Undercover im Regierungsviertel

Das Lobbyismus-Experiment

Mehrere Monate lang waren Undercover-Reporter:innen von abgeordnetenwatch.de und dem ZDF als vermeintliche Lobbyist:innen im Berliner Regierungsviertel unterwegs. Sie trafen Abgeordnete im Bundestag, in Restaurants und diskreten Privatclubs. Wie weit kamen sie – und welche Türen öffneten sich?

von Martin Reyher, Tania Röttger und Christian Fuchs, 24.07.2024
Illustration von zwei Lobbyist:innen, die den Bundestag betreten

Dieser Artikel beschreibt ein Experiment, das es so noch nie gegeben hat. Wir sind in die Rolle von Lobbyist:innen geschlüpft, um zu zeigen, was sonst nicht zu zeigen ist: Wie leicht es Lobbyist:innen im Bundestag haben.

I. AM EINGANG

 

Eingangsbereich in Bundestagsgebäude (Symbolbild)

 

Die beiden Lobbyist:innen stehen nervös an der Eingangskontrolle zum Bundestag. Sie sind angemeldet, alles sollte nach Plan laufen. Doch dann passiert etwas Unvorhergesehenes.

Die Frau vom Sicherheitspersonal hinter der Scheibe greift zum Telefon, wählt. Wen sie anruft und was sie sagt, ist nicht zu verstehen. Immer wieder wandert ihr Blick von den Lobbyist:innen zu ihren Ausweisen, die sie in der Hand hält. Dass sie die beiden nicht einfach durchwinkt, ist kein gutes Zeichen.

Sind sie aufgeflogen?

Der Mann und die Frau, die an diesem Tag am Eingang zum Bundestag stehen und gleich einen Termin mit einem Abgeordneten haben, sind nicht die, die sie vorgeben. Der Mann ist nicht Inhaber einer international tätigen Lobbyagentur, auch seine Mitarbeiterin ist nicht im Lobbygeschäft tätig.

Aber das weiß die Frau an der Eingangskontrolle nicht. Sie beendet das Telefonat, legt den Hörer auf und sagt: “Alles in Ordnung.” Die beiden Lobbyist:innen dürfen passieren.

Sie sind drin.
 

***


Viele Menschen haben ein großes Unbehagen, wenn es um Lobbyismus geht. Als Infratest Dimap 2019 im Auftrag von abgeordnetenwatch.de nach dem Einfluss von Lobbyist:innen auf die Politik fragte, sagten 82 Prozent, der Einfluss sei zu hoch oder viel zu hoch.

Seit der Umfrage sind zahlreiche neue Lobbyskandale bekannt geworden. In der „Maskenaffäre“ nutzten Abgeordnete ihre Kontakte aus, um dem Staat während der Corona-Pandemie Schutzmasken zu verkaufen und dafür hohe Provisionen zu kassieren. Im „Amthor-Skandal“ verschaffte der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor einem Start-up Zugang zur Bundesregierung, von dem er später Aktienoptionen erhielt.

Doch der Normalfall sieht anders aus. In aller Regel läuft die Arbeit von Lobbyist:innen geräuschlos ab und produziert keine bundesweiten Schlagzeilen. Dass Lobbyismus einen schlechten Ruf hat, liegt ganz sicher auch daran: Dass die Öffentlichkeit nichts davon mitbekommt. 

Wir beschreiben, was hinter den Kulissen abläuft. 

Das Experiment

Berlin, September 2023. Die Sommerpause ist vorbei, im Regierungsviertel herrscht wieder Hochbetrieb. Neben den Abgeordneten ist auch eine andere, weitaus größere Gruppe aus dem Urlaub zurückgekehrt: Lobbyist:innen.

Mehr als 25.000 von ihnen sind im Lobbyregister des Bundestages eingetragen. Sie sind für Unternehmen, Verbände oder Vereine tätig und versuchen, deren Interessen durchzusetzen. Das ist nicht verboten: Wer im Lobbyregister steht, darf Einfluss auf die Arbeit von Bundestag und Regierung nehmen, ganz legal. Lobbyismus ist sogar ein wichtiger Bestandteil in einer Demokratie.

