Erste Antwort nach 39 Minuten

Wie Abgeordnete auf die vermeintlichen Lobbyist:innen reagierten

Im Rahmen eines Experiments gaben sich Undercover-Reporter:innen von abgeordnetenwatch.de und dem ZDF als Lobbyist:innen aus und kontaktierten Abgeordnete des Bundestages: Ob man sich nicht einmal treffen könne? Nach wenigen Minuten kam die erste Antwort, nach vier Stunden das erste Terminangebot. Doch die häufigste Reaktion war: eine Absage.

von Tania Röttger, Martin Reyher und Christian Fuchs, 26.07.2024
Diagramm zu den Reaktionen der Abgeordneten

Reporter:innen von abgeordnetenwatch.de und dem ZDF haben mehrere Monate lang undercover als vermeintliche Lobbyist:innen im Berliner Regierungsviertel recherchiert. Um die Arbeitsweise und Einflussmöglichkeiten von Lobbyist:innen sichtbar zu machen, gründeten sie eine fiktive Lobbyagentur. Gegenüber Gesprächspartner:innen gaben sie vor, im Auftrag eines britischen E-Zigaretten-Herstellers tätig zu sein, der in Deutschland eine Fabrik errichten möchte.

Anfang September 2023 schrieben sie 27 Abgeordnete an und baten um einen Gesprächstermin. Die Abgeordneten kommen aus allen Fraktionen des Bundestages: Sieben von der SPD, sechs von CDU/CSU, jeweils vier von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP, drei von der AfD, zwei von der Linkspartei und ein Fraktionsloser. Die Anzahl der Anfragen war proportional zur Sitzverteilung gestaffelt – je größer eine Fraktion, desto mehr Abgeordnete wurden angeschrieben. Weil sich aus den Regierungsfraktionen SPD, FDP und Grüne zunächst nur ein Abgeordneter zurückmeldete, wurden sechs weitere Ampel-Politiker:innen kontaktiert.

Die angefragten Abgeordneten kamen aus verschiedenen Regionen, von Schleswig-Holstein über Sachsen-Anhalt bis Baden-Württemberg. Manche erhielten eine Mailanfrage als Fachpolitiker:innen für Gesundheits- oder Suchtthemen oder weil sie bereits mit dem Thema E-Zigaretten befasst waren. Andere wurden als Vertreter:in ihrer Wahlkreise angeschrieben. In der Mail stellten sich die vermeintlichen Lobbyist:innen als Berater:innen „eines renommierten Auftraggebers aus einem westlichen Nicht-EU-Land“ vor.

Sechs Gesprächsangebote – und viele Absagen

Die meisten Abgeordneten lehnten den Gesprächswunsch ab oder reagierten gar nicht. Ein CSU-Politiker schrieb, er stehe “politischen Beratern ungenannter Auftraggeber nicht für Gespräche zur Verfügung.” Auch andere hatten kein Interesse, meist mit dem Hinweis auf einen vollen Terminkalender.

Sechs Abgeordnete erklärten sich zu einem Treffen mit den vermeintlichen Lobbyist:innen bereit. 

Dass Politiker:innen sich mit Interessenvertreter:innen austauschen, ist grundsätzlich sinnvoll: Abgeordnete lassen die Argumente in ihre Meinungsbildung einfließen. Zu einem Problem werden Kontakte mit Lobbyist:innen aber dann, wenn Abgeordnete sich einseitig informieren – und wenn sie Lobbyist:innen einen Gefallen tun. Letzteres war im Rahmen des Experiments mehrfach der Fall (mehr dazu hier: Undercover im Regierungsviertel – Das Lobbyismus-Experiment).

Das Thema E-Zigaretten wurde bewusst gewählt. Im Gegensatz zu Branchen wie Automobil oder Pharma sind noch nicht alle Lobbyakteure dieser Branche im Bundestag etabliert. Zudem ist die Regulierung der populären E-Zigarette in der politischen Diskussion. Dies ist eine wichtige Phase, in der Lobbyist:innen versuchen, Einfluss auf die Politik zu nehmen.

Die Wahl des Themas in diesem Experiment hatte also einen Einfluss darauf, ob sich Abgeordnete gemeldet haben, z.B. weil sie eine Affinität zu dem Thema haben oder fachlich involviert sind. Bei einer anderen Themenwahl hätten sich möglicherweise andere Abgeordnete angesprochen gefühlt.

Tabelle: "Reaktionen von Abgeordneten auf die Gesprächswünsche der vermeintlichen Lobbyist:innen"

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#LobbyismusExperiment – die Recherche:

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