Lobbytreffen der Kanzlerin: Merkels Handynummer: Türöffner für Lobbyakteure | abgeordnetenwatch.de Direkt zum Inhalt
Lobbytreffen der Kanzlerin
Merkels Handynummer: Türöffner für Lobbyakteure
Bei Angela Merkel sind nur wenige Vieraugengespräche mit Lobbyist:innen bekannt. Interne Unterlagen zeigen, warum: Die Kanzlerin wird von einem Beratungsstab abgeschirmt – selbst internationale Großkonzerne wie Facebook scheitern seit Jahren damit, einen Termin bei ihr zu bekommen. Mehr Erfolg haben Lobbyakteure, die den kurzen "Dienstweg" wählen.
Die Managerin aus dem Silicon Valley kam direkt zur Sache. Demnächst werde sie in Berlin sein, begann Facebooks Co-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg ihren Brief an Angela Merkel, darum wolle sie gerne auf ein früheres Angebot der Kanzlerin zurückkommen: Ob sich denn ein Treffen einrichten ließe?
Aus der Begegnung wurde nichts. In den Akten des Bundeskanzleramtes hat auf Sandbergs Brief aus dem Mai 2018 jemand eine handschriftliche Notiz in grüner Farbe hinterlassen: "Leider Absage". Die Stiftfarbe grün ist in der Regierungszentrale für die Kanzlerin reserviert.
Es ist nicht leicht, einen Termin für ein Vieraugengespräch mit Angela Merkel zu bekommen. Diese Erfahrung muss seit Jahren auch ein globaler Digitalgigant wie Facebook machen. Interne Unterlagen zeigen nun, dass sich Sheryl Sandberg, die Nummer zwei hinter Konzerngründer Mark Zuckerberg, seit 2016 mindestens viermal um ein Treffen mit der Kanzlerin bemüht hat – und jedes Mal abblitzte.
Die schlechte Presse für Facebook sollte nicht auf die Kanzlerin abfärben
In den Dokumenten, die das Kanzleramt auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes an abgeordnetenwatch.de herausgeben musste, findet sich noch eine weitere Terminanfrage der Facebook-Managerin, dieses Mal aus dem Januar 2019. Sie sticht deswegen heraus, weil der Sandberg-Brief in der Regierungszentrale einen offiziellen Aktenvorgang auslöste. In einer zweiseitigen Vorlage legte ein Referatsleiter der Kanzlerin dar, warum ein Treffen mit der Managerin aus dem Silicon Valley keine gute Idee sei. „Aktuell ist Sandberg - wie auch Facebook insgesamt - in der Öffentlichkeit unter Druck geraten“, vermerkte der Beamte. „Grund sind Berichte der New York Times von Mitte November, nach denen Facebook eine PR-Agentur (‘Definers Public Affairs’) bezahlt haben soll, um Gegner und Kritiker in Misskredit zu bringen.“ Man sehe derzeit keinen Bedarf für ein hochrangiges Gespräch mit Facebook zu konkreten inhaltlichen Anliegen. „Mit Blick auf die noch andauernde kritische Berichterstattung über das Unternehmen und auch über die Rolle von Fr. Sandberg könnte ein Gespräch zudem störende mediale Aufmerksamkeit erzeugen.“ Mit anderen Worten: Die schlechte Presse für Facebook sollte nicht auf die Kanzlerin abfärben.
picture alliance / Frank Rumpenhorst/dpa | Frank Rumpenhorst
Angela Merkel und Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg 2017 bei Eröffnungsfeier der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt. Auch im Bild: Der Autolobbyist Matthias Wissmann.
Im Bundeskanzleramt ist es ein eingespielter Vorgang, wenn Konzernmanager:innen oder Verbandslobbyist:innen um ein Gespräch mit der Kanzlerin bitten: Merkels Berater:innen prüfen das Anliegen, erstellen eine Vorlage – und empfehlen der Chefin darin nicht selten eine Ablehnung.
So war es zum Beispiel im Fall von Wirecard. Im Herbst 2018 hatte sich Konzernchef Markus Braun mit einer Terminanfrage an das Büro der Kanzlerin gewandt. Deren Fachleute rieten von einem Gespräch jedoch ab. Gegenüber dem Wirecard-Boss wurden „Termingründe“ vorgeschoben, in Wirklichkeit aber kam der Dax-Konzern den Berater:innen schon damals suspekt vor. Ein Treffen von Merkel mit Braun sei „nicht ratsam“, heißt es in einer internen Vorlage vom 10. Januar 2019, weil die Münchner Staatsanwaltschaft laut eines Medienberichts gerade wegen Verbindungen zu illegalen Online-Kasinos gegen Wirecard ermittle.