Aber wie funktioniert diese Einflussnahme? Wie leicht öffnen sich die Türen zur Macht? Wie empfänglich sind Politiker:innen für die Wünsche, die Lobbyisten an sie herantragen?
 


Wenig Zeit? Lesen Sie hier die 5 wichtigsten Erkenntnisse der Recherche



Um Antworten auf diese Fragen zu finden, haben abgeordnetenwatch.de und das ZDF ein bisher einmaliges Experiment durchgeführt: Über mehrere Monate haben sie undercover im Bundestag recherchiert – als vermeintliche Lobbyist:innen.

Kartenausschnitt von Berlin mit Bundestag, parlamentarische Gesellschaft, China Club und einem Steakhaus am Potsdamer Platz
Hier trafen sich die vermeintlichen Lobbyist:innen mit Abgeordneten und einem Ex-Minister, der heute als Berater und Lobbyist tätig ist.

Das Projekt, an dem ein halbes Dutzend Journalist:innen mitgewirkt haben, diente einem Zweck: sichtbar zu machen, was im Regierungsviertel passiert, wenn Lobbyist:innen und Politiker:innen unter sich sind. In Büros, Restaurants und diskreten Clubs.

Am Anfang des Experiments steht die Gründung einer Lobbyagentur – in Luxemburg.


Die Agentur

Die Agentur Ianua Strategy hat ihren Sitz in der Rue de l'Eau im Zentrum von Luxemburg, der Hauptstadt des gleichnamigen Großherzogtums. Wer dort vor der Tür steht, wird kein Klingelschild mit diesem Namen finden. Und auch keine Mitarbeiter:innen von Ianua Strategy.

Warum der Name? Das lateinische Wort “ianua” bedeutet “Zugang” oder “Tür”. 

Ianua Strategy ist eine Briefkastenfirma, die nicht einmal einen Briefkasten hat. Die Agentur ist in keinem Handelsregister eingetragen, sie existiert nur auf Visitenkarten, im Karrierenetzwerk LinkedIn, in Mailsignaturen und auf einer Website, die wir im August 2023, kurz vor Ende der parlamentarischen Sommerpause, online stellen.

Die Website enthält eine Ansammlung großspuriger und inhaltsleerer PR-Slogans: „Gemeinsam streben wir nach Ihrem Erfolg“ oder „Wir bauen Brücken zu Entscheidungsträgern in ganz Europa“. Versprochen werden „Regierungsbeziehungen, die ihr Unternehmen voranbringen“ und ein „globales Netzwerk“. Wird man uns das glauben?

Ein Tablet mit der Website der fiktiven Agentur Ianua Strategy und zwei dazu passende Visitenkarten
Website und Visitenkarte der fiktiven Lobbyagentur Ianua Strategy

Unsere Entscheidung, die fiktive Lobbyagentur im Ausland anzusiedeln, hat mehrere Gründe. Zum einen wirkt es so glaubwürdiger, wenn Abgeordnete in Deutschland noch nie von Ianua Strategy gehört haben. Zum anderen können wir uns stets auf unsere Herkunft berufen, wenn wir in Gesprächen einen Vorgang oder eine Gepflogenheit aus dem politischen Berlin nicht kennen. Sorry, aber in Luxemburg und im EU-Parlament geht es eben anders zu.

Die Lobbyagentur steht. Jetzt braucht es Leute, die für sie arbeiten.

Die Lobbyist:innen

Wer könnte sich als Lobbyist:in ausgeben? Heutzutage gibt es von den meisten Journalist:innen digitale Spuren. Eine kurze Internetrecherche nach ihrem Namen genügt, um sie zu enttarnen. Frei erfinden können wir eine Identität der Lobbyist:innen aber auch nicht. Spätestens wenn sie bei einem Termin im Bundestag am Eingang ihren Ausweis vorzeigen müssten, wären sie aufgeflogen. 

Zum Glück gibt es Mittelnamen. Eine Reporterin, die als Mitarbeiterin der Agentur auftritt, wird ihren Mittelnamen verwenden. Und ein Schauspieler, der den Chef der Agentur spielt, wird seinen zweiten Vornamen nutzen. Die beiden Lobbyist:innen sind also reale Personen mit einer realen Identität.

