Düngeverordnung: Wie sich die Bundesregierung für die Interessen der Agrarlobby stark machte

In letzter Minute hat Deutschland kürzlich EU-Strafzahlungen wegen der Nichtumsetzung der Düngeverordnung abgewendet. Doch warum nahm die Bundesregierung lange Zeit die drohenden Strafen von 800.000 Euro pro Tag in Kauf? Interne Schreiben zeigen, wie die Regierung gegenüber der EU-Kommission auf ähnliche Argumente wie der Deutsche Bauernverband setzte, die Positionen von Naturschutzverbänden jedoch weitgehend ignorierte. Das liegt auch an einer engen Verflechtung von Politik und Agrarlobby.

von Susan Jörges, 30.04.2020
Ausbringung von Gülle

Die Androhung von Strafzahlungen ist eines der stärksten Mittel, mit der die EU-Kommission einen Mitgliedsstaat zum Ergreifen von Maßnahmen bewegen kann. Viele Jahre sträubte sich die Bundesregierung gegen die vollständige Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie, die eine Verunreinigung des Grund- und Oberflächenwassers durch Düngemittel verhindern soll – trotz eines drohenden EU-Strafgeldes in Höhe von bis zu 850.000 Euro pro Tag. Erst kurz vor Ablauf der Frist gab der Bundesrat in einer Sondersitzung am 27. März 2020 grünes Licht für eine Neuregelung des deutschen Düngerechts.

Dass die Bundesregierung lange Zeit bereit schien, sogar empfindliche Strafzahlungen in Kauf zu nehmen, verwundert nicht. Interne Schreiben der Bundesregierung an die EU-Kommission zeigen, dass die Regierung in zahlreichen Punkten auf einer Linie mit dem Deutschen Bauernverband lag, der die strengeren Vorgaben einer Düngeverordnung ablehnte. Bedenken von Umweltverbänden wurden von der Bundesregierung gegenüber der EU-Kommission dagegen kaum berücksichtigt. 

Positionen von Umweltverbänden ignorierte die Bundesregierung weitgehend

abgeordnetenwatch.de hat die Unterlagen auf Grundlage des europäischen Informationsfreiheitsgesetzes bei der EU-Kommission beantragt und erhalten. Sie betreffen die Jahre von 2013 bis 2017. Aktuellere Dokumente hat die Kommission unter Verweis auf das laufende Verfahren gegen Deutschland bislang nicht herausgegeben.   

Eine „Mitteilung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland an die Europäische Kommission vom 10. September 2014“ zeigt exemplarisch, wie sich die Positionen von Bundesregierung und Bauernverband ähneln. Forderungen der EU-Kommission ignorierte die Regierungskoalition in wichtigen Punkten, genauso wie die Positionen von Umweltverbänden. 

Deutlich wird dies unter anderem an folgenden Punkten:

Beispiel Lagerungspflicht von Düngemitteln:

Landwirte sind verpflichtet, Lagerungsmöglichkeiten auf ihren Höfen für Gülle, Jauche oder Festmist vorzuweisen – Streit gab es darüber, für wie viele Monate die Kapazitäten vorzuhalten sind. Die Bundesregierung setzte in ihrer Mitteilung an die EU-Kommission von 2014 auf Lagerkapazitäten für eine Dauer von sechs Monaten (nur bei Betrieben mit kleinen Ackerflächen und hohem Tierbestand sollte diese neun Monate betragen). Die 6-Monatspflicht entsprach der Position des Bauernverbandes, der eine darüber hinausgehende pauschale Ausdehnung für „nicht akzeptabel“ hielt. Umweltverbände wie der BUND befürworteten dagegen eine verpflichtende achtmonatige Lagerkapazität für alle Betriebe, um eine Überdüngung in Folge zu geringer Lagermöglichkeiten zu verhindern.

