Kampagne gegen Provisionsverbot: Finanzlobby bat Lindner erfolgreich um Hilfe | abgeordnetenwatch.de Direkt zum Inhalt
Kampagne gegen Provisionsverbot
Finanzlobby bat Lindner erfolgreich um Hilfe
Interne Unterlagen zeigen, wie die deutsche Finanzindustrie ein Provisionsverbot für Anlageberater verhinderte. Hilfe bekam sie von Finanzminister Christian Lindner und einem CSU-Abgeordneten. Die Kampagne ist ein Lehrstück über die Macht der Finanzlobby.
Als die deutsche Finanzlobby im Herbst 2022 ihren Kampf gegen die EU-Kommission aufnimmt, ist die erste Anlaufstelle das Bundesfinanzministerium von Christian Lindner (FDP).
Am 4. November geht bei Lindners Parlamentarischen Staatssekretär Florian Toncar ein Hilferuf des Lobbyvereins Deutsche Unternehmensverband Vermögensberatung ein. In Brüssel habe man gehört, dass die EU-Kommission ein Provisionsverbot bei Anlageprodukten “wohl ernsthaft” in Erwägung ziehe, schreibt der Lobbyist. Dann kommt er zur Sache: Sein Verband benötige die “Unterstützung der Bundesregierung”.
Ein halbes Jahr später beerdigt die EU-Kommission ihre Pläne vorerst. Die Finanzlobby hat gesiegt – auch dank ihrer Verbündeten in der deutschen Politik.
Die Lobby aktiviert ihre politischen Netzwerke
Durch Recherchen von abgeordnetenwatch.de und dem SPIEGEL lässt sich eine Kampagne nachzeichnen, in der nicht nur Interessenverbände eine zentrale Rolle spielen, sondern auch bekannte Politiker. Neben Bundesfinanzminister Christian Lindner ist dies der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. In einer Nebenrolle kommt CDU-Chef Friedrich Merz vor.
Die Lobby hat über Jahre ein enges Netzwerk in der Politik geknüpft. Sie hat aktive und ehemalige Politiker:innen mit Posten versorgt und schüttet großzügig Spenden an Parteien aus. So verschafft sie sich Zugang zu Entscheidungsträger:innen in Berlin und Brüssel. Und das macht sich jetzt bezahlt.
Die Abwehrschlacht gegen das Provisionsverbot beginnt im vergangenen November. Die Finanzbranche ist alarmiert über Pläne von EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness zum Schutz von Kleinanleger:innen. Die Irin erwägt, Provisionen in der Anlageberatung komplett zu verbieten. Verbraucherschützer applaudieren, für Finanzvermittler ist es eine schlechte Nachricht. Sie sehen ihr Geschäftsmodell bedroht und aktivieren nun ihre politischen Netzwerke.
Anfang November melden sich mehrere Lobbyverbände im Bundesfinanzministerium, darunter der Verband der Sparda-Banken. In einem Brief, den abgeordnetenwatch.de hier veröffentlicht, wettert der Sparda-Lobbyist gegen eine “ideologisch geprägte Überzeugung”, die angeblich hinter dem Vorhaben der EU-Kommissarin steckt. Der Interessenvertreter bittet Staatssekretär Florian Toncar um Unterstützung. Dieser möge sich bitte “möglichst frühzeitig auf europäischer Ebene, aber auch innerhalb der Bundesregierung, für den Fortbestand der Provisionsberatung” einsetzen.
"Würden uns sehr freuen, wenn Sie sich wie bisher auch in dieser Sache engagieren"
FDP-Mann Toncar und der Sparda-Lobbyist (sein Name ist in dem Brief geschwärzt) scheinen sich gut zu kennen: “Lieber Florian”, ist handschriftlich hinter der formalen Anrede (“Sehr geehrter Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Toncar”) vermerkt. Allzu verwunderlich ist die Nähe zwischen Verband und dem Finanzministerium nicht. Chef der Lobbyorganisation ist der frühere FDP-Wirtschaftsminister von Hessen, Florian Rentsch.
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Scheitere mit ihrem Versuch eines generellen Provisionsverbots an der Finanzlobby und deren Verbündeten: EU-Kommissarin McGuinness.