Um von den Politiker:innen ernst genommen zu werden, entscheiden wir uns für die folgende Erzählung: Der Chef soll der Türöffner sein. Er soll den Abgeordneten das Gefühl geben, wichtig zu sein und auf Augenhöhe, also auf Chefebene, zu kommunizieren. Bei den Treffen soll er eine angenehme Atmosphäre schaffen und persönliche Anekdoten aus seiner Biografie beisteuern. Die Mitarbeiterin ist die Expertin. Sie wird die konkreten Fragen an die Politiker:innen nüchtern formulieren und offensiver auftreten.

Die Mission

In den kommenden Monaten werden wir Abgeordneten eine Geschichte erzählen, die sie in ähnlicher Form wahrscheinlich oft von Lobbyist:innen hören. 

Unsere Geschichte geht so:

Unser Kunde, ein britischer Hersteller von E-Zigaretten, wünscht sich von der Bundesregierung ein groß angelegtes Förderprogramm: Raucher:innen sollen E-Zigaretten vom Staat geschenkt bekommen, damit sie vom Tabak loskommen.

Dieses Förderprogramm haben wir uns nicht ausgedacht, es existiert. Die britische Regierung hat 2023 beschlossen, eine Million Raucher:innen in England mit einem kostenlosen Vape-Starterset auszustatten, begleitet von einer persönlichen Beratung. Bis zu 45 Millionen Pfund lässt sich die Regierung die „Swap-To-Stop“-Kampagne kosten.

E-Zigaretten auf Staatskosten – für die Hersteller der beliebten Verdampfer bedeutet das ein Riesengeschäft. Genau das will unser vermeintlicher Kunde auch in Deutschland erreichen. 

Darum will er mit Entscheidungsträger:innen sprechen. Am liebsten mit einem Minister oder einer Ministerin.

Der Köder

Warum sollten sich vielbeschäftigte Politiker:innen ausgerechnet mit ihnen unbekannten Lobbyist:innen aus Luxemburg treffen?

Einer, der auf diese Frage eine Antwort weiß, ist Marco Bülow. 19 Jahre lang war Bülow selbst Abgeordneter, zunächst für die SPD, später als Fraktionsloser.

Schon als Abgeordneter warnte er vor den Gefahren des unregulierten Lobbyismus. Damit eckte Bülow vor allem in den eigenen Reihen an, manche beschimpften ihn als Nestbeschmutzer. 2018 trat er nach 26 Jahren aus der SPD aus. Bei der letzten Bundestagswahl, zu der er für die Satirepartei Die Partei antrat, wurde er nicht wiedergewählt.

Ein heißer Junitag in Berlin. Wir sitzen mit Bülow in einem begrünten Hinterhof in Kreuzberg. Er ist einer der wenigen, die wir in unsere Recherche einweihen.

Marco Bülow am Redepult des Deutschen Bundestags
Marco Bülow, ehemaliger Bundestagsabgeordneter und Lobbykritiker.

Bülow hat in seiner Abgeordnetenzeit unzählige Gesprächsanfragen von Interessenvertreter:innen bekommen. Er weiß also aus eigener Erfahrung, wie und mit welchen Methoden Lobbyist:innen Abgeordnete umgarnen.

Bülow erzählt, dass Abgeordnete Gesprächswünsche von Lobbyist:innen meist ablehnen, wenn sie ihnen keinen Mehrwert bieten. Aussortieren, wovon man selbst nichts hat – das klingt logisch. Er sagt, dass Lobbyist:innen bei ihren Gesprächen mit Abgeordneten gern mit Arbeitsplätzen argumentieren. Doch die Aussicht auf Jobs sei oft nur ein Einfallstor: In Wirklichkeit wollten sie ganz andere Wünsche platzieren. 

An dieser Vorgehensweise der echten Lobbyist:innen orientieren wir uns. Wir erzählen den Abgeordneten, dass der britische E-Zigaretten-Hersteller eine Fabrik in Deutschland bauen will. Eine Firmenansiedlung im Wahlkreis – das verspricht Arbeitsplätze.

Wenn wir es mit dieser Geschichte in den Bundestag schaffen, können wir den Abgeordneten ein ganz anderes Anliegen präsentieren: das Förderprogramm mit den E-Zigaretten auf Staatskosten. Werden die Abgeordneten da mitgehen? 

