Nebeneinkünfte: Maskenaffäre und Baerbock-Debatte ließen Nachmeldungen sprunghaft ansteigen | abgeordnetenwatch.de Direkt zum Inhalt
Nebeneinkünfte
Maskenaffäre und Baerbock-Debatte ließen Nachmeldungen sprunghaft ansteigen
Die Maskenaffäre sowie die Debatte um die nachgemeldeten Einkünfte von Grünen-Chefin Annalena Baerbock haben offenbar zahlreiche Abgeordnete aufgeschreckt: Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de und SPIEGEL besserten in den Folgewochen überdurchschnittlich viele Volksvertreter:innen ihre Angaben nach. Vielfach wurde gegen die Meldefristen verstoßen – Konsequenzen hat das wohl nicht.
Im März dieses Jahres brachte der CDU-Politiker und Unternehmer Nikolas Löbel seine veröffentlichungspflichtigen Angaben beim Bundestag auf Vordermann. Dem Parlamentspräsidenten meldete er zwei neue Kunden, mit denen er geschäftliche Beziehungen pflegte. Ironie der Geschichte: Als die Änderungen auf Löbels Bundestagsseite veröffentlicht wurden, saß dieser gar nicht mehr im Parlament. Sein Abgeordnetenmandat hatte er kurz zuvor aufgegeben – wegen hoher Provisionszahlungen aus Maskengeschäften.
In jenen Wochen achtete nicht nur Maskenvermittler Löbel penibel darauf, dass in seinem Abgeordnetenprofil alles seine Richtigkeit hatte. Recherchen von abgeordnetenwatch.de und SPIEGEL zeigen, dass das Bekanntwerden der Masken- und Korruptionsaffäre Ende Februar offenbar etliche Abgeordnete aufgeschreckt hat. Auf der Internetseite des Bundestages wurden in der Folgezeit überdurchschnittlich viele Änderungen bei den Selbstauskünften der Abgeordneten vorgenommen.
Jede Woche neue Enthüllungen
Verwunderlich ist das nicht. Überall im Land nahmen Journalist:innen damals die veröffentlichungspflichtigen Angaben der Parlamentarier:innen unter die Lupe. Kaum eine Woche verging, in der nicht fragwürdige Geschäftspraktiken von Abgeordneten oder neue Ungereimtheiten bei Nebentätigkeiten öffentlich wurden. Da wollte niemand Anlass für weitere Enthüllungen geben – und besserte seine Angaben nach.
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Mitte April 2021 erschienen auf der Bundestagsseite des CSU-Abgeordneten Stefan Müller zwei neue Nebeneinkünfte für einen Posten im Aufsichtsrat bei der Deutschen Bahn. Müller hatte das Geld, jeweils Beträge im mittleren vierstelligen Bereich, bereits in den Jahren 2019 und 2020 erhalten. Warum meldete er die Einkünfte erst mit einer solch großen Verspätung? Der CSU-Politiker erklärt das auf Anfrage so: „Bei den Zahlungen von der Bahn war aufgrund der Formulierung in den Verhaltensregeln zunächst unklar, ob sie über der Meldeschwelle liegen – ich habe sie dann von mir aus vorsichtshalber nachgemeldet“.
Indirekt bestätigte der Fraktionsgeschäftsführer der CSU-Landesgruppe, dass die damalige Diskussion über die Nebentätigkeiten von Abgeordneten Anlass für die Durchsicht seiner veröffentlichungspflichtigen Angaben gewesen sei. „Die Vorfälle im Frühjahr haben die Sensibilität vieler Parlamentarier erhöht. Ich fühle mich zwar keinem Lobbyinteresse verpflichtet, verstehe aber, dass manche Aktivitäten Fragen aufwerfen.“ Deshalb werde er eine Beiratsmitgliedschaft bei der DZ Bank zeitnah beenden. Aus dem Aufsichtsratsposten bei der Bahn war er vor zwei Jahren ausgeschieden.
