Zwischen dem Terminkalender und der Biografie eines jeden der 28 EU-Kommissare finden sich seit einigen Tagen auf der Kommissionshomepage zwei unauffällige Links. Der eine führt zu einer Liste, in der die Treffen und Telefonate eines EU-Kommissars mit Vertretern von Konzernen, Verbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen dokumentiert sind. Der andere verweist auf eine Übersicht von Treffen zwischen hochrangigen Beamten aus den jeweiligen Ressorts und den Interessenvertretern.
abgeordnetenwatch.de hat gut zwei Wochen nach Inkrafttreten der Selbstverpflichtung zum 1. Dezember alle von der EU-Kommission veröffentlichten Termine zusammengetragen. Lesen Sie im folgenden, welche Lobbyisten zum Thema TTIP bei der Kommission vorstellig wurden, welche Anliegen die deutschen Interessenvertreter hatten und wen EU-Kommissar Günther Oettinger empfing. Eine Übersicht aller Treffen finden Sie in einer Exceltabelle am Ende dieser Seite.
Lobbyistentreffen der EU-Kommission zu TTIP (Auswahl):
- Das Schlagwort TTIP taucht mehrere Male in den Angaben der Kommissare auf, zum Beispiel bei einem Treffen eines hochrangigen Mitarbeiters von EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström am 2. Dezember mit Vertretern der Citigroup (Thema des Gesprächs: "Finanzielle Dienstleistungen in TTIP"). Am selben Tag kam ein anderer Beamter aus dem Handelsressort mit Lobbyisten des Schwedischen Arbeitgeberverbandes zusammen. Tagsdrauf traf sich Phil Hogan, der EU-Landwirtschaftskommissar persönlich, mit Lobbyisten der US-Milchindustrie.
- Aufgeführt werden auf der Kommissionswebsite auch Treffen mit Vertretern aus der Zivilgesellschaft. Handelskommissarin Malmström kam am 5. Dezember beispielsweise mit Vertretern der Platform of European Social NGOs zusammen. Neben TTIP ging es bei dem Termin auch um die umstrittenen Schiedsgerichte sowie um das Dienstleistungsabkommen TISA.
Treffen der EU-Kommission mit deutschen Lobbyisten (Auswahl):
- Vertreter der Deutschen Bank sprachen vergangene Woche Donnerstag bei der Wirtschaftsberaterin von Kommissionspräsident Juncker vor, Anlass war das 315 Milliarden Euro schwere Investitionsprogramm. Zum selben Thema ist auf der Kommissions-Homepage ein Treffen zwischen Lobbyisten der Deutschen Bank und einem hohen Beamten des Energie-Ressorts vermerkt. Bei dem "Informationstreffen" sei es um das Investitionsprogramm und dessen Verbindung zum Bereich Energie und Transport gegangen, heißt es in der Aufstellung.
- Um Strukturreformen im Bankensektor ging es bei einem Treffen am 1. Dezember zwischen dem Bundesverband deutscher Banken und einem engen Mitarbeiter von EU-Finanzmarktkommissar Jonathan Hill.
- Dokumentiert ist auf der Kommissionswebsite ferner eine Zusammenkunft am 3. Dezember zwischen zwei hohen Kommissionsbeamten und Vertretern des Bundesverbandes Deutscher Banken zum Thema Finanztransaktionssteuer.
- Vergangene Woche Mittwoch trafen sich die Lobbyisten des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA) mit Junckers politischem Berater zum Thema "Investing in Europe and Energy Union". Auch in Sachen TTIP wurde der Verband bei der EU-Kommission vorstellig. Nach Angaben von Handelskommissarin Cecilia Malmström fand am 9. Dezember ein Treffen mit einem hohen Beamten aus ihrem Haus statt.
- Aufgeführt ist auf der Homepage der EU-Kommission außerdem ein Zusammentreffen eines Vertreters des Bertelsmann-Konzerns mit einem Beamten aus dem Ressort Bildung, Kultur und Jugend zum Thema Medienpolitik.
- Die Deutsche Telekom hatte u.a. Gesprächsbedarf zum Thema "E-Government" und machte am 2. Dezember einem hochrangigen Beamten des Kommissars für die Digitale Agenda, Andrus Ansip, ihre Aufwartung.
- Ebenfalls am 2. Dezember trafen sich Lobbyisten der Deutschen Bank mit einem Kommissionsbeamten aus dem Ressort Klimaschutz und Energie, Thema des Gesprächs soll die Energie-Union gewesen sein.