Auch die Deutsche Unternehmensverband Vermögensberatung (DUV) schickt einen Brief ans BMF. Es ist das eingangs erwähnte Schreiben, das an den “lieben” Herrn Toncar gerichtet ist. Ob sich das Finanzministerium nicht “wie bisher auch in dieser Sache engagieren” könne, fragt der Verband bei dem Staatssekretär nach. Der Lobbyverein ist eng verbunden mit dem Finanzdienstleister Deutsche Vermögensberatung AG (DVAG). Er beschäftigt mit dem früheren CDU-Generalsekretär Peter Tauber ebenfalls einen Ex-Politiker.
Die Bittbriefe verfehlen ihre Wirkung offenkundig nicht. Einige Wochen später schaltetet sich der Finanzminister persönlich in die Auseinandersetzung mit der EU ein.
Kurz nach Heiligabend schickt der Finanzminister einen Unterstützerbrief nach Brüssel
Vier Tage nach Heiligabend schickt Christian Lindner einen Brief nach Brüssel. Er sei “tief besorgt” über das geplante Provisionsverbot, lässt Lindner die Kommissarin McGuinness wissen. In der deutschen Versicherungswirtschaft sei es üblich, dass Abschlussprovisionen für Produkte der privaten Altersvorsorge gezahlt würden. “Ich habe die starke Befürchtung, dass ein generelles Verbot die Anlageberatung in den Fällen behindern würde, in denen sie am meisten benötigt wird.”
Verbraucherschützer sehen das ganz anders. Aus ihrer Sicht kommen Provisionen vor allem einem zugute: der Finanz- und Versicherungswirtschaft. “Eine Vergütung der Verkäuferinnen und Verkäufer über die Produkte ist meistens nur für sie profitabel”, urteilt der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Provisionen würden zudem die Gefahr bergen, Verbraucher:innen “zu ungewollten Vertragsabschlüssen zu drängen”. Das könne “großen Schaden” anrichten, etwa bei der Altersvorsorge.
Als Alternative zu den Provisionen, die am Ende per Preisaufschlag bei den Kund:innen landen, gilt eine Beratung gegen Honorar, ähnlich wie bei Rechtsanwält:innen.
Verärgerung beim Koalitionspartner über das Schreiben des Ministers
Screenshot: abgeordnetenwatch.de
"Tief besorgt" über die Pläne der EU: Brief von Finanzminister Lindner an Kommissarin McGuinness vom 28. Dezember 2022.
Große Vorbehalte gegen Provisionen gibt es auch innerhalb der Ampel-Koalition. Anfang des Jahres sprach sich die grüne Bundestagsfraktion für ein Provisionsverbot aus und unterstützte damit die Pläne der EU-Kommission.
Bei den Grünen ist man sauer, dass Lindner als Mitglied der Bundesregierung in Brüssel gegen das Verbot intervenierte. Die finanzpolitische Sprecherin der Fraktion, Katharina Beck, sagt auf Anfrage: “Es wäre schön, wenn Christian Lindner in offiziellen Briefen an die EU-Kommission differenzieren könnte, wann er als FDP-Parteivorsitzender spricht und wann für die gesamte Bundesregierung.” Dies gelte insbesondere für den Fall, wenn es in der Bundesregierung keine einheitliche Positionierung gebe.
Was genau Lindner an die Kommissarin geschrieben hatte, war bislang nur in Auszügen bekannt. Das Finanzministerium hatte lange Zeit verhindert, dass eine Kopie des pikanten Briefes an die Öffentlichkeit gelangt. Einen Antrag von abgeordnetenwatch.de auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes lehnte das Ministerium am 28. Februar 2023 mit einer eigentümlichen Begründung ab. Das BMF behauptete, ein Bekanntwerden könne “das wechselseitige Vertrauensverhältnis von Europäischer Kommission und der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der EU nachhaltig schädigen”.
Finanzministerium wollte Lindners Brief unter Verschluss halten
Das wirkt allerdings vorgeschoben. Denn Ausschnitte aus dem Schreiben waren längst öffentlich: Kurz nachdem Lindner seinen Brief nach Brüssel geschickt hatte, gelangte er auf wundersame Weise ans Handelsblatt. Am 15. Januar zitierteHandelsblatt.de daraus. Überschrift: “Finanzminister Christian Lindner warnt EU vor Provisionsverbot.”
Es war schließlich die EU-Kommission, die einen Antrag von abgeordnetenwatch.de bewilligte und das Lindner-Schreiben freigab. Doch auch hier gab es Widerstand vom BMF. Nach Angaben der Kommission blockierte das Ministerium die Herausgabe zunächst. Erst nach einem Widerspruch (Zweitantrag) von abgeordnetenwatch.de bei der EU-Kommission gaben Lindners Beamte nach.
