Forschungszentrum DESY: Wie Johannes Kahrs seine Parteifreunde mit Millionen glücklich machte | abgeordnetenwatch.de Direkt zum Inhalt
Forschungszentrum DESY
Wie Johannes Kahrs seine Parteifreunde mit Millionen glücklich machte
Als SPD-Abgeordneter lotste Johannes Kahrs jahrelang Millionen aus dem Bundeshaushalt in seine Heimatstadt Hamburg. Mehr als 200 Millionen Euro flossen an ein Forschungszentrum, bei dem Kahrs-Vertraute einflussreiche Posten haben. Ein Problem daran will keiner der Beteiligten sehen.
Johannes Kahrs steht vor einem Modell der Forschungseinrichtung DESY und lächelt in die Kamera. Mit einer Hand setzt er ein Gebäude in die Mitte. Das Foto scheint auszudrücken: Hier ist Kahrs, der Politiker, der dem DESY neue Gebäude verschafft. DasBild ist von August 2018. Kurz zuvor, Ende Juni, hatte der Haushaltsausschuss des Bundestags entschieden, dem DESY 71,5 Millionen Euro Sondermittel für "Sanierungen des Bestands als auch Neubauten" zu geben. Maßgeblich vorangetrieben hatte dies Johannes Kahrs. Es war nicht das erste Mal, dass der Haushaltsausschuss auf seine Initiative hin Sondermittel an das DESY vergab, und auch nicht das letzte Mal.
Damals ist Johannes Kahrs (SPD) ein einflussreicher Abgeordneter im Bundestag. Seit Jahren holt er das Direktmandat für Hamburg-Mitte und ist als haushaltspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag bekannt dafür, besonders viele Projektgelder in seine Stadt zu holen.
Doch an den Vorgängen am DESY ist etwas Besonderes. Beim Deutschen Elektronen-Synchrotron, einem Forschungszentrum zur Entschlüsselung der Materie, arbeiten zu der Zeit drei Vertraute, mit denen Kahrs persönlich und politisch verbunden ist. Einer ist Kahrs‘ ehemaliger Büroleiter, Tobias Piekatz. Der zweite ist Denny Droßmann (ehemals Krienke), auf dessen Hochzeit Kahrs einer der Trauzeugen war. Der Dritte ist Arik Willner, der zeitgleich beim DESY und in Kahrs‘ SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte Karriere machte. Einen Interessenkonflikt wollen die Beteiligten nicht erkennen.
Kahrs gilt als "gewiefter Strippenzieher". Sein enges Netzwerk aus von ihm geförderten, meist männlichen Mitgliedern im mächtigen Kreisverband Mitte, die sich gegenseitig den Rücken stärken, ist so berüchtigt, dass es in unzähligen Artikeln als "System Kahrs" beschrieben wird. Im Jahr 2014zitierte die Zeit einen langjährigen Beobachter so: "Das System Kahrs basiert auf Postenverteilung und auf Zuwachs. Man muss immer neue Positionen erobern, um wieder Posten verteilen zu können." Die Verbindungen mit dem DESY sind eine Illustration davon.
2016: Beginn einer engen Verbindung zwischen Haushaltsausschuss, DESY und der SPD Hamburg Mitte
Die ersten Sondermittel, die Kahrs im Haushaltsausschuss organisierte, gab es 2016. „Bundestag bewilligt 30 Millionen Euro für DESY-Infrastruktur“,verkündete das Forschungszentrum. Mit dem Geld solle das "bauliche Erscheinungsbild modernisiert“ werden." Unser Dank gilt den Abgeordneten des Deutschen Bundestags, insbesondere dem Hamburger Abgeordneten Johannes Kahrs, der sich maßgeblich für die Bereitstellung der Mittel eingesetzt hat", heißt es in der Pressemitteilung.
Dass sich Abgeordnete im Bundestag für ihren Wahlkreis einsetzen, ist üblich. Was diesen Fall besonders macht, sind die politischen und persönlichen Verbindungen zu dem Abgeordneten, der sich für die Fördermillionen einsetzt.
Als das Geld in Berlin bewilligt wird, bekleidet der Fraktionschef von Kahrs’ SPD Kreisverband eine wichtige Position beim DESY: Arik Willner ist der Chief Technological Officer (CTO) bei der Forschungseinrichtung, eine neu geschaffene Stelle. Zur selben Zeit, Ende 2016, bewirbt sich ein weiterer Bekannter von Kahrs beim DESY: Denny Droßmann, damals noch Krienke. Er möchte persönlicher Referent von Arik Willner werden und bekommt die Stelle.
Krienke, Kahrs und Willner sind mit einem weiteren mächtigen SPD Hamburg-Mitte-Mann verbunden: dem damaligen Bezirksamtschef und heutigen Bundestagsabgeordneten Falko Droßmann. Krienke ist der Lebenspartner von Droßmann, ein Jahr später werden sie heiraten. Droßmanns Trauzeuge: Johannes Kahrs. Willner und Droßmann verbindet eine politische Beziehung. Sie arbeiten seit 2014 zusammen: Der DESY-CTO war erst Droßmanns Vize als Fraktionschef, und 2016 sein Nachfolger.
Einige Monate später beginnt ein weiterer Bekannter von Kahrs, Droßmann und Willner beim DESY: Tobias Piekatz. Piekatz‘ und Droßmann kannten sich von der Luftwaffe. Im Jahr 2014 wurde Piekatz Kahrs‘ Büroleiter und später Willners Nachfolger als Fraktionschef. Auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de bestätigt Piekatz, dass er durch seine Bekanntschaften in der SPD Hamburg-Mitte zum DESY gekommen sei: "Arik Willner hat mich auf die Stellenausschreibung aufmerksam gemacht, auf die ich mich bewarb."