Bülow bezweifelt, dass dies gelingen wird. Um als Lobbyist:in erfolgreich zu sein, müsse man einiges anbieten, oder Vertrauen zu den Politiker:innen aufbauen, was länger dauern kann. 

Auf jeden Fall länger als die Zeit, die uns zur Verfügung steht.


II. IM ZENTRUM DER MACHT

 

Blick von Aussen in beleuchtete Büros und Sitzungssäle im Paul-Löbe-Haus


Es dauert nicht einmal eine halbe Stunde, bis die vermeintlichen Lobbyist:innen das Mobiltelefon des Bundestagsabgeordneten in der Hand halten. Es ist Anfang November 2023 und Olav Gutting (CDU) hat Ianua Strategy in sein Büro ins Paul-Löbe-Haus des Bundestags eingeladen. Gutting sitzt im Finanzausschuss, der für die Besteuerung von E-Zigaretten zuständig ist. 

Sie sitzen an einem runden braunen Holztisch. Guttings Büro liegt im oberen Stockwerk, Glasfenster, Blick auf die gegenüberliegenden Büros. An der Wand hängt ein kleines Jagdgeweih. Eine Mitarbeiterin bietet Kaffee und Wasser an. Nachdem die beiden ihr Anliegen vorgestellt haben, beschreibt Gutting die Interessen der Koalition zum Thema E-Zigaretten. Er habe da aber eine andere, liberalere Position. Darum habe die CDU/CSU-Fraktion einen eigenen Entwurf für einen Antrag im Bundestag entworfen: “Richtige Entsorgung und Umgang mit Einweg-E-Zigaretten verbessern”. Er steht auf und läuft zu seinem Schreibtisch. Hat er den nicht hier irgendwo liegen?

Ob Gutting den geplanten Unions-Entwurf mit ihnen teilen könne? Klar, sagt er. Er reicht der vermeintlichen Lobbyistin sein Smartphone, damit sie ihre E-Mailadresse in sein Mailprogramm tippen kann. Noch bevor das Gespräch endet, haben die beiden den Entwurf eines bisher unveröffentlichten Antrags von CDU/CSU in ihrem Postfach. 
 

***

Dass die vermeintlichen Lobbyist:innen im Büro des Bundestagsabgeordneten Olav Gutting sitzen und mit ihm über das Thema E-Zigaretten sprechen, würde normalerweise niemand mitbekommen. Treffen zwischen Lobbyist:innen und Politiker:innen müssen in Deutschland nicht veröffentlicht werden. 

Das Problem an der fehlenden Transparenzpflicht ist, dass die Öffentlichkeit nicht erfährt, wessen Argumente Politiker:innen berücksichtigen. Stützen sie ihre Meinungsbildung vor allem auf Gespräche mit Unternehmensvertreter:innen und Wirtschaftsverbänden? Hören sie sich zugleich auch die Meinungen von Gruppen wie Verbraucherschutz- oder Umweltverbänden an, die oft gegensätzliche Interessen haben?

Im Jahr 2021 wurde bekannt, dass der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sich in den ersten drei Jahren seiner Amtszeit 80-mal mit Vertreter:innen der Automobilindustrie getroffen hatte. Mit Umweltverbänden traf er sich im gleichen Zeitraum nur einmal.

Dieses Ungleichgewicht zugunsten der Industrie zeigt sich auch an anderer Stelle. Unter den zehn Interessenverbänden mit dem höchsten Lobbybudget im Jahr 2022 befinden sich neun Wirtschaftsverbände. Ihr Ziel ist es, den Profit ihrer Verbandsmitglieder zu erhöhen. Nur ein Akteur im Ranking vertritt dagegen Interessen, die dem Gemeinwohl dienen – der Verbraucherzentrale Bundesverband.

Lobbyismus ist grundsätzlich nichts Schlechtes. Auch Fachpolitiker:innen kennen nicht alle Details und Zusammenhänge und können nicht alle Folgen ihrer Entscheidungen überblicken. Deshalb sind sie auf das Wissen von Expert:innen angewiesen. Diese kommen aus der Wissenschaft, aus gemeinnützigen Organisationen, aus Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden.