Plötzlich tauchten 23 neue Geschäftspartner auf
Dass die Masken- und Korruptionsaffäre zahlreiche Abgeordnete zur Aktualisierung ihrer Angaben veranlasste, lässt sich auch an Zahlen ablesen: In den sechs Monaten vor Bekanntwerden der ersten Maskengeschäfte Ende Februar 2021 wurden auf der Bundestagsseite im Schnitt zwölf Abgeordnetenprofile pro Woche aktualisiert. Von März bis Mitte Juni erfolgten pro Woche durchschnittlich 19 Änderungen – eine Zunahme um mehr als die Hälfte. abgeordnetenwatch.de erhebt fortlaufend alle Veränderungen, die in den Abgeordnetenprofilen vorgenommen werden.
Rege Aktivitäten waren im April beispielsweise auf der Bundestagsseite des CDU-Abgeordneten Joachim Pfeiffer zu beobachten. Mit einem Mal tauchten dort 23 namentlich nicht genannte Kunden auf; zu einigen unterhielt Pfeiffer über seine Consultingfirma Maconso GmbH seit mehreren Jahren eine geschäftliche Beziehung. Eine Anfrage von abgeordnetenwatch.de zu den Hintergründen der Nachmeldungen ließ der CDU-Politiker kürzlich durch einen Medienanwalt beantworten. Seine Anzeigepflichten gegenüber dem Bundestag habe er selbstverständlich stets "nach bestem Wissen und Gewissen" erfüllt. Offen blieb, warum die Meldung bei manchen Geschäftskunden erst mit mehrjähriger Verspätung erfolgte.
Für die Veröffentlichung von Nebentätigkeiten und Einkünften gelten klare Regeln. Abgeordnete müssen Änderungen innerhalb von drei Monaten beim Parlamentspräsidenten melden, dieser veröffentlicht die Angaben schließlich im Internet. Doch die Transparenzvorschriften werden nicht selten missachtet, wie Recherchen von abgeordnetenwatch.de und ZEIT ONLINE im Mai zeigten.
FDP-Politiker meldete Zehntausende Euro nach
Bei dem FDP-Abgeordneten Thomas Hacker etwa erfuhr man lange Zeit nicht, dass er 2019 und 2020 Beratungshonorare von mindestens 26.500 Euro erhalten hatte – die Angaben wurden erst in diesem April auf der Bundestagsseite nachgetragen. Als abgeordnetenwatch.de über die Nachmeldung berichtete, reichte Hacker eine komplizierte Erklärung nach: In einem langwierigen Gerichtsverfahren habe zunächst der „sozialversicherungsrechtliche Status“ der Honorare geklärt werden müssen, anschließend habe er Zahlungen „unmittelbar“ beim Bundestag angezeigt. Merkwürdig nur: Ob ein Beratungshonorar sozialversicherungspflichtig ist oder nicht, tut bei der Meldefrist nichts zur Sache. Laut Bundestagsverwaltung ist dafür allein der Zeitpunkt des Geldeingangs maßgeblich.
Hacker reichte beim Bundestagspräsidenten auch Einkünfte aus einer weiteren Tätigkeit nach. Von 2018 bis 2020 hatte der FDP-Politiker als Mitglied im Bayreuther Stadtrat zwischen 15.000 und 30.000 Euro jährlich erhalten. Davon erfuhr man auf seiner Bundestagsseite ebenfalls erst in diesem April.