Auf Anfrage teilt das Finanzministerium mit, Lindner vertrete seine Haltung zum Provisionsverbot schon “seit Langem”. Im Übrigen sei das Ministerium nicht nur mit Interessenvertretern der Industrie im Austausch, sondern auch mit Verbraucherschützern und anderen “Stakeholdern”.
Unterstützung bekommt die Lobby aus dem Inneren des Parlaments
Politische Unterstützung bekam die Finanzlobby auch aus dem Europäischen Parlament. Ein mächtiger Verbündeter ist der CSU-Politiker Markus Ferber. Der Europaabgeordnete wandte sich mehrfach per Brief an EU-Kommissarin McGuinness, um sie von ihren Plänen abzubringen.
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Erhält Geld aus der Finanzwirtschaft und kämpft gegen ein Provisionsverbot: CSU-Europaabgeordneter Markus Ferber.
Ferber koordiniert für die EVP-Fraktion die finanzpolitischen Themen im Wirtschafts- und Währungsausschuss. Außerhalb des Parlaments hat er Nebentätigkeiten, die sein Engagement in einem etwas anderen Licht erscheinen lässt. Der CSU-Mann sitzt im Sparda-Zukunftsrat und ist Mitglied im Beirat der Deutschen Vermögensberatung AG. Von der DVAG kassiert er dafür zwischen 1.001 und 5.000 Euro monatlich.
Einen Interessenkonflikt weist Ferber zurück. Seine Nebentätigkeiten seien beratender Natur, sagt er auf Anfrage. Beim DVAG-Beirat handele es sich außerdem um ein überparteilich zusammengesetztes Gremium, das mit dem laufenden Geschäftsbetrieb nichts zu tun habe.
Im Beirat von Deutschlands größtem Finanzvertrieb: eine Ex-Ministerin und aktive Abgeordnete
Tatsächlich sitzen in dem Konzernbeirat Leute aus unterschiedlichen Parteien. Es sind vor allem ehemalige Politiker:innen wie Ex–Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) und der frühere Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms (FDP). Aber auch aktuelle Mandatsträger gehören dazu, so wie Frank Bsirske, der für die Grünen im Bundestag sitzt. Auch Bsirske kann in seiner Tätigkeit keinen Konflikt sehen. “Wie meine Fraktion befürworte auch ich ein Provisionsverbot,” sagt er auf Anfrage. Damit vertrete er eine gegensätzliche Position wie die DVAG.
DVAG: Hunderttausende Euro an Grüne, SPD, FDP und CDU
Die Deutsche Vermögensberatung AG gehört zu den größten Parteispendern. Allein im Wahljahr 2021 bedachte sie Grüne, SPD, FDP und CDU mit sechsstelligen Beträgen. Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de und SPIEGEL griff der Konzern auf eine ungewöhnliche Methode zurück: Mehrere Spenden wurden persönlich per Scheck an die Parteien überreicht. Verboten ist das nicht.
Die DVAG teilt mit, sie verbinde mit der Beiratstätigkeit keine Erwartung. Die Sitzungen fänden “ein- bis zweimal im Jahr am Firmensitz in Frankfurt statt”. Darüber hinaus stünden die Beiratsmitglieder “dem Vorstand der DVAG auch anlass- sowie themenbezogen beratend zur Seite”. Ob dies auch bei der EU-Kleinanlegerstrategie der Fall war, lässt sie offen.
Dass die DVAG ein Provisionsverbot ablehnt, ist nachvollziehbar. Für Deutschlands größten Vertreiber von Finanz- und Versicherungsprodukten arbeiten mehr als 18.000 Berater:innen – in aller Regel auf Provisionsbasis.
100.000 Euro per Scheck: Ungewöhnliche Spendenübergabe in der CDU-Parteizentrale
In der Lobbykampagne gegen das Provisionsverbot ist die DVAG dennoch so gut wie unsichtbar. Der Konzern hat seine Lobbyarbeit an zwei Vereine ausgelagert: die Deutsche Unternehmensverband Vermögensberatung (DUV) und den Bundesverband Deutscher Vermögensberater (BDV). An der Spitze beider Vereine steht praktischerweise ein und dieselbe Person: Helge Lach, Vorstandsmitglied der DVAG.
