Strukturgesellschaft: Wie ein diskreter Verein Lobbyisten und Abgeordnete zusammenbringt | abgeordnetenwatch.de Direkt zum Inhalt
Strukturgesellschaft
Wie ein diskreter Verein Lobbyisten und Abgeordnete zusammenbringt
In Räumen des Bundestags tauschen sich regelmäßig Abgeordnete mit Interessenvertreter:innen aus. Organisiert werden die vertraulichen Runden von der "Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen". Wer ist der Verein, der wenig über sich preisgeben will?
Am Boulevard Unter den Linden in Berlin Mitte steht ein Haus des Bundestags. Um hineinzukommen, muss man angemeldet sein – es gibt eine Pförtnerin und eine Sicherheitskontrolle. Der Fahrstuhl bringt einen in den 1. Stock. Auf abgenutztem, grauem Teppich geht es zu einem hellen Sitzungssaal. An den Tischen, angeordnet in einem Rechteck, sitzen Abgeordnete neben Vertreter:innen von Unternehmen und Public-Relations-Agenturen. Was hier besprochen wird, darüber darf nicht berichtet werden.
Es gibt etliche Hintergrundkreise im Umfeld des Bundestags, die die Öffentlichkeit scheuen. Einer der traditionsreichsten ist die Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen, kurz: Strukturgesellschaft. Seit ihrer Gründung in Bonn im Jahr 1959 organisiert die Gesellschaft Sitzungen, in denen ihre Mitglieder – vor allem Unternehmen und Verbände – auf Abgeordnete treffen.
Was geschieht bei diesen Treffen? Obwohl die Öffentlichkeit eigentlich nicht eingeladen ist, konnte abgeordnetenwatch.de eine Sitzung besuchen. Daraus, sowie aus Gesprächen mit Beteiligten und internen Dokumenten, entsteht das Bild eines diskreten Netzwerks, das Raum für Einflussnahme auf die Politik schafft.
Bei einem der vertraulichen Treffen Anfang Februar, zu dem abgeordnetenwatch.de keinen Zugang bekam, ging es um ein Rüstungsprojekt: das European Sky Shield. Dafür wollen europäische NATO-Mitglieder Waffensysteme beschaffen, mit denen sie ihren Luftraum gemeinsam verteidigen wollen. Für die Rüstungsindustrie bedeutet das Milliardenaufträge.
Eingebracht hatte das Thema der CSU-Abgeordnete Reinhard Brandl. Er leitet in der Strukturgesellschaft den Beirat Sicherheit und Verteidigung. Im Bundestag gehört dem Verteidigungsausschuss an und sitzt im Gremium “Sondervermögen Bundeswehr”, das über Rüstungsanschaffungen im Umfang von 100 Milliarden entscheidet.
Brandl schlug zwei Statement-Geber vor: Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Guido Bendler vom Rüstungsunternehmen MBDA. Dieses stellt Luftverteidigungssysteme her. Bendler ist dort Director of Sales. Ein Verkäufer, der Abgeordnete informiert. Auf Anfrage schreibt Brandl: “Um beurteilen zu können, ob das von der Regierung vorgeschlagene Konzept überhaupt realisierbar ist, ist ein Austausch mit Experten aus der Industrie unerlässlich. Deshalb wurde in diesem Fall das Unternehmen MBDA zu der Sitzung eingeladen.”
Die Gesellschaft hat sich eng am Bundestag orientiert. Es gibt unter anderem Beiräte für Energie, Europa oder Sicherheit und Verteidigung – weitgehend parallel zu den Ausschüssen. Jeweils ein Bundestagsmitglied hat den Vorsitz des Beirates inne – eine Nebentätigkeit, die Abgeordnete immer mal wieder vergessen anzugeben.
Recherchen von abgeordnetenwatch.de und Zeit zeigten 2021, dass CSU-Mann Brandl, dessen Partei-Kollege Stefan Müller und der Grüne Abgeordnete Cem Özdemir ihre Tätigkeiten in der Strukturgesellschaft nicht transparent gemacht hatten. Erst auf Anfrage ließen sie ihre Funktion im Beirat beziehungsweise im Vorstand des Vereins auf der Webseite des Bundestags nachtragen. Von den aktuellen Beiräten fehlt die Angabe bei einem Abgeordneten: beim bayerische FDP-Abgeordneten Daniel Föst. Auf Anfrage teilte er abgeordnetenwatch.de mit, dass er sich deswegen bei Bundestagsverwaltung gemeldet habe.
