Lobbyist Dirk Niebel

Kleine Schweinereien

Bei Weißwein und Rindercarpaccio verrät Ex-Minister Dirk Niebel im exklusiven China Club, wie er Unternehmen die Tür zur Regierung öffnen kann. Was er nicht ahnt: Ihm gegenüber sitzen keine potentiellen Kund:innen.

von Martin Reyher, Tania Röttger und Christian Fuchs, 25.07.2024
Fotocollage Dirk Niebel im Flugzeug und Aussenwerbung vom China Club Berlin

An einem Donnerstag im November, kurz nach 17 Uhr, wird der Zugang zur Regierung verhandelt. Drei Männer und eine Frau wollen die Modalitäten klären. Sie haben sich in einem exklusiven Restaurant nahe dem Kanzleramt verabredet. Draußen ist es schon dunkel, im Restaurant brennt warmes Licht und der Tisch ist fein gedeckt.

Bevor sie zum Geschäftlichen kommen, geht es um das leibliche Wohl. Wie wäre es denn mit ein paar kleinen “Schweinereien“?, fragt derjenige, der später die Rechnung entgegennehmen wird.

Dienstleistung der speziellen Art

Dinge, die in Runden wie dieser besprochen werden, dringen in der Regel nicht an die Öffentlichkeit. Bei solchen Gesprächen geht es um eine Dienstleistung der besonderen Art. Es geht darum, Kontakte zu mächtigen Personen herzustellen – zu Abgeordneten, zu Minister:innen, zum Bundeskanzler.

Das ist grundsätzlich nicht verboten. Aber dass man besonders leicht einen Termin bei einem Politiker oder einer Politikerin bekommt, wenn man dafür Geld bezahlt, widerspricht den Grundprinzipien der Demokratie.

Wie läuft Lobbyismus ab, wenn niemand zuschaut?

Erstmals kann nun beschrieben werden, wie es abläuft, wenn der Zugang zur Bundesregierung feilgeboten wird. Zwei der Anwesenden an diesem Abend haben sich vorgestellt als Chef einer internationalen Lobbyagentur aus Luxemburg und deren Mitarbeiterin. Doch sie sind Teil eines Teams um abgeordnetenwatch.de und das ZDF, das undercover recherchiert. (Lesen Sie hier die ganze Recherche: Das Lobbyismus-Experiment)

Um die Mechanismen des Lobbyismus offenzulegen, geben wir uns selbst als Lobbyist:innen aus.

Wir haben uns bereits mit einigen Abgeordneten aus dem Bundestag getroffen – einen Termin mit einem Regierungsmitglied gab es aber noch nicht. 

Deshalb sind wir an diesem Abend hier.

Der Mann, der Treffen arrangieren kann

Berlin Mitte, China Club, siebter Stock. Dirk Niebel, dunkles Jackett, offener Hemdkragen, nippt am Weißwein und wirkt erschöpft, aber interessiert. 

Von 2009 bis 2013 saß Niebel selbst in der Regierung, als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Dann flog die FDP aus dem Bundestag und Niebel wurde Lobbyist. Beim Rüstungskonzern Rheinmetall leitet er den Bereich „Internationale Strategieentwicklung und Regierungsbeziehungen“. Außerdem betreibt er eine Beratungsfirma in Berlin.

Aufnahmegebühr im Privatclub: bis zu 15.000 Euro

Schild vom China Club Berlin im Adlon Palais
China Club in Berlin-Mitte

Für das Treffen hatte Niebel den China Club in Berlin Mitte vorgeschlagen, "Deutschlands renommiertester Privatclub", so die selbstbewusste Eigenbeschreibung.

Die Location liegt in bester Hauptstadtlage: im Adlon Palais, einer Erweiterung des legendären Hotels am Brandenburger Tor und damit fußläufig zu Bundestag, Ministerien und Kanzleramt.

Um dauerhaftes Mitglied im China Club zu werden, zahlen Unternehmen 15.000 Euro Aufnahmegebühr, Privatpersonen 10.000 Euro. Es gibt eine Bar, drei Restaurants (chinesisch, italienisch, indisch), und, falls es ganz diskret sein soll, sechs private „Dining Suites“.

Ihr guter Name öffnet sicher Türen“

Drei Wochen zuvor hatten wir Niebel eine Mail mit dem Betreff „Anfrage Mandatsübernahme / Bitte um Gespräch“ geschickt. Wir stellten uns als luxemburgische Lobbyagentur namens Ianua Strategy vor, die angeblich für einen namhaften E-Zigarettenhersteller arbeitet. Dieser habe seinen Sitz in einem Nicht-EU-Land und überlege, sich in Deutschland niederzulassen. 