Dass Abgeordnete gegen die Transparenzvorschriften des Bundestages verstoßen, dürfte auch daran liegen, dass es so gut wie keine Konsequenzen gibt. Seit Verschärfung der Verhaltensregeln im Jahr 2005 gab es lediglich eine Sanktion: Vor einigen Jahren musste die inzwischen verstorbene CDU-Abgeordnete Karin Strenz ein Ordnungsgeld von gut 20.000 Euro zahlen, weil sie Einkünfte aus einer Lobbytätigkeit erst mit großer Verspätung gemeldet hatte. Um Pflichtverstöße von Parlamentarier:innen strenger zu ahnden, fordern zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter abgeordnetenwatch.de, Kontrollen und eine unabhängige Prüfung bei den veröffentlichungspflichtigen Angaben. Bislang liegt diese Aufgabe beim Bundestagspräsidenten und seiner Verwaltung.
Der "Baerbock-Effekt"
Dass es erst öffentlichen Druck braucht, damit einige Abgeordnete die Verhaltensregeln einhalten, zeigte sich erst kürzlich wieder. Kaum waren die mit großem Verzug gemeldeten Parteizahlungen an Grünen-Chefin Annalena Baerbock in Höhe von 25.000 Euro aufgeflogen und zu einem großen Medienthema geworden, lieferten auch andere Abgeordnete nach: In der letzten Mai-Woche wurden Angaben in 37 Bundestagsprofilen aktualisiert, mehr als doppelt so viele wie im Wochenschnitt. Neben Baerbock machte damals auch der frühere Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir Parteizahlungen von rund 20.000 Euro transparent.
Einer, der seine Nebeneinkünfte ebenfalls mit großer Verspätung nachtrug, war der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach. Er hatte einen 31.000 Euro-Vorschuss für ein Buchprojekt sowie mehrere Vortragshonorare in einer Gesamthöhe von rund 18.000 Euro lange Zeit nicht gemeldet. Auf Twitter gab sich der Gesundheitspolitiker reumütig. Obwohl er selbst betroffen sei, fände er die Vorschläge von abgeordnetenwatch.de richtig, twitterte Lauterbach: „Es wäre besser, wenn die genaue Höhe der Nebeneinkünfte veröffentlicht und die Fristen kontrolliert würden.“
Mitarbeit: Andrea Knabe
Warum ein CDU-Abgeordneter seine Firmenanteile auf die Ehefrau übertrug
Im Frühjahr, kurz nach Bekanntwerden der Masken- und Korruptionsaffäre, gab es auf Bundestagsseite des CDU-Abgeordneten Alexander Throm Neuigkeiten. Am 18. März hatte Throm sich von Anteilen an der Firma TEAM tomara GmbH getrennt und dies ordnungsgemäß beim Bundestagspräsidenten angezeigt.
Das Unternehmen deckt laut Handelsregister eine recht ungewöhnliche Kombination an Geschäftsbereichen ab: die Verwaltung von Immobilien sowie „Entwicklung und Design von Mützen und Kleidungsstücken sowie deren Vertrieb“. In Zeiten, in denen Unionsabgeordnete über eigene Firmen fragwürdige Maskengeschäfte abgewickelt und Provisionszahlungen kassiert hatten, fiel so etwas ins Auge.
Doch mit Maskengeschäften habe weder er noch das Unternehmen je etwas zu tun gehabt, versicherte Throm gegenüber abgeordnetenwatch.de. „In der Tat hatte ich etwa 2015/2016 einmal vor, selbst Mützen zu entwerfen und zu produzieren. Diese nicht ganz ausgegorene Idee hat sich aber bereits vor meiner Zeit im Deutschen Bundestag zerschlagen. Außer ein paar Musterstücken wurde nichts hergestellt und nicht ein Stück verkauft.“ Dass er seine Firmenanteile im März 2021 auf seine Frau übertrug, habe damit zu tun, dass er selbst keine Geschäftstätigkeit ausgeübt habe.
Die kürzlich beschlossenen Transparenzvorschriften, die unter anderem eine Veröffentlichung von Firmenanteilen bereits ab 5 Prozent (bislang 25 Prozent) vorsehen, hält Throm für "notwendig und angemessen". "Ich habe diesen sowohl in der Fraktion als auch im Parlament zugestimmt."