Gödecke gemeldet, was allerdings nur eine Mindestsumme ist. Tatsächlich könnten sich die Einkünfte auf bis zu 3,15 Mio. Euro belaufen. Die große Spanne ergibt sich durch eine Besonderheit in Nordrhein-Westfalen: Nicht bei allen Nebenverdiensten gibt es maximale Transparenz. Bestimmte Einkünfte, etwa aus unternehmerischen Tätigkeiten oder freien Berufen, müssen lediglich in groben Gehaltsstufen angegeben werden (s. Grafik). Bei insgesamt 42 Landtagsabgeordneten lässt sich deswegen nicht die tatsächliche Höhe ihrer Nebeneinkünfte ermitteln, sondern nur ein Mindest- und ein Höchstbetrag. In dieser Spanne, die bei einigen Parlamentariern mehrere zehntausend Euro ausmacht, bewegen sich die realen Verdienste.
90.000 Euro für einen Teilzeitjob bei RWE
Einige Landtagsabgeordnete kassieren zum Teil beträchtliche Summen aus der Wirtschaft, woraus sich massive potentielle Interessenkonflikte ergeben können. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Norbert Römer, mit Nebeneinkünften von insgesamt 151.661 Euro einer der Spitzenverdiener im NRW-Landtag, bekam seinen Aufsichtsratsjob beim Chemiekonzern Rütgers Germany GmbH seit Anfang 2015 mit 51.646 Euro vergütet. Bei der RAG Aktiengesellschaft und deren Tochterunternehmen RAG Deutsche Steinkohle AG waren es für die gleiche Tätigkeit zusammen rund 49.000 Euro. Der Steinkohlekonzern profitiert seit Jahren von staatlichen Subventionen in Milliardenhöhe – auch aus Zahlungen des Landes Nordrhein-Westfalen.
Der CDU-Abgeordnete Gregor Golland bezog von der RWE-Tochter RWE Group Business Services GmbH für das Jahr 2015 ein Gehalt zwischen 90.000 und 120.000 Euro (Stufe 9) – dort ist er nach eigenen Angaben als Kaufmännischer Angestellter in Teilzeit tätig. Für das laufende Jahr fehlen derzeit noch Angaben.
Honorarvorträge bei Wirtschaftskanzleien und Unternehmensberatern
Zu den Topverdienern gehört auch der Vorsitzende der FDP-Fraktion Christian Lindner. Seit Anfang 2015 hat Lindner Einkünfte aus Vortragstätigkeiten in einer Gesamthöhe von 143.309 Euro gemeldet – u.a. für Auftritte beim „Politischen Kaminabend“ der Unternehmensberatung A.T. Kearney, dem „Politischen Salon“ der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und einem von der FDP-Agentur ProLogo GmbH vermittelten Event. Zuletzt verbuchte der FDP-Chef im November für einen Vortrag bei der Konferenz „Investmentstrategie 2017“ in Frankfurt ein Honorar in Höhe von 6.000 Euro. Anders als die Abgeordneten im Bundestag muss Lindner laut Veröffentlichungsregeln nicht mitteilen, zu welchem Thema er einen Vortrag gehalten hat. So bleibt beispielsweise offen, worum es bei den vier Veranstaltungen ging, für die der FDP-Politiker im April 2016 insgesamt 19.500 Euro an Vortragshonoraren meldete. Seinerzeit war Lindner u.a. bei der Wirtschaftskanzlei CMS Hasche Sigle und dem Lebensmittelkonzern REWE aufgetreten.
Mehrere Volksvertreter beziehen zum Teil beträchtliche Nebeneinkünfte für ihre Tätigkeiten in Gremien von öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die sich oftmals aus Ämtern oder Mandaten in der Kommunalpolitik ergeben. Dem SPD-Landtagsabgeordneten Martin Börschel zahlte die Sparkasse Köln/Bonn als Verwaltungsratsvorsitzenden in den vergangenen zwei Jahren insgesamt rund 80.000 Euro. Auch in den Gremien des WDR lässt sich ein gutes Zubrot verdienen. Die CDU-Abgeordneten Ilka Freifrau von Boeselager und Lothar Hegemann kassierten seit Anfang 2015 als Mitglieder des WDR-Verwaltungsrates jeweils 36.240 Euro. Mehrere Landtagsabgeordnete aus den Reihen von SPD, CDU, Grünen und FDP gehören dem Rundfunkrat des öffentlich-rechtlichen Senders an, sie meldeten bei der Landtagspräsidentin für denselben Zeitraum jeweils bis zu 30.000 Euro.
Veröffentlichung hinausgezögert
Wieviel ein Abgeordneter nebenher kassiert hat, bleibt der Öffentlichkeit mitunter allerdings über Monate hinweg verborgen. Der CDU-Abgeordnete Hendrik Wüst beispielsweise hat erst vor kurzem auf der Parlamentswebsite angegeben, was er 2015 mit seinen drei Geschäftsführerposten verdiente: insgesamt zwischen 100.000 und 170.000 Euro. Diese Angaben fehlten dort Anfang November 2016 noch.