Unser Anliegen sei eine „politische Flankierung dieses Investitionsvorhabens“, bei der Niebel mit seinem Netzwerk helfen solle. „Ihr guter Name öffnet sicher Türen, die uns Luxemburgern bisher verschlossen geblieben sind“, schrieben wir. Keine zwei Stunden später mailt Niebel zurück: „Gerne können wir uns treffen.“ Er bringe einen Geschäftspartner mit.

Mit dabei: ein weiterer Vollprofi im Anbahnen von Kontakten

Nun also sitzt man zu viert im italienischen Restaurant Medinis im China Club: Niebel, sein Begleiter und die beiden vermeintlichen Lobbyist:innen aus Luxemburg. 

Der Mann, den Niebel mitgebracht hat, ist wie er Vollprofi im Anbahnen von Kontakten. Er ist geschäftsführender Gesellschafter einer Beratungsfirma, die auf ihrer Internetseite damit wirbt, Treffen mit Abgeordneten und Regierungsmitgliedern arrangieren zu können.

Wie das funktioniert, veranschaulicht er an einem Beispiel.

Einer seiner Kunden, ein Lobbyverband, habe sich lange Zeit an der Grünen Renate Künast die Zähne ausgebissen. Die ehemalige Ministerin ist noch immer eine einflussreiche Frau in Berlin. Sie leitet die Arbeitsgruppe für Ernährung und Landwirtschaft in der grünen Bundestagsfraktion, an ihr führt kein Weg vorbei, wenn es um Verbraucherthemen geht. Doch so sehr es der Verband auch versuchte: ein Treffen sei nie zustande gekommen.

Demnächst bekomme er aber seinen Termin, sagt Niebels Begleiter. Und das sei so gekommen: Ein Kollege aus seiner Agentur kenne Künast aus der Kommunalpolitik. Der habe das Treffen für den Verband klargemacht. Künast wird später auf Anfrage erklären, dass diese Darstellung nicht zutreffend sei.

Niebels Begleiter erklärt den beiden Gästen aus Luxemburg, wie seine Agentur aufgestellt ist: Es gebe einen grünen Partner, einen roten, einen schwarzen und einen gelben. Damit seien vier der wichtigsten Parteien abgedeckt.

Die Freund:innen von einst sitzen nun auf wichtigen Posten

Im China Club bringt eine Kellnerin Vitello tonnato, Burrata und Rindercarpaccio, Weißwein wird nachgeschenkt.

Niebel erzählt von seinen guten Kontakten, die er immer noch hat. Es sei ihm als ehemaligem Minister noch nie passiert, dass ihm ein amtierender Minister ein Gespräch verweigert habe.

Wer Niebel und seinem Geschäftspartner so zuhört, versteht, warum ihnen die Türen zur Politik offenstehen.

Nicht selten ist es so: Lobbyist:innen und Politiker:innen kennen sich seit Jahrzehnten, manche waren bereits in den Jugendorganisationen der Parteien gemeinsam aktiv. Die einen machten Karriere in der Politik und sitzen jetzt teilweise auf einflussreichen Posten. Die anderen gingen ins Beratungs- oder Lobbygeschäft. Wenn sie heute ein Anliegen haben, kontaktieren sie ihre früheren Weggefährt:innen.

Diskrete Kneipe als Kontaktbörse

Kartenausschnitt von Berlin mit Bundestag, parlamentarischer Gesellschaft und China Club Berlin
Lobby-Hotspots im Berliner Regierungsviertel

Ein beliebter Treffpunkt für den ungezwungenen Austausch befindet sich, so erfährt man an diesem Abend, im Reichstagspräsidentenpalais, eine denkmalgeschützte Villa direkt neben dem Bundestag. Dort hat die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft (DPG) ihren Sitz, eine Vereinigung und Kontaktbörse für aktive und ehemalige Abgeordnete.

In der Parlamentarischen Gesellschaft, so erzählt es Niebel, gebe es eine Kneipe. Zu den dortigen Treffen existierten weder Kalendereinträge noch Dokumentation.

Gespräche beim Bier, die keine Spuren hinterlassen

An dieser Stelle muss man einen kleinen Exkurs zum Thema Transparenz machen. In Deutschland müssen Kontakte zwischen Politiker:innen und Lobbyist:innen nicht transparent gemacht werden. Trotzdem werden manche Termine öffentlich. Das hängt mit dem parlamentarischen Fragerecht im Bundestag zusammen, das die Opposition gerne nutzt, um die Bundesregierung nach ihren Lobbykontakten zu fragen und so ihre Arbeit zu kontrollieren.