Beispiel Messnetze:

In Deutschland wird der Grundwasserzustand an 1215 Messstellen kontrolliert, 697 überwachen dabei die Nitratwerte in landwirtschaftlich genutzten Gebieten. Aktuell zeigen laut Umweltbundesamt 18 Prozent der Messstellen zu hohe Nitratwerte auf. Doch diese Werte, so stellt es die Bundesregierung in ihrem Schreiben vom 10. September 2014 dar, seien nicht mit denen anderer Länder vergleichbar. Die EU erwecke „den falschen Eindruck, die Wasserqualität in Deutschland sei schlechter als in vielen anderen Mitgliedstaaten“. Deutschland nehme „im europäischen Vergleich durchaus eine Stellung im oberen Mittelfeld guter Gesamtwasserqualität ein.“ Dass das deutsche Messnetz nicht repräsentativ sei, behauptet so auch der Bauernverband – in Wirklichkeit sei die Wasserqualität sogar noch einmal besser als von der Bundesregierung an die Kommission berichtet. Bedenken von Umweltverbänden kommen in der Mitteilung der Bundesregierung an die Kommission dagegen nicht vor. So drängen etwa BUND oder Nabu bis heute darauf, die Nitratwerte vor allem in besonders belasteten Gebieten, sogenannten roten Gebieten, deutlich zu senken. Dafür müssten die Vorgaben der EU „ohne Wenn und Aber umgesetzt“ werden. 
 

Beispiel Sperrzeiten:

Damit sich das Grundwasser erholen kann, verlangte die EU-Kommission eine im Herbst beginnende, mehrmonatige Sperrzeit für den Einsatz von Düngemitteln auf Feldern. Zwar ließ sich die Bundesregierung nicht auf die Forderung des Bauernverbandes nach flexiblen Regelungen bei der Herbstdüngung ein. Doch die Regierungskoalition verwies in ihrer Mitteilung an die Kommission auf Ausnahmen für Kulturen wie den Winterraps, bei denen weiterhin eine Herbstdüngung möglich sein soll. Solche Ausnahmen verlangte etwa der Bauernverband Sachsen-Anhalt: „So erwartet der Bauernverband, dass diese Möglichkeiten [Ausnahmen der Düngungszeiten] zugunsten der Landwirte voll ausgeschöpft werden“. Der Nährstoffbedarf einer Pflanze hinge von der Wetterlage und der Bodenqualität ab, hierauf müssten Landwirte flexibel reagieren können. Umweltverbände fordern dagegen bis heute „keine neuen Ausnahmetatbestände“

Beispiel Stickstoffobergrenze:

Immer wieder hat die EU-Kommission Deutschland wegen schlechter Wasserqualität kritisiert und auf eine Reduzierung des Stickstoffüberschusses gedrängt, so zum Beispiel in ihrem "Aufforderungsschreiben" vom 18. Oktober 2013. Doch die Bundesregierung hielt es lange Zeit für unnötig, in diesem Punkt weitere Maßnahmen zu beschließen. Begründung: Man erwarte spürbare Auswirkungen einer 2007 erfolgten Verschärfung der Stickstoffwerte „frühestens zum Ende des zweiten Jahrzehnts“. Dies war ganz im Sinne des Bauernverbandes. Es gehe an der Realität vorbei, schrieb die Organisation 2017, "die zulässigen Grenzen des Nährstoffvergleichs für Stickstoff und Phosphor weiter zu verschärfen"; gleichwohl wolle man die Effizienz der Düngung aber weiter steigern. Auch in Sachen Stickstoff griff die Bundesregierung Argumente von Umweltverbänden nicht auf. Nabu, BUND und andere Organisationen halten die Stickstoffmenge, die bei der Düngung auf den Feldern ausgebracht wird, für unnötig hoch - die deutschen Landwirte würden sich noch immer nicht an den Erkenntnissen der Wissenschaft orientieren.

"Ein Trauerspiel"

Der EU-Abgeordnete Martin Häusling, der für die Grünen im Agrarausschuss sitzt, hat die Verhandlungen zwischen Deutschland und der Kommission in den vergangenen Jahren intensiv verfolgt. Dabei ist ihm der starke Einfluss des Bauernverbandes auf die Agrarpolitik Deutschlands aufgefallen: „Die Argumentationen von Bundesregierung und Bauernverband waren schon immer sehr deckungsgleich. Erst 2017 wurde bemerkt, wozu die Verzögerungen in den Verhandlungen führten und es gab einen Kurswechsel.“ 

Die Koordinatorin für Agrar-, Natur- und Tierschutzpolitik des Deutschen Naturschutzrings, Ilka Dege, hält das zögerliche Handeln in der Agrarpolitik für ein „Trauerspiel“. „In keinem anderen Bereich ist die Bundesregierung eine solche Meisterin im Aussitzen, die Hörigkeit gegenüber dem Bauernverband ist ein peinliches Lehrstück an lobbyorientierter Politik“, sagte sie gegenüber abgeordnetenwatch.de.