Am 14. März 2023 hat der Multilobbyist einen Termin im Konrad Adenauer-Haus, der CDU-Zentrale in Berlin. Lach ist nicht mit leeren Händen gekommen. Im Auftrag der DVAG überreicht er CDU-Chef Friedrich Merz eine 100.000 Euro-Spende in Form eines Verrechnungsschecks. Bei dieser Gelegenheit informiert Lach den Parteivorsitzenden auch zum Sachstand des Provisionsverbots, aber nur “kurz” und “auf Anfrage” von Friedrich Merz, wie die DVAG später angeben wird.
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100.000 Euro per Scheck: CDU-Chef Friedrich Merz bekam im März 2023 einen Scheck von der DVAG überreicht.
Die ungewöhnliche Spendenübergabe kam durch Recherchen von abgeordnetenwatch.de und SPIEGEL ans Licht. Brisant war der Zeitpunkt des Treffens: Rund einen Monat zuvor interessierten sich CDU und CSU im Bundestag für das Thema Provisionsverbot. In einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung warnte die Fraktion vor einem drohenden Verbot und fragte die Regierung nach ihrer Position. Parallel verschickten zwei Finanzexperten der Fraktion eine Pressemitteilung mit der Überschrift “EU-Provisionsverbot würde Kleinanlegern schaden”.
Stand die Kleine Anfrage und die DVAG-Spende in einem Zusammenhang? Das weisen die Beteiligten strikt zurück. Der Termin zwischen Merz und Lach sei lange vorher vereinbart gewesen, beteuert eine CDU-Sprecherin, und zwar im November 2022. Die Zeitangabe ist interessant: Zu jener Zeit legte die Finanzwirtschaft mit ihrer Kampagne gegen ein Provisionsverbot los.
EU-Kommissarin gibt entnervt auf, vorerst
Unter dem monatelangen Dauerfeuer der Lobby und ihren Verbündeten in der Politik gab EU-Kommissarin McGuinness im April 2023 entnervt auf. Ein generelles Provisionsverbot werde es vorerst nicht geben, sagte sie. Man habe “denen zugehört, die uns sagen, dass ein vollständiges Provisionsverbot zu diesem Zeitpunkt zu disruptiv sein könnte."
Beim DUV, dem DVAG-nahen Lobbyverband, reklamiert man das Einknicken der Kommissarin auch als eigenen Erfolg. Vor einigen Tagen frohlockte die Interessenorganisation auf ihrer Internetseite: “DUV setzt entscheidende Impulse bei der Diskussion um die EU-Kleinanlegerstrategie”. Dem Verband sei es “gelungen, (...) entscheidenden Argumente gegen ein generelles Provisionsverbot bei den Entscheidungsträgern einzubringen.”
Finanzindustrie wappnet sich für eine Fortsetzung der Kampagne
Ganz vom Tisch ist das Provisionsverbot aber nicht. Im Mai dieses Jahres präsentierte die EU-Kommission ihr Maßnahmenpaket zum besseren Schutz von Kleinanleger:innen. Zwar fehlt darin ein Komplettverbot, doch bei bestimmten Formen der Anlagevermittlung sollen Provisionen verboten werden, etwa bei Verkäufen ohne vorheriger Beratung. Außerdem will sich die EU-Kommissarin das Thema Komplettverbot auf Wiedervorlage legen, und zwar rechtlich verbindlich. Sollte sich in drei Jahren herausstellen, dass Verbraucher:innen “weiterhin geschädigt werden”, könne man verschärfte Maßnahmen ergreifen, sagt ein Kommissions-Sprecher auf Anfrage.
In der Finanzlobby läuft man sich schon mal warm für eine Fortsetzung der Kampagne. Man werde sich “aktiv in die Diskussionen mit dem Parlament und dem Rat einbringen”, heißt es beim DUV.
Im Bundesfinanzministerium dürften bald wieder Bittbriefe eingehen.
Ergänzung: In einem Papier über die Deutsche Vermögensberatung AG beleuchtet die Initiative Finanzwende auch die Lobbyaktivitäten des Konzerns und den ihm nahestehenden Verbänden. Beschrieben wird zum Beispiel ein Brief von Helge Lach als Vorsitzender des Bundesverband Deutscher Vermögensberater (BDV) an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (s.u.): "Lach warnte im Januar 2023 die 'liebe' Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, vor den 'verheerende(n) Auswirkungen' eines Provisionsverbots und fügte seinem Brief handschriftlich hinzu: 'Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns demnächst zu einer Tasse Kaffee treffen könnten!'"