Wüst und andere Volksvertreter nutzen eine Sonderregelung aus dem Steuerrecht. Weil sie einen Steuerberater beauftragt haben, können sie die Offenlegung ihrer Nebeneinkünfte aus 2015 noch bis Ende diesen Jahres hinauszögern. Dass sich die NRW-Landtagsabgeordneten Veröffentlichungsregeln gegeben haben, durch die sich ihre Einkünfte so lange Zeit vor der Öffentlichkeit verstecken lassen, ist in keinster Weise nachzuvollziehen. Denn angeben müssen die Parlamentarier nicht das zu versteuernde Einkommen, sondern die Bruttobeträge, die auf ihrem Konto eingehen. Dass man Nebeneinkünfte sehr viel schneller transparent machen kann, zeigt der Deutsche Bundestag. Dort müssen die Abgeordneten ihrer Einkünfte innerhalb von drei Monaten nach Zufluss offenlegen.
Bei der Durchsicht der Landtagswebsite stellt sich mitunter die Frage, ob die Nebentätigkeiten bei einigen Parlamentariern nicht in Wirklichkeit die Haupttätigkeit darstellen. CDU-Politiker Wüst ist nicht der einzige Volksvertreter, der neben seinem Vollzeitjob als Landtagsabgeordneter noch als Geschäftsführer für mehrere Unternehmen tätig ist (u.a. beim Zeitungsverlegerverband NRW, Stufe 8). Insgesamt fünf Geschäftsführerposten zählt der FDP-Abgeordnete Ralph Bombis auf, drei davon vergütet (Gesamteinkünfte für 2015: zwischen 90.000 und 150.000 Euro).
Derart üppige Nebenverdienste sind schädlich für das Ansehen aller Abgeordneten. Dabei verdienen die meisten Volksvertreter in NRW gar nichts nebenbei: Bei 148 der 237 Landtagsabgeordneten (62,5 Prozent) finden sich auf der Landtagswebsite keinerlei Angaben zu Nebeneinkünften.
So haben wir gerechnet: Eingeflossen in die Berechnung sind sämtliche Angaben zu Nebeneinkünften, die von den NRW-Landtagsabgeordneten seit Inkrafttreten der neuen Offenlegungspflichten zum 1. Januar 2015 auf der Landtagshomepage veröffentlicht worden sind. Bestimmte Nebeneinkünfte müssen in Euro und Cent angeben werden, diese flossen entsprechend in die Berechnung ein. Hierzu zählen unter anderem Tätigkeiten der Beratung, Vertretung fremder Interessen oder Vorträge sowie Tätigkeiten als Mitglied eines Vorstandes, Aufsichtsrates, Verwaltungsrates oder Beirates. Wenn wegen Stufenangaben keine konkreten Angaben über die genaue Höhe einer Nebeneinkunft möglich war, haben wir jeweils die unterste sowie die oberste Euro-Grenze der Verdienststufen herangezogen. Beispiel: Bei einem Abgeordneten, der auf der Internetseite des Landtags Einkünfte der Stufe 4 (zwischen 5.000 und 10.000 Euro) aufführt, flossen 5.000 Euro in die Berechnung für seine Mindesteinkünfte und 10.000 Euro in die Berechnung seiner maximal möglichen Einkünfte ein. Stand für alle Angaben ist der 5.12.2016.
Nachtrag vom 16. Februar 2017:
Der Abgeordnete Holger Müller hatte uns bereits am 29. Dezember per Mail Folgendes mitgeteilt (bedauerlicherweise ist diese Mail bei uns untergegangen, was wir zu entschuldigen bitten):
"Ihre Aufstellung fasst alle Nebeneinkünfte seit dem 01. Januar 2015 zusammen. In Ihrem Artikel thematisieren Sie, dass für einzelne Abgeordnete nur die Einkünfte aus dem Jahr 2015 angegeben werden können. Ich gebe meine Nebeneinkünfte immer ordnungsgemäß an. Ihre Zusammenfassung der Nebeneinkünfte von 2015 und bis September 2016 führt dazu, dass das Verhältnis der Nebeneinkünfte der Abgeordneten intransparent wird, weil bei einigen nur die Nebeneinkünfte aus dem Jahr 2015 angegeben sind, bei mir aber bis September 2016. Daher bitte ich Sie die Nebeneinkünfte für die Jahre 2015 und 2016 getrennt darzustellen. Für mich ergibt sich dann für das Jahr 2015 32.201,50. Von diesem Betrag sind im Jahr 2015 30.661,50 € mehrwertsteuerpflichtig. Ich führe meine Mehrwertsteuer immer ordnungsgemäß ab. Diese reduziert mein Nebeneinkommen um 19%. Es verbleiben dann bei mir circa 25.000 € brutto, die natürlich versteuert werden."
In der Tabelle bilden wir ab, wie viele Nebeneinkünfte die Abgeordneten des Landtages Nordrhein-Westfalen nach eigenen Angaben seit Inkrafttreten der Veröffentlichungsregeln erhalten haben. Ein Problem von bezahlten Nebentätigkeiten ist die finanzielle Verbindung zwischen Geber und Empfänger der Zahlungen, weil sich daraus potentielle Interessenkonflikte ergeben können. Von daher ist in unseren Augen unerheblich, in welchem Jahr eine Zahlung erfolgte.