Lobbyismus kann jedoch schnell zum Problem werden, wenn es ein großes finanzielles Ungleichgewicht gibt. Die Politikwissenschaftlerin Wiebke Marie Junk von der Universität Kopenhagen, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, sagt: „Selbst wenn Geld nicht direkt Einfluss erkaufen kann, zeigt unter anderem meine eigene Forschung, dass höhere Ressourcen mit mehr Lobby-Aktivität, mit mehr Zugang zu Politikern und auch mit mehr Erreichung von Lobby-Zielen zusammenhängt.“ Junk hält das für problematisch, weil es dem demokratischen Prinzip widerspreche. „Mehr Geld gleich mehr Einfluss, das ist eigentlich nicht das, was wir uns wünschen.“ 

Hinzu komme die mangelnde Transparenz. „Wenn Politik und Interessenvertretung eine Blackbox sind, über die die allgemeine Öffentlichkeit nur wenige Informationen einsehen kann, gibt es einen Nährboden für problematische Lobby-Interaktionen", sagt Junk.

Von den Aktivitäten der beiden Lobbyist:innen aus Luxemburg wird die Öffentlichkeit in den kommenden Monaten nichts mitbekommen (mit einer Ausnahme). Wie Tausende Profitlobbyist:innen werden sie versuchen, Politiker:innen für die Anliegen eines Unternehmens zu gewinnen. 

Wie werden die Abgeordneten darauf reagieren?

Die Volksvertreter:innen

Anfang September 2023 bekommen 27 Abgeordnete eine Mail von „Joseph Wagner, Founder & Managing Director Ianua Strategy“, unserem Agenturchef. Die Abgeordneten kamen aus allen Bundestagsfraktionen: Sieben von der SPD, sechs von CDU/CSU, jeweils vier von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP, drei von der AfD, zwei von der Linkspartei und ein Fraktionsloser. Die Anzahl der Anfragen haben wir proportional zur Sitzverteilung gestaffelt. Je größer eine Fraktion, desto mehr Abgeordnete haben wir angeschrieben.

Olav Gutting im Plenarsaal des Deutschen Bundestags
Bundestagsabgeordneter Olav Gutting (CDU)

Bei der Stichprobe achten wir darauf, dass verschiedene Regionen vertreten sind – von Schleswig-Holstein über Sachsen-Anhalt bis Baden-Württemberg. Manche Abgeordnete sprechen wir als Fachpolitiker:innen für Gesundheits- oder Suchtthemen an oder weil sie bereits mit dem Thema E-Zigarette befasst waren, andere als Vertreter:innen ihrer Wahlkreise. Mit einigen sprechen wir vor allem über die Firmenansiedlung, mit anderen auch über das Förderprogramm für E-Zigaretten.

In der Mail stellen wir uns als Berater „eines renommierten Auftraggebers aus einem westlichen Nicht-EU-Land“ vor und bitten um ein Gespräch, gleich mit Terminvorschlägen.

Nach 39 Minuten kommt die erste Antwort. Ein FDP-Abgeordneter lässt über seinen Büroleiter ausrichten, dass er den Termin leider nicht wahrnehmen könne. Er empfiehlt aber die drogenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Kristine Lütke, als „spannende Ansprechpartnerin“.

Im Stundentakt treffen nun die Antworten von Abgeordneten ein. Ein CSU-Mann gibt uns aus grundsätzlichen Erwägungen einen Korb: Er stehe “politischen Beratern ungenannter Auftraggeber nicht für Gespräche zur Verfügung.” Auch andere haben kein Interesse, meist mit dem Hinweis auf einen vollen Terminkalender.

Der Schauspieler Germain Wagner in einem Pressefoto der Serie Bad Banks
Schauspieler Germain Wagner, der die Rolle des Agenturchefs "Joseph Wagner" einnimmt (hier zu sehen in der Fernsehserie Bad Banks)

Doch nach nicht einmal vier Stunden haben wir ein erstes Terminangebot: Der SPD-Abgeordnete Alexander Bartz lädt die vermeintlichen Lobbyist:innen in sein Bundestagsbüro ein. In den nächsten Tagen folgen vier weitere Zusagen von Politiker:innen von AfD, CDU und einem Fraktionslosen. 

