Regierungswechsel

Keine Unterlagen: Lobbygespräche von Ampel und Groko lassen sich oft nicht nachvollziehen

Videocall mit einem Rüstungskonzern, Gespräche mit BlackRock, Abendessen mit Allianz und Citibank: Zu zahlreichen Lobbykontakten der alten und neuen Bundesregierung existieren angeblich keine Dokumente. Dies gilt vor allem für Termine eines engen Vertrauten von Bundeskanzler Olaf Scholz.

von Martin Reyher, 05.04.2022
Bundeskanzleramt

Mit welchen Lobbyakteuren standen Mitglieder der alten und der neuen Regierung kurz vor bzw. nach der Bundestagswahl im Austausch? In mehr als 120 Fällen ist dies mittlerweile bekannt. Nach einer parlamentarischen Anfrage der Linksfraktion hatte die Regierung im Februar eine umfangreiche Liste vorgelegt. Darin aufgeführt sind Lobbytermine des Kanzleramtes sowie der Ministerien für Wirtschaft, Finanzen und Gesundheit zwischen Anfang September und Mitte Dezember 2021.

Doch viele dieser Kontakte lassen sich nicht mehr genau nachvollziehen. abgeordnetenwatch.de hatte bei der Bundesregierung Unterlagen zu mehr als 20 Lobbyterminen angefordert, etwa schriftliche Terminanfragen, Vorbereitungspapiere oder Vermerke. Nun liegt die Antwort der Ministerien zu unseren Auskunftsanträgen vor: In den allermeisten Fällen existieren keinerlei Dokumente.

"Im Aktenbestand liegen keine Informationen vor"

Bemerkenswert ist die fehlende Nachvollziehbarkeit bei einem langjährigen und engen Vertrauten von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): Jörg Kukies. Dieser ist als Staatssekretär im Kanzleramt den Abteilungen Wirtschafts-, Finanz- und Klimapolitik sowie Europapolitik vorgesetzt. Schon zu Groko-Zeiten diente Kukies dem damaligen Finanzminister Scholz als Staatssekretär und stand regelmäßig in Kontakt mit Konzernen und Interessenverbänden.

Allein zwischen September und Dezember 2021, also den Wochen vor und nach der Bundestagswahl, tauschte Kukies sich in rund 100 Fällen mit Lobbyakteuren aus. So sprach der Finanzstaatssekretär unter anderem mit Vertreter:innen des Rüstungskonzerns Airbus Defense, der Investmentgesellschaft BlackRock, mehreren Banken sowie seinem früheren Arbeitgeber Goldman Sachs. Zu diesen und weiteren Lobbykontakten hatte abgeordnetenwatch.de Dokumente angefordert. Doch in keinem Fall hat man im Finanzministerium schriftliche Aufzeichnungen gefunden (s. Tabelle unten).

Staatssekretär Jörg Kukies, Olaf Scholz
Langjährige Vertraute: Staatssekretär Jörg Kukies und Olaf Scholz im Juni 2018

Auch an Kukies' aktueller Arbeitsstätte, dem Bundeskanzleramt, existieren angeblich keine Unterlagen – weder zu einem Telefonat mit Daimler-Cheflobbyist Eckart von Klaeden noch mit der Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, Kerstin Andreae. Immerhin vermochte man in der Regierungszentrale zu rekonstruieren, von wem die Initiative zu den Gesprächen Mitte Dezember ausgegangen war: von den beiden Lobbyakteuren.

[Tabelle "Keine Aufzeichnungen vorhanden: Lobbykontakte von Staatssekretär Jörg Kukies". Ggfs. müssen Sie die Grafik zunächst aktivieren.]

Auch von anderen Regierungsmitgliedern lassen sich Lobbykontakte nicht genauer nachvollziehen. Einem Telefonat von Finanzstaatssekretär Werner Gatzer mit einem Vorstandsmitglied von SAP am 6. Dezember 2021 „ließen sich keine amtlichen Informationen zuordnen“, teilte das BMF mit. Zu einem Gespräch zwischen dem Parlamentarischen Staatssekretär Florian Toncar (FDP) und dem Chef der Buchkette Thalia am 13. Dezember lägen mit Ausnahme einer kurzen Kalendernotiz ebenfalls keine Dokumente vor.

[Lesen Sie außerdem: Kanzleramt verweigert Herausgabe von Kalendereinträgen zu Schröder-Gesprächen mit Merkel]

Warum interne Aufzeichnungen zu Lobbyterminen relevant sind, zeigt sich am Beispiel von zwei hochrangigen SPD-Politikern, die inzwischen als Interessenvertreter unterwegs sind. Vergangenes Jahr konnte abgeordnetenwatch.de zusammen mit der ZEIT belegen, dass der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sein aus Steuermitteln finanziertes Bundestagsbüro für Lobbyaktivitäten einspannte. Bei Sigmar Gabriel gaben Unterlagen des Kanzleramtes darüber Aufschluss, dass sich der Ex-Minister nach seiner Amtszeit bei Bundeskanzlerin Angela Merkel für Interessen der Deutschen Bank einsetzte.

Freundliche Botschaften vom Minister

Die Bundesregierung verweist darauf, dass sie zur Erfassung der Gesprächsergebnisse nicht verpflichtet sei. Allerdings gibt es in der sogenannten "Registraturrichtlinie der Bundesregierung" Vorgaben für die Ministerien. Demnach soll die Aktenführung „ein nachvollziehbares transparentes Verwaltungshandeln“ sichern. Beim Bearbeiten und Verwalten von Schriftgut sei „die Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit des Sach- und Bearbeitungszusammenhangs“ zu gewährleisten.

Allerdings ist es nicht so, dass in der Ampel-Koalition gar keine Gesprächsunterlagen vorlägen. Gut dokumentiert ist etwa ein Gespräch, das Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wenige Tage nach seinem Amtsantritt mit BDI-Chef Siegfried Russwurm führte. Die Fachleute im Ministerium hatten Habeck für den Termin am 14. Dezember 2021 insgesamt 73 Seiten an Vorbereitungsunterlagen zusammengestellt. Darin antizipierten sie unter anderem mögliche Fragen des Gesprächspartners ("Es steht zu erwarten, dass BDI noch folgende offene Fragen anspricht"). Auch eine freundliche Botschaft an den BDI-Chef hatten die Beamtinnen und Beamten vorformuliert. In ihrem Sprechzettel für Habeck heißt es: „Ich habe mich über die BDI-Klimastudie sehr gefreut.“

Was die beiden Herren am Ende tatsächlich besprachen, ist nicht überliefert. Ein Protokoll existiert nicht.

Wie Lobbykontakte der Regierung ans Licht kommen

Gespräche von Mitgliedern der Bundesregierung mit Unternehmen, Interessenverbänden und Organisationen werden in der Regel nur durch parlamentarische Anfragen der Opposition oder Recherchen von Journalistinnen und Journalisten öffentlich. Zwar existiert seit Jahresbeginn ein Lobbyregister, in dem sich Lobbyakteure eintragen müssen, um Kontakt zur Regierung und Bundestag aufnehmen zu dürfen. Die Gespräche selbst müssen sie jedoch nicht offenlegen. 

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