2018: 94 Millionen und neue Posten
Es ist besonders der Sommer 2018, in dem Denny Droßmann und Arik Willner bei DESY aufsteigen, während Johannes Kahrs sich im Bundestag für Millionen für das DESY einsetzt.
Im Juni wird Denny Droßmann beim DESY Projektmanager für Start-Up Infrastrukturen. In der Bereinigungssitzung Ende Juni beschließen Kahrs und seine Kolleg/innen im Haushaltsausschuss, 71,5 Millionen Euro an DESY für "nicht-wissenschaftliche Infrastrukturen" zu vergeben.
"Unser großer Dank geht an den Haushaltsausschuss des Bundestages und die Abgeordneten, die diese Zuwendung auf den Weg gebracht haben", heißt es in der Pressemitteilung vom DESY. Zu Wort kommt nur einer von ihnen: Johannes Kahrs. "Ich bin gespannt auf die Ergebnisse, wünsche DESY viel Erfolg bei der Umsetzung der Bau- und Sanierungsvorhaben und werde dies auch gern weiterhin begleiten."
Doch mit dem Geldsegen ist es noch nicht vorbei. Einige Monate später bewilligt der Haushaltsausschuss weitere 95 Millionen Euro – diesmal für die Einrichtung eines Start-up-Inkubators. Kahrs sagte damals: "Ich habe mich für diese Finanzierung eingesetzt, weil unser Hamburg – und damit ganz Deutschland – DESY als Ort für Innovationen unbedingt braucht."
Gab es einen Zusammenhang zwischen den Stellen für Kahrs‘ Parteikollegen und den Sondermitteln? Auf Anfrage bestreitet ein DESY-Sprecher dies. Kahrs antwortete nicht auf Fragen von abgeordnetenwatch.de.
Ende 2019, bekommt das DESY ein weiteres Mal Sondermittel: 15 Millionen Euro für die nicht-wissenschaftliche Infrastruktur. Wieder kommt Johannes Kahrs als einziger Abgeordneter in der DESY-Pressemitteilung zu Wort. Ziel sei es, die Innovation und Spitzenforschung zu fördern und im Rahmen einer komplexen Campusplanung vorzubereiten, so wird er dort zitiert. "Dafür habe ich mich im Haushaltsausschuss erfolgreich eingesetzt." Und zufällig bekommt auch Kahrs ehemaliger Büroleiter Piekatz eine neue Position: Er wird Projektkoordinator Campusentwicklung – alle Bauprojekte gehen nun über seinen Tisch.
Das DESY gibt sich auf Anfrage ahnungslos, wie es zu dem Millionen-Segen kam: "Wie genau die Entscheidung im Haushaltsausschuss zur Unterstützung DESYs zustande kam, entzieht sich unserer Kenntnis." Man habe kurzfristig nach der Abstimmung von den Ergebnissen erfahren.
Willner, Falko und Denny Droßmann geben auf Anfrage an, nicht mit Kahrs über die Fördergelder gesprochen zu haben oder nicht zu wissen, wie die Entscheidung zustande kam.
Auf die Frage, ob das DESY ein Interessenkonflikt darin sieht, dass Johannes Kahrs maßgeblich daran beteiligt war, insgesamt mehr als 200 Millionen Euro für ein Institut zu beschaffen, an dem Vertraute von ihm arbeiten, antwortet eine Pressesprecherin des DESY: "Entscheidungen des Haushaltsausschusses werden von einer politischen Mehrheit getroffen, nicht wie in der Frage dargestellt, von Einzelpersonen." In den Pressemitteilungen zu den Sondermitteln kam allerdings immer nur Johannes Kahrs zu Wort.
Das Ende des Einflusses?
Unerwartet kommt im Jahr 2020 das politische Aus von Johannes Kahrs. Seine Fraktion im Bundestag versagt ihm den angestrebten Posten als Wehrbeauftragter. Zudem gibt es Berichterstattung über ihn im Zusammenhang mit der Steuerklau-Affäre "Cum-Ex". Im Mai tritt er von allen Posten zurück und verlässt den Bundestag. Bei der Bundestagswahl 2021 gewinnt Falko Droßmann das Direktmandat in Hamburg-Mitte von seinem Trauzeugen Kahrs.
Derweil steigen die drei Männer beim DESY weiter auf. Inzwischen ist Denny Droßmann gemeinsam mit Arik Willner Geschäftsführer bei den Start-Up Labs Bahrenfeld. Piekatz leitet eineLenkungsgruppe für Bauprojekte. "Wir sind wie eine Art Filter", sagt er. "Wir prüfen Projekte auf Umsetzbarkeit und machen Priorisierungsvorschläge."
Auch Willner hat einen weiteren Posten inne: Er ist Lobbyist für das DESY. Laut Lobbyregister gab die Forschungseinrichtung im Jahr 2020 mindestens 170.000 Euro für Interessenvertretung aus. Es ist gut investiertes Geld. Denn vor wenigen Wochen bewilligte der Haushaltsausschuss zum ersten Mal seit Kahrs' Ausscheiden Sondermittel für das DESY: 40 Millionen Euro. In der Pressemitteilungkommt allerdings kein Bundestagsabgeordneter mehr zu Wort.
Und was macht Kahrs? Inzwischen ist er mit einer eigenen Firma Unternehmensberater und Lobbyist und verdient gut. Basierend auf dem Geschäftsbericht 2021 schätzt das Unternehmensportal North Data, dass seine Duckdalben Consulting GmbH in dem Jahr 1.9 Millionen Euro Umsatz machte.