Wie kommen die Abgeordneten an diese Posten? Auf Anfrage erklärte die Strukturgesellschaft, sie suche dafür Abgeordnete aus. Die Beiratsvorsitzenden würden das Thema der Sitzung und die externen Gäste vorschlagen, meist eine Person aus der Forschung und jemand aus der Wirtschaft. Doch nicht nur das: Der jeweilige Beirat bucht auch die Räume im Bundestag. Abgeordnete verschaffen Lobbyisten so direkten Zugang zu ihrem Haus.
Kein Lobbyismus?
Geschäftsführer der Strukturgesellschaft ist Horst-Dieter Westerhoff, ein ehemaliger Referatsleiter im Bundeskanzleramt. Er weist den Vorwurf zurück, die Strukturgesellschaft sei ein Lobby-Verein. In einer E-Mail schreibt er an abgeordnetenwatch.de: „Die Vorstellung, dass Lobbyvertreter die Strukturgesellschaft dazu benutzen, um Kontakte zu Bundestagsabgeordneten zu knüpfen, ist putzig!“ Und schon im Jahr 2009 schrieb er in einem Aufsatz, der Vorwurf, die Strukturgesellschaft sei „eine besonders effektive Art des Lobbyings“, sei ein Fehlurteil.
Doch Lobbyisten sehen das ganz anders. Für manche ist die Gesellschaft eine Art Andockstelle, um mit Abgeordneten in Kontakt zu kommen. Eine Beratungsfirma beschrieb die Strukturgesellschaft in eineminternen Strategiepapier als eines der Formate, „die grundsätzlich dazu dienen könnten, Anliegen der [Unternehmensname geschwärzt] im politischen Raum zu positionieren“. Der Grund, laut dem Papier: „Da zahlreiche MdB's Mitglied sind, ist dieses Forum sehr beliebt.“ Das Dokument stammt von 2008 und wurde laut Spiegel für die Atomkraftsparte von E.On erstellt.
Auch ehemalige Abgeordnete wie der Grüne Gerhard Schick teilen diese Einschätzung. Er saß mehrere Jahre im Vorstand der Strukturgesellschaft und gründete nach seinem Ausscheiden aus der Politik den lobbykritischen Verein Finanzwende. „Natürlich werden Foren für eine einseitige Diskussion zwischen Abgeordneten und Lobbyvertretern geschaffen”, schreibt Schick auf Anfrage.
Selbst wohlgesonnene Politiker räumen ein, dass es bei solchen Kreisen um Interessenvertretung geht. Wolfgang Schäuble (CDU), damals Bundestagspräsident, sagte 2019 in seiner Festrede zum 60-jährigen Bestehen, man müsse die Bewertung der Gesellschaft als “öffentlichkeitsscheue Lobbyorganisation“ nicht teilen. “Aber wenn man dem Parlament so eng und so lange verbunden ist wie Sie, ist es kein Fehler, sie zu reflektieren.”
Öffentlichkeitsscheu ist die Strukturgesellschaft heute noch. Welche Lobbyisten auf Einladung von Abgeordneten einen Vortrag halten dürfen, wollen die Verantwortlichen nicht sagen. Dies sei angeblich zu aufwendig. Darum fragte abgeordnetenwatch.de zu zwei konkreten Veranstaltungen: einer Runde zum Thema EU-Taxonomie auf Einladung des CDU-Abgeordneten Thomas Bareiß im April 2021, und einer Sitzung zum Thema transatlantische Wirtschaftsbeziehungen mit Joachim Pfeiffer (CDU) im Mai 2021. Darauf gab die Strukturgesellschaft keine Antwort.
Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen / Screenshot: abgeordnetenwatch.de
Die Sitzungen von Bareiß und Pfeiffer im Programm der Strukturgesellschaft
Sind diese Kreise immer noch effektiv?
Gegründet wurde die Strukturgesellschaft Ende der 60er Jahre auf Initiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der damaligen Hauptstadt Bonn. Mit dem Umzug nach Berlin kam 1999 die langsame parteipolitische Öffnung. Heute kommen allerdings die meisten der Beiräte wieder aus der CDU/CSU-Fraktion: lediglich einer von der SPD und einer von der FDP sind mit dabei.