Was uns auffällt: Bisher haben vor allem Abgeordnete der Opposition auf den Gesprächswunsch reagiert, aber außer dem SPD-Politiker niemand aus der Ampelkoalition. Und auch von der Linkspartei hat noch niemand Interesse gezeigt.

Deshalb telefonieren wir bei Grünen, FDP und Linkspartei hinterher und schreiben fünf weitere Abgeordnete aus diesen Parteien an. Nur bei zwei Liberalen haben wir Erfolg. Gero Hocker, ernährungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der sich im Bundestag auch schon mit E-Zigaretten beschäftigt hat, wird sich einige Wochen später mit uns treffen. Auch Kristine Lütke, die drogenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, die uns empfohlen wurde, lernen wir später in einem Videocall kennen. 

In den kommenden Wochen werden wir insgesamt sechs Abgeordnete treffen: je zwei von CDU und FDP sowie je einen von SPD und AfD. Wir verabreden uns in ihren Büros, in einem Bundestagsrestaurant, in der Parlamentarischen Gesellschaft und in einem Steakhaus in Berlin-Mitte. Einmal klappt es nur mit einem Videotelefonat.

Die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft direkt neben dem Reichstagsgebäude
Treffpunkt Parlamentarische Gesellschaft neben dem Reichstagsgebäude

Der erste Termin führt uns gleich an einen der diskretesten Orte im Regierungsviertel, in die Parlamentarische Gesellschaft. In diesem exklusiven Club direkt neben dem Bundestag waren wir als Journalist:innen noch nie. Hier haben nur Abgeordnete und ihre Gäste Zutritt.

Geben und…

Vor dem Treffen mit Jan Wenzel Schmidt (AfD) steht der eingangs beschriebene Schreckmoment bei der Eingangskontrolle: Die vermeintlichen Lobbyist:innen werden nicht einfach durch die Sicherheitsschleuse des Bundestages gewunken, die sie passieren müssen, um Zutritt zur Parlamentarischen Gesellschaft zu bekommen.

Schmidt empfängt gut gelaunt. Er plaudert drauf los, erzählt von Ostdeutschland. Schnell entsteht eine persönliche Ebene, die die Distanz zwischen Politiker:innen und Interessenvertreter:innen schmelzen lässt. Zwei Tage nach dem Mittagessen in der Parlamentarischen Gesellschaft wird Schmidt in einer Mail an die Lobbyist:innen schreiben, dass sie "jederzeit willkommen" seien. Und er teilt ihnen mit: "Bisher ist keine neue Gesetzesänderung in Planung."

Jan Wenzel Schmidt vor einem Mikrofon
Bundestagsabgeordneter Jan Wenzel Schmidt (AfD)

Ein anderer Termin ist der im Büro des CDU-Abgeordneten Olav Gutting. Noch während des Treffens hat er ihnen den unveröffentlichten Entwurf seiner Fraktion zu E-Zigaretten per Mail weitergeleitet. Damit verrät der Abgeordnete Interna aus dem Maschinenraum der Politik an Wirtschaftsvertreter:innen. Ein Informationsvorsprung, der für echte Lobbyist:innen hilfreich wäre.

Es bleibt nicht die einzige Indiskretion. Gutting berichtet auch offen über die Haltung einiger seiner Fraktionskolleg:innen beim Jugendschutz und empfiehlt einen geeigneten Ansprechpartner in seiner Fraktion. Bei dem CDU-Kollegen wird er später per Mail ein gutes Wort für ein Treffen mit den vermeintlichen Lobbyist:innen einlegen (“Könntest Du bitte in der nächsten Zeit einmal ein paar Minuten für Herrn Wagner erübrigen”). 

Gutting gibt den beiden bereitwillig Hinweise weiter, wer ihrem Vorhaben wohlwollend gegenübersteht und wen sie noch überzeugen müssen. Beim ersten Treffen und ohne dass er je von der Agentur gehört hat oder den Kunden kennt. 

Auch die FDP-Politikerin Lütke gibt nicht-öffentliche Informationen weiter. Zum Beispiel, dass die SPD zuletzt in informellen Runden deutlich restriktiver beim Thema E-Zigaretten aufgetreten ist.


Keine