Treffen des deutschen EU-Kommissars Günther Oettinger (Digitale Wirtschaft):
- Oettinger hat seit Monatsbeginn fünf persönliche Kontakte angegeben. Am 2. Dezember traf er sich jeweils mit Vertretern der Fraunhofer Gesellschaft (Thema: Digitale Gesellschaft), der im Luxusgütersegment tätigen französischen Aktiengesellschaft LVMH (Thema: Sicherheit und Nutzen der Digitalwirtschaft) und Vertretern von GESAC, womit offenbar die europäische Interessenvertretung der Autoren und Komponisten gemeint ist (Groupement Européen des Sociétés d’Auteurs et Compositeurs). Anlass dieses Treffens war die Vorstellung einer nicht näher ausgeführten Studie.
- Laut Oettinger fand ebenfalls am 2. Dezember eine "Höflichkeitstelefonat" mit dem Landesbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) statt.
- Zwei Tage später traf sich der Kommissar in Berlin mit Vertretern der Berlusconi-Fernsehgruppe Mediaset (Themen u.a.: Telecom Single Market und Copyright).
- Mehrere Telekommunikations- und Medienunternehmen wurden auch bei Oettingers engsten Mitarbeitern vorstellig. Auf der Kommissions-Homepage sind u.a. Treffen mit Lobbyisten der British Telecom, Vodafone, Orange und Mediaset zum Thema Digitaler Binnenmarkt aufgelistet.
Weitere Beispiele für Treffen mit Lobbyisten:
- Der umstrittene Finanzmarktkommissar Jonathan Hill war früher als Finanzlobbyist u.a. im Auftrag der britischen Großbank HSBC und der Londoner Börse tätig. Just diese Gesprächspartner finden sich nun in der Auflistung von Hills Treffen mit Lobbyvertretern. Beim Termin mit der Londoner Börse ging es um die Kommissionspolitik in Sachen Finanzdienstleistungen, Thema der Zusammenkunft mit HSBC war u.a. der Bankenstresstest und die Banken-Strukturreform.
- Bei einem Treffen von Vertretern des Beratungsunternehmens KPMG, das jüngst wegen der Luxleaks-Affäre in die Schlagzeilen geraten war, und einem hohen Beamten aus dem Haus des britischen EU-Kommissars Hill ging es am 3. Dezember um die Reform des Abschlussprüfungsmarktes.
- Vertreter von Apple wurden am 8.12. bei einem engen Mitarbeiter von Finanzmarktkommissar Hill zum Thema Finanzdienstleistungen vorstellig.
- Lobbyisten der Fastfoodkette McDonalds trafen sich am 10. Dezember mit einem hochrangigen Kommissionsbeamten - wohlgemerkt aus dem Ressort Bildung, Kultur und Jugend. Thema: "EU education and skills policy".
Kurzbewertung: Die Veröffentlichung der Lobbyistentreffen durch die EU-Kommission ist ein Schritt in die richtige Richtung. Erstmals bekommt die Öffentlichkeit einen Eindruck davon, mit wem EU-Kommissare und hohe Beamte hinter verschlossenen Türen sprechen. Trotzdem werden Lobbyisten auch weiterhin unentdeckt Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung nehmen. Abteilungsleiter und Kommissionsbeamte auf den unteren Ebenen fallen nicht unter die Selbstverpflichtung, sie müssen ihre Kontakte mit Lobbyisten nicht offenlegen. Dabei sind sie es in der Regel, die an der Ausarbeitung von Gesetzestexten arbeiten.
Die EU-Kommission muss nun den Weg der Transparenz und Offenheit weitergehen. Dazu gehört beispielsweise die Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters.
Nichtsdestotrotz: Von den Transparenzbemühungen der EU-Kommission könnte sich die Bundesregierung eine Scheibe abschneiden. Dass die Große Koalition im Zusammenhang mit ihren Lobbyistenkontakten plötzlich die Transparenz für sich entdeckt, ist freilich nicht zu erwarten. Zuletzt wollten die Fraktionsgeschäftsführer von Union und SPD nicht einmal mitteilen, welchen Lobbyvertretern sie Hausausweise für den Deutschen Bundestag bewilligt haben.
Nachfolgend finden Sie alle Treffen von EU-Kommissaren und ihren engsten Mitarbeitern mit Interessenvertretern in der Übersicht. Anmerkung: Die Treffen von EU-Kommissaren mit Lobbyisten sind gefettet. Alle übrigen Zusammenkünfte haben die Kabinettmitglieder der jeweiligen Kommissare wahrgenommen (Stand: 16.12.2014).
Die Tabelle zum Herunterladen (CC BY-SA 4.0):