Ein jüngerer Ex-Abgeordneter von der Union, der in der Strukturgesellschaft aktiv war, bewertet den Verein heute als nicht mehr zeitgemäß. „Da kommt nichts bei rum“, sagte er im Gespräch mit abgeordenetenwatch.de.
Auch der ehemalige Abgeordnete der Grünen Gerhard Schick hält die Strukturgesellschaft nicht für ein „sehr wichtiges“ Vehikel des Lobbyismus. Die entscheidenden Einflusskanäle seien eher individuelle Gespräche, organisiert von Agenturen und Verbänden, sagte er.
Ungeachtet dessen schafft es die Gesellschaft, prominente Akteure aus der Wirtschaft als Mitglieder an sich zu binden. Etwa den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Google oder Bayer. Und auch prominente Politiker:innen machen mit: Jens Spahn (CDU), Friedrich Merz (CDU) und Bettina Strack-Watzinger (FDP) waren in der Vergangenheit in einem Beirat oder sogar im Vorstand.
Forderungen an die Politik
Bei den Veranstaltungen liegen Teilnehmerlisten auf den Tischen. So war es auch bei der Veranstaltung, die abgeordnetenwatch.de besuchte. Sie zeigen, dass Unternehmen ihre Lobbyisten schicken – die Leute, die sie als Interessenvertreter ins Lobbyregister eingetragen haben. Bei den Sitzungen können sie ihre Bitten an die Politik loswerden.
Dass dies ein Zweck der Gesellschaft ist, schrieb der Chef der Strukturgesellschaft, Horst-Dieter Westerhoff, in seinem Aufsatz von 2009: „Sachverhalte werden aufgeklärt, unterschiedliche Auffassungen treffen aufeinander, Abgeordnete nehmen Informationen auf und moderieren auch, Forderungen an die Politik werden gestellt.“
Dabei verschwimmt die Grenze zwischen dem Präsentieren von Interessen und dem, was Lobbyisten auch tun: etwas verzerrt darstellen, um ihre Argumente zu stärken.
Dies ließ sich in der Sitzung beobachten, in der abgeordnetenwatch.de anwesend war. Eine Interessenvertreterin sprach über die negativen Auswirkungen eines Gesetzes für kleine und mittelständische Unternehmen. Was sie jedoch nicht sagte: diese konkrete Regelung gilt für solche Unternehmen gar nicht.
Seitenwechsler im Vorstand
Interessant sind die internen Runden auch aus einem anderen Grund. Hier bekommen die Wirtschaftsvertrer:innen Zugang zu Fachleuten der Fraktionen, die für ihre Themen zuständig sind. Westerhoff schrieb an abgeordnetenwatch.de, dass die Gesellschaft die jeweiligen Fraktionssprecher:innen für den Vorsitz eines Beirats gewinnen wollen: „Auf diese Weise kann es gelingen, aus der Fülle der im Bundestag behandelten Themen die wichtigsten herauszufinden.“ Informationen sind die Hauptwährung der Lobbyisten.
Wichtige Personen der Strukturgesellschaft sind Leute, die beide Seiten kennen: Ex-Abgeordnete oder hochrangige Beamte, die später Lobbyisten wurden. Da ist zum Beispiel Ludolf von Wartenberg (CDU), der aus dem Wirtschaftsministerium als Hauptgeschäftsführer zum BDI ging; oder Siegmar Mosdorf (SPD), der mal Staatssekretär im Wirtschaftsministerium war und danach als Teilhaber bei der Kommunikationsfirma CNC einstieg.
picture alliance / Flashpic | Jens Krick
Michael Meister (CSU), Vorstandsvorsitzender der Strukturgesellschaft
Manchmal gibt es Zufälle rund um die Strukturgesellschaft, so wie den folgenden. Mehrmals bekam Kekst CNC-Kunde ThyssenGas Termine zum Thema Wasserstoff beim damaligen Parlamentarischen Staatssekretär im Forschungsministerium, Michael Meister, CDU. Begleitet wurde der Chef des Konzerns von Lobbyist Siegmar Mosdorf. Mosdorf und Meister kennen sich aus dem Vorstand der Strukturgesellschaft. Ob sich hier der Kontakt ergeben hat? "Ich kenne Herrn Meister aus fast 10 Jahren gemeinsamer Zeit im Deutschen Bundestag", schrieb Mosdorf dazu auf Anfrage.