Die Regierung muss auf diese Anfragen antworten, fügt aber häufig den folgenden Standardtext ein: Alle Angaben zu Lobbykontakten erfolgten auf „Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse sowie vorhandener Unterlagen und Aufzeichnungen“. Die Angaben seien daher „möglicherweise nicht vollständig“.

Hier zeigt sich der Vorzug der diskreten Kneipe in der DPG: Wenn man sich dort auf ein oder auch zwei Bier trifft, taucht das hinterher in keiner Regierungsantwort auf.

Drei Minister sind für den Kunden interessant

Die Frau am Tisch, also die vermeintliche Mitarbeiterin der Luxemburger Lobbyagentur, kommt auf das eigentliche Anliegen zu sprechen. „Unser Kunde möchte einen Minister sprechen”, sagt sie an Niebel und seinen Partner gerichtet.


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Für den Kunden aus der E-Zigarettenbranche sind drei Minister:innen relevant: Finanzminister Christian Lindner (wegen der Steuer auf Rauchersatzprodukte), Gesundheitsminister Karl Lauterbach (wegen des Gesundheitsschutzes) und Umweltministerin Steffi Lemke (wegen Entsorgungs- und Recyclingfragen).

Niebels Geschäftspartner gibt zu verstehen, dass man ein Treffen hinbekommen werde, wenn der Kunde einen Minister oder eine Ministerin sprechen möchte. Aber das brauche Zeit. Er weist darauf hin, dass für ein Unternehmen eher die Staatssekretär:innen relevant sind. Sie sind es, die wichtige Entscheidungen im Ministerium vorbereiten.

Ein paar SMS mit dem Kanzleramtsminister

Dirk Niebel kann ganz oben, auf Ministerebene, anklopfen und wird nicht abgewiesen. Zuletzt habe er mehrere SMS mit dem Kanzleramtsminister ausgetauscht, erzählt er. 

Es sei ihm als ehemaligem Minister noch nie passiert, dass ihm ein amtierender Minister ein Gespräch verweigert habe, sagt Niebel.

Archivbild von Dirk Niebel bei einer Veranstaltung 2015
Noch immer gute Kontakte zur Bundesregierung: Ex-Minister und Lobbyist Dirk Niebel (FDP)

Doch kann er auch Kontakte zur Regierung herstellen? Nach dem Treffen werden mehrere Bundesministerien auf Anfrage mitteilen, dass der Ex-Minister dort Termine hatte. Als Lobbyist traf er unter anderem eine Staatssekretärin im Auswärtigen Amt sowie Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Niebels Beraterdienste haben ihren Preis. Sein Tagessatz, erzählt er, liege in der Regel bei 2.500 Euro plus Spesen und Reisekosten.

Ein Gespräch mit einem Minister oder einer Ministerin soll es sein

Der Abend im China Club neigt sich dem Ende entgegen. Die Kellnerin bringt Pralinen. 

Die vermeintlichen Lobbyist:innen haben den Wunsch geäußert, mit einem Minister oder einer Ministerin sprechen zu wollen. Und Niebel und sein Begleiter haben durchblicken lassen, dass das grundsätzlich machbar sei. Damit steht einem Vertragsabschluss nichts mehr im Wege.

Vier Tage nach dem Treffen schickt Niebels Geschäftspartner ein Angebot. Niebel erhält es in Kopie an seine private Mailadresse.

Der Abend im China Club hinterlässt keine Spuren

Die Agentur bietet an, das Mandat für das gesamte Jahr 2024 zu übernehmen. Kostenpunkt für das Gesamtpaket: 187.200 Euro.

Einen ausführlichen Fragenkatalog zu dem Abend im China Club beantwortet Niebel später mit einem Satz: "Sowohl in meiner Funktion als Leiter Internationale Strategieentwicklung und Regierungsbeziehungen der Rheinmetall AG, als auch in meiner freiberuflichen Tätigkeit halte ich mich immer an alle rechtlichen Bedingungen der jeweiligen Staaten in denen ich tätig bin."


#LobbyismusExperiment: Die fünf wichtigsten Erkenntnisse aus der Recherche


Die in Aussicht gestellte Vermittlung eines Treffens mit einem Minister oder einer Ministerin erwähnt er nicht. Auch in dem schriftlichen Angebot war sie nicht explizit enthalten. Dieser delikate Teil des Geschäfts wurde bei Weißwein und Antipasti erörtert, mündlich.

Der Abend im diskreten China Club hinterlässt keine Spuren.

Grafiken: Andreas Dobrzewski

#LobbyismusExperiment – die Recherche:

Vorkommende Politiker:innen

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