Wer bislang glaubte, Lobbyisten hielten sich vornehmlich im Eingangsbereich des Parlaments - also in der Lobby - auf, der kennt das Berliner Abgeordnetenhaus nicht. Dort hat es sich ein Lobbyist seit über einem Jahr im Plenarsaal bequem gemacht - gut getarnt als Volksvertreter.
Michael Freiberg (Foto) heißt er und ist Landtagsabgeordneter der Berliner CDU. Einerseits. Andererseits ist Freiberg Inhaber der Unternehmensberatung "Freiberg Consulting", die u.a. folgende Dienstleistung anbietet:
Als Mitglied des mächtigen Hauptausschusses und als ehemaliger Regierungsdirektor von Berlin ist Michael Freiberg für Unternehmen ein spannender Gesprächspartner mit guten Kontakten und Insiderinformationen - beides lässt sich nach dem Motto "Rent a Volksvertreter" im Nebenjob zu Geld machen. Auf seiner Homepage dient Freiberg sich ganz ungeniert als "Lobbyist" für Unternehmen an:
Sachwissen und Kontakte gegen Geld - das ist das zumeist lohnende Geschäftsmodell von Politikern, die von Unternehmen für ihren privilegierten Zugang zu Informationen und Entscheidern bezahlt werden. Ohne Insiderwissen und prall gefüllte Adressbücher jedenfalls wären viele Abgeordnete für ein Unternehmen in etwa so interessant wie Vegetarier für einen Würstchenverkäufer.
Neben freiberuflichen Unternehmensberatern sind in den Parlamenten zahlreiche Abgeordnete anzutreffen, die von einem Unternehmen als Beiratsmitglied (also Berater) verpflichtet und dafür nicht selten mit der Höchststufe 3 ("mindestens 7.000 Euro") bezahlt werden. Dazu gehören beispielsweise der frühere Wirtschaftsminister und jetzige Bundestagsabgeordnete
Michael Glos (Foto) als Berater der milliardenschweren Beteiligungsgesellschaft RHJ International und Unions-Fraktionsvize
Michael Fuchs, der im Beirat der Beteiligungsgesellschaft Triton sitzt. Tatsächlich sind die Einkünfte oft sehr viel höher.
Doch wie hoch genau? Niemand weiß es. Denn Union und FDP, in deren Reihen besonders viele Abgeordnete mit einträglichen Beraterposten sitzen, sperren sich gegen eine Euro-genaue Veröffentlichung der Nebeneinkünfte, die Rückschlüsse über den Umfang einer Beratertätigkeit zuließe. Ebenso vehement sind die Koalitionsfraktionen gegen eine Pflicht für Rechtsanwälte und Steuerberater, wenigstens die Branchen ihrer Mandanten offenzulegen.
Von schärferen Transparenzregeln wären zum Beispiel Bundestagsabgeordnete wie Martin Lindner betroffen. Als Rechtsanwalt für die weltweit tätige Wirtschaftskanzlei "Beiten Burkhardt" hat auch er in den vergangenen Jahren Einkünfte der Höchststufe bezogen. Ob für die Betreuung eigener Mandanten oder als Berater - dazu wollte Lindner sich gegenüber abgeordnetenwatch.de nicht äußern. Auch auf die Frage nach seinem Fachgebiet bei "Beiten Burkhardt" blieb der FDP-Fraktionsvize und Wirtschaftsexperte eine Antwort schuldig.
Lindner ist Mitglied im Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Technologie, das ist einer der Bereiche, auf die „Beiten Burkhardt“ sich spezialisiert hat. Zu ihrer Expertise zählt die Kanzlei u.a. die Felder "Energiewirtschaft" und "Informationstechnologie und Telekommunikation". Lindners Schwerpunkt sei der Bereich "Öffentliches Recht", teilte die Kanzlei auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage mit.
Merkwürdigerweise erweckt Martin Lindner auf der Bundestagshomepage den Eindruck, als sei er für "Beiten Burkhardt" bereits tätig gewesen, als er noch gar nicht im Bundestag saß:
Doch "Beiten Burkhardt" stellt dies gegenüber abgeordnetenwatch.de vollkommen anders dar: Erst kurz nach der Bundestagswahl im September 2009 sei Martin Lindner zur Kanzlei gestoßen, und zwar am 1. Januar 2010. Warum Lindners Falschangabe gegenüber dem Bundestagspräsidenten? Sollte der Eindruck vermieden werden, Lindners Einstieg bei der Großkanzlei habe etwas mit seinem Einzug in den Bundestag zu tun?
Zum Grund für die Falschangabe wollte sich der FDP-Politiker auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de nicht äußern, nur soviel: Er habe die "Korrektur einer fehlerhaften Darstellung" auf der Bundestagshomepage veranlasst, die korrekte Angabe befände "sich im Übrigen nach wie vor auf meiner eigenen Homepage".
Zufall oder nicht: Wenige Tage nach der ersten Anfrage von abgeordnetenwatch.de zu seiner Nebentätigkeit ließ der FDP-Abgeordnete vergangene Woche auf der Bundestagshomepage sein Ausscheiden bei "Beiten Burkhardt" zum 30.09.2012 nachtragen. Theoretisch hätte er für diese Meldung bis Ende des Jahres Zeit gehabt. Zu den Gründen für seinen Ausstieg wollte sich Lindner gegenüber abgeordnetenwatch.de ebenfalls nicht äußern.
Im Europaparlament gibt es einen ähnlich gelagerten Fall wie der des Martin Lindner. Der CDU-Abgeordnete
Klaus-Heiner Lehne ist Vorsitzender des einflussreichen Rechtsausschuss und arbeitet nebenher für die internationale Großkanzlei "TaylorWessing". Mindestens 120.000 Euro jährlich kassiert Lehne für seine Anwaltstätigkeit, doch wofür genau ist nicht bekannt. Dass Interessenkonflikte kaum zu vermeiden sind, zeigen abgeordnetenwatch.de-Recherchen aus dem Mai: Danach fädelte Lehnes Kanzlei 2010 einen Deal für den Plattenmulti Sony Music ein, während Lehne im EU-Parlament über die Durchsetzung von Urheberrechten mit entschied. (
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Michael Freiberg übrigens, der als Landtagsabgeordnete getarnte Lobbyist vom Anfang, möchte seine Türöffner-Dienste inzwischen nicht mehr öffentlich anpreisen. Seine Homepage wird derzeit "überarbeitet".
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© Fotos: CDU-Fraktion Abgeordnetenhaus (Michael Freiberg), CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Michael Glos), Frank Ossenbrink / Bundestag (Martin Lindner) / CDUCSU.eu (Klaus-Heiner Lehne)