Studie: Viele Unionsabgeordnete sind Bauernfunktionäre

Düngeverordnung

Seit langem sorgt die EU-Nitratrichtlinie für Streit zwischen der Bundesregierung und der Kommission. Mit ihr sollen Mitgliedsstaaten zu einem einheitlichen Gewässerschutz verpflichtet werden. 2003 erhielt Deutschland eine erste Abmahnung und passte die Düngeverordnung daraufhin zwar an, aus Sicht der EU-Kommission aber nicht in zufriedenstellender Weise. Weitere Mahnschreiben folgten, bis am 21. Juni 2018 auch der Europäische Gerichtshof feststellte, dass Deutschland gegen die Verpflichtungen verstoßen habe. Bis zum Frühjahr 2020 musste die Bundesregierung hinreichende Maßnahmen vorlegen, um Strafzahlungen abzuwenden. Im allerletzten Moment stimmte der Bundesrat am 27. März 2020 für die Novellierung der Düngeverordnung.

Dass sich die Positionen des Unions-geführten Bundeslandwirtschaftsministeriums und des Bauernverbandes ähneln, ist wenig überraschend. 85 Prozent der Unionsabgeordneten im Bundestagsagrarausschuss haben einen direkten Bezug zur Land- und Agrarwirtschaft. Dies zeigt die Studie „Verflechtungen und Interessen des Deutschen Bauernverbandes“ aus dem Jahr 2019, die das Institut Arbeit und Wirtschaft (iaw) der Universität Bremen im Auftrag des Nabus durchführte. Im Rahmen der Studie wurden im Zeitraum von 2013 bis 2018 Vernetzungen von über 90 Akteuren und 75 Institutionen ausgewertet und in Netzwerkkarten visualisiert.

„Die enge Vernetzung des Deutschen Bauernverbandes und des Agrarausschusses im Bundestag verhinderte bislang eine kritische Überprüfung und Anpassung der Landwirtschaftspolitik", sagt Studienleiter Dr. Guido Nischwitz vom Institut Arbeit und Wirtschaft im Gespräch mit abgeordnetenwatch.de. "Seit 30, 40 Jahren wurde so ein notwendiger Kurswechsel in der Agrarpolitik und damit in der Landwirtschaft blockiert.“ Die Studie analysiert die Biografien von 15 Abgeordneten der CDU/CSU im Agrarausschuss des 18. und 19. Bundestages, die einen Landwirtschaftsbezug aufweisen. „Acht der CDU/CSU-Abgeordneten im Agrarausschuss mit Bezug zur Landwirtschaft übernehmen zudem Leitungsfunktionen in den verschiedenen Ebenen des Bauernverbands“, stellen die Wissenschaftler in der Studie fest. 

Strafzahlungen sind noch nicht vom Tisch

Schlüsselfiguren sind demnach unter anderem Bauernverbands-Präsident Joachim Rukwied, ein langjähriger CDU-Kommunalpolitiker, und der Unions-Obmann im Bundestagsagrarausschuss, Johannes Röhring, der gleichzeitig Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes ist. Röhring weist laut der Studie „insbesondere zu Behörden, der Finanzwirtschaft sowie der Agrar- und Ernährungswirtschaft vielfache Verflechtungen auf“. Eine wichtige Rolle spielt außerdem der Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes, Franz-Josef Holzenkamp – er war zuvor Agrarpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Auch im EU-Parlament ist und war die Lobby gut vernetzt, etwa über den 2019 ausgeschiedenen CDU-Abgeordneten und Landwirt Albert Deß, der zahlreiche Positionen in der Agrar- und Ernährungsindustrie ausübte. Im Bayerischen Bauernverband ist Deß Ehren-Kreisobmann.

Trotz der engen Verflechtung mit der Politik gelang es der Agrarlobby am Ende nicht, die Novellierung der Düngeverordnung zu verhindern oder weiter aufzuhalten. Mit der Billigung des Bundesrates Ende März treten die  Maßnahmen zum Schutz des Grundwassers in Kraft: in besonders belasteten Gebieten wegen der Corona-Krise erst ab Januar 2021, einige Vorgaben gelten dagegen schon ab diesem Frühjahr.

Die von der Kommission angedrohten Strafzahlungen sind damit allerdings nicht vom Tisch. Erst wenn die Bundesländer die neue Düngeverordnung flächendeckend anwenden und die Nitratwerte in den kommenden Jahren sichtbar sinken, wird Deutschland die EU-Forderungen beim Gewässerschutz erfüllt haben.

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