Screenshot: fragdenstaat.de
"Nicht ratsam": Vorlage für Kanzlerin Merkel von Januar 2019 zu einer Terminanfrage von Wirecard-Boss Markus Braun
Auf der anderen Seite ist das Skandalunternehmen aber auch ein gutes Beispiel dafür, wie man es angehen muss, um ein Anliegen bei der Kanzlerin zu platzieren. Einige Monate nachdem sie die Terminanfrage von Wirecard-Boss Braun zurückgewiesen hatte, setzte Merkel sich bei einer China-Reise persönlich für die Expansionspläne des Unternehmens ein. Den Einsatz der Kanzlerin hatte Wirecard einem externen Lobbydienstleister mit besten Kontakten in die Regierungszentrale zu verdanken: Karl-Theodor zu Guttenberg.
picture-alliance/ dpa | Lukas Barth
Kurzer Draht zur Ex-Chefin: Der Lobbyist und frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg
Der ehemalige Bundesverteidigungsminister war wenige Tage vor Merkels China-Reise im Kanzleramt vorstellig geworden. In den Regierungsakten gibt es zu der Unterhaltung zwischen Guttenberg und Merkel am 3. September 2019 angeblich keinerlei Unterlagen: keine Terminanfrage des Freiherrn, und auch keine Gesprächsvorlage für die Kanzlerin. Man darf davon ausgehen, dass Guttenberg keine offizielle Anfrage ans Kanzleramt richtete, sondern zur Terminvereinbarung kurz bei seiner früheren Chefin durchklingelte. Zumindest das ist belegt: Im Nachgang seines Besuchs schrieb Wirecard-Lobbyist zu Guttenberg eine SMS an Merkel. Weil dabei etwas schiefgelaufen sein muss, ließ er wenig später noch eine Mail folgen. Dieses Dokument wurde zu den Akten gegeben – das Kanzleramt gab die Mail vor einiger Zeit auf Antrag von abgeordnetenwatch.de heraus.
"Wir empfehlen Ablehnung"
Über den kurzen "Dienstweg" könnte auch der ehemalige Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) zu Terminen gekommen sein. Gabriel, der inzwischen im Aufsichtsrat der Deutschen Bank sitzt und die Beratungsfirma SGL gegründet hat, tauschte sich am 9. April 2020 mit der Bundeskanzlerin zur EU-Bankenabgabe aus. Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de fand das Gespräch telefonisch statt, Vorbereitungsunterlagen oder eine schriftliche Terminanfrage& gibt es im Kanzleramt angeblich nicht. Am 20. Mai 2020 hatte Gabriel ein Anliegen zum Thema Arbeitsschutzgesetz mit Kanzleramtschef Helge Braun zu bereden. Weder die Bundesregierung noch der frühere Vizekanzler wollten sich auf Anfrage konkret zu den Gesprächen äußern.
Um so schwerer wiegt, dass Union und SPD Lobbyakteuren keine strengen Transparenzvorschriften zumuten wollen. In dem kürzlich beschlossenen Lobbyregister ist eine Offenlegungspflicht für Lobbykontakte nicht vorgesehen. Gäbe es sie, so wie von abgeordnetenwatch.de und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen gefordert, hätten die Guttenbergs und Gabriels der Republik ihre Treffen mit Merkel von sich aus transparent machen müssen.
Doch selbst ein kurzer Draht zur Kanzlerin und ihre Mobilnummer ist längst kein Garant für einen persönlichen Termin. Anfang 2018 blitzte die damalige Cheflobbyistin beim Verband der kommunalen Unternehmen (VKU), Katharina Reiche, mit einem Gesprächswunsch bei Merkel ab. Die langjährige Parlamentarische Staatssekretärin und Unions-Fraktionsvize hatte nicht etwa auf dem Kanzlerinnen-Handy durchgerufen, sondern eine offizielle Gesprächsanfrage ans Kanzleramt gerichtet. "Wir empfehlen Ablehnung“, vermerkten Merkels Berater:innen in den Unterlagen.