Mangelhafte Transparenzpflichten: Die undurchsichtigen Unternehmensbeteiligungen der Abgeordneten | abgeordnetenwatch.de Direkt zum Inhalt
Mangelhafte Transparenzpflichten
Die undurchsichtigen Unternehmensbeteiligungen der Abgeordneten
In der Maskenaffäre um Georg Nüßlein und Nikolas Löbel spielen intransparente Beratungsfirmen eine zentrale Rolle. Recherchen von abgeordnetenwatch.de und t-online zeigen nun, dass zahlreiche Abgeordnete über undurchsichtige Unternehmensbeteiligungen verfügen. Manche Firmen sind im Ausland ansässig, andere verdienen ihr Geld mit öffentlichen Aufträgen. Wer ihre Geschäftspartner sind, bleibt fast immer im Dunkeln.
Dass zwei Bundestagsabgeordnete mehrere hunderttausend Euro für die Vermittlung von Corona-Schutzmasken kassiert haben, wäre der Öffentlichkeit vermutlich bis heute verborgen geblieben, hätten nicht Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft München die sogenannte “Maskenaffäre” ins Rollen gebracht.
Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, dass die hohen Provisionszahlungen, von denen der frühere CSU-Fraktionsvize Georg Nüßlein und der ehemalige CDU-Abgeordnete Nikolas Löbel profitierten, viele Monate unentdeckt bleiben konnten. Denn für bezahlte Nebentätigkeiten von Bundestagsabgeordneten gelten eigentlich Veröffentlichungspflichten. Doch diese griffen bei den Maskendeals nicht – weil die Gelder nicht an die Politiker selbst flossen, sondern über deren Unternehmen.
Die Maskenaffäre zeigt exemplarisch, wie groß die Transparenzdefizite im Deutschen Bundestag sind. Nach den Verhaltensregeln des Parlaments sind Abgeordnete zwar verpflichtet, auf ihrer Bundestagsseite entgeltliche Nebentätigkeiten und Unternehmen aufzuführen, an denen sie mindestens 25 Prozent der Anteile besitzen. Nicht offenlegen müssen sie allerdings, mit wem ihre Firmen Geschäfte machen und wie hoch deren Einnahmen daraus sind. Provisionszahlungen wie bei Nüßlein und Löbel tauchen erst recht nicht auf.
Recherchen von abgeordnetenwatch.de und t-online zeigen nun, dass zahlreiche Volksvertreter:innen neben ihrem Mandat unternehmerisch tätig sind. Demnach sind Abgeordnete des Bundestages an insgesamt 134 Firmen beteiligt, 63 dieser Unternehmen gehören – zumindest in Teilen – Mitgliedern der Unionsfraktion. Insgesamt besaßen bis Ende letzter Woche 90 der 709 Bundestagsabgeordneten meldepflichtige Anteile an mindestens einem Unternehmen (Stand: 5. März 2021, Georg Nüßlein und Nikolas Löbel sind hierin enthalten).
In welchen Geschäftsfeldern die Firmen tätig sind, ist auf den Bundestagsseiten der Abgeordneten in aller Regel nicht ersichtlich (es sei denn, dies ergibt sich bereits aus dem Firmennamen). Etwas mehr erfährt man im Handelsregister. Die dortigen Einträge sind mitunter aufschlussreich – zum Beispiel bei einer Gesellschaft des CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Heilmann.
Gegenstand von Heilmanns Atlanta SDT Investment GmbH Co. KG ist unter anderem das "Halten und Verwalten von Beteiligungen an anderen Gesellschaften, insbesondere an der Newport South Downtown Master L.P., eingetragen in den Staaten Delaware und Georgia, mit Sitz in Atlanta". Dass Heilmann über Umwege mit einem Unternehmen in dem für Steueroptimierung bekannten Delaware verbunden ist, passt zu dessen undurchsichtigem Firmengeflecht (Ergänzung vom 11.3.2021: Thomas Heilmann legt Wert auf die Feststellung, dass ihm die in den USA übliche Registrierung von amerikanischen Firmen in Delaware keinerlei Steuervorteil bringt und sich daraus auch keine Interessenkonflikte ergeben. Die Registrierung dort habe rein operative Gründe.)
SPIEGEL-Recherchen aus dem vergangenen Jahr legen nahe, dass der frühere Berliner Justizsenator kurz nach dem Einzug in den Bundestag 2017 millionenschwere Firmenbeteiligungen an einen Treuhänder übergeben hatte. "Wollte er damit die Transparenzpflichten umgehen?" fragte das Magazin.
Dabei wäre das gar nicht nötig: Die Offenlegungspflichten sind ohnehin äußerst lax. Deutlich wird dies zum Beispiel an der so:cas GmbH des parteilosen Abgeordneten Uwe Kamann, der für die AfD in den Bundestag eingezogen war und diese später verließ. Kamanns Beratungs- und Beteiligungsfirma scheint gut im Geschäft zu sein: Für die Jahre 2017 und 2018 zahlte er sich Gewinne von mindestens 150.000 Euro aus. Monatlich erhält er außerdem ein Geschäftsführergehalt zwischen 7.000 und 15.000 Euro. Mit wem die offenbar gut laufende Gesellschaft Geschäfte macht, muss der Abgeordnete nach den Transparenzregeln des Bundestags nicht offenlegen.
Eine Mitwirkung an Maskengeschäften weisen die Abgeordneten von sich
Kamann ist einer von mindestens 16 Abgeordneten, deren Firmen nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de und t-online beratend tätig sind. Die Beratungstätigkeit ergibt sich in einigen Fällen aus dem Firmennamen, zumeist aber erst durch einen Blick ins Handelsregister.
Über ein Beratungsunternehmen hatten auch Georg Nüßlein und Nikolas Löbel im vergangenen Jahr ihre Maskengeschäfte abgewickelt. Waren auch die anderen Abgeordneten, die Anteile an Beratungsfirmen besitzen, an der lukrativen Vermittlung von Corona-Schutzmasken beteiligt? Die Parlamentarier:innen weisen eine Mitwirkung an öffentlichen Maskenaufträgen auf Anfrage ausnahmslos zurück, einige mit Entschiedenheit. Seit seinem Einzug in den Deutschen Bundestag im Mai 2020 habe er "keine Vermittlung von Masken oder jeglicher Art von Schutzausstattung für Unternehmen begleitet", erklärte etwa der Abgeordnete Tobias Zech. Der CSU-Politiker ist Gesellschafter der Beceptum International GmbH, einer Unternehmensberatung, die auf ihrer Internetseite unter anderem einen Kunden aus dem Bereich Pharma/Gesundheit angibt.
CSU-Bundestagsabgeordneter Michael Kuffer: "Sehe keine Interessenkonflikte"
Geschäfte mit öffentlichen Ausschreibungen gibt es aber sehr wohl, zum Beispiel bei Unternehmen, an denen der CSU-Abgeordnete Michael Kuffer Anteile besitzt. Auf seiner Bundestagsseite gibt Kuffer unter anderem eine Beteiligung an der Kanzlei Buse Heberer Fromm an, die mit einem anderen Unternehmen des Politikers, der Civitas Institut für Bildung und Innovation im öffentlichen Sektor GmbH, verbunden ist. Für den öffentlichen Sektor, darunter mehrere Landkreise, hatte Kuffers Kanzlei in den vergangenen Jahren die Vergabe von Aufträgen begleitet, insbesondere im Bereich des Rettungswesens. Das könnte für Kuffer nun zum Problem werden – zumindest fraktionsintern.
Denn als Reaktion auf die Maskenaffäre will die Unions-Fraktionsspitze für alle 246 Abgeordneten strikte Transparenz- und Verhaltensregeln einführen. "Für alle gilt: Entgeltliche Beratungs- oder Vermittlungstätigkeiten, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Aufgabengebiet, das in der Fraktion betreut wird, stehen, sind auszuschließen." Dies kündigten Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt am Montag in einem internen Schreiben, das abgeordnetenwatch.de vorliegt, gegenüber den Fraktionsmitgliedern an.
Davon betroffen sein könnte auch Kuffer. Er sitzt für die Union im Ausschuss für Inneres und Heimat, der immer wieder an Gesetzentwürfen zu seinem geschäftlichen Spezialbereich – öffentliche Aufträge im Rettungswesen – beteiligt ist. Dies war zum Beispiel 2020 bei der Novellierung des THW-Gesetzes der Fall. Interessenkonflikte im Zusammenhang mit seinen Nebentätigkeiten sehe er nicht, teilte Kuffer auf Anfrage mit. "Den von der Unionsfraktionsführung angekündigten Verhaltenskodex begrüße ich ausdrücklich" (ausführlicher Artikel bei t-online.de: CSU-Politiker macht Geschäfte mit öffentlichen Aufträgen).
Screenshot: abgeordnetenwatch.de
Schreiben von Unionsfraktionschef Brinkaus und CSU-Landesgruppenchef Dobrindt an die Abgeordneten von CDU und CSU: "Wir werden uns einen Verhaltenscodex geben"
Anders als bei Kuffer lässt sich bei dem AfD-Abgeordneten Hansjörg Müller nicht einmal im Ansatz erkennen, in welchem Bereich er mit seiner Firma "OOO Dissawo" Geschäfte macht. Das liegt unter anderem daran, dass Müllers Unternehmen den Sitz in Moskau hat und deswegen nicht im deutschen Handelsregister auftaucht. Zumindest so viel ist bekannt: Der AfD-Politiker, der dem Wirtschaftsausschuss des Bundestages angehört, hat seit 2018 mindestens 22.000 Euro von einem unbekannten "Mandant 1" erhalten. Diese Angaben muss Müller nach den Verhaltensregeln des Bundestages veröffentlichen, weil er an dem Moskauer Unternehmen nicht nur Anteile besitzt, sondern den Mandanten in seiner Funktion als geschäftsführender Gesellschafter betreute.
Warum die Provisionen von Nüßlein und Löbel nicht sichtbar wurden
An diesem Detail zeigt sich, warum die Masken-Provisionen von Nüßlein und Löbel nicht auf ihren Bundestagsseiten auftauchten. Nach allem was bekannt ist, liefen die Geschäfte über die Beratungsfirmen der früheren Unions-Abgeordneten. Bei Nüßlein sollen rund 660.000 Euro an dessen Tectum Holding GmbH geflossen sein, Löbel hat den Erhalt von 250.000 Euro über seine Projektmanagement GmbH eingeräumt. Veröffentlichungspflichtig wären die Provisionszahlungen geworden, wenn beide als geschäftsführende Gesellschafter tätig geworden wären – oder sich die Provisionen als Unternehmensgewinn ausgezählt hätten.
Dies sind nur zwei der Transparenzlücken, die es nun zu schließen gilt. Ein Verhaltenskodex, wie ihn die Unionsfraktion für ihre Mitglieder einführen will, zielt dabei nicht weit genug. Rechtlich verbindlich wäre nur eine Verschärfung des Abgeordnetengesetzes und der Verhaltensregeln. Dem hatte sich die Union in der Vergangenheit mit großer Beharrlichkeit widersetzt.
Mitarbeit: Josephine Andreoli, Andrea Knabe
Das ARD-Politmagazin Report München berichtete am 16. März 2021 auf Grundlage unserer Auswertung über die undurchsichtigen Beteiligungsgesellschaften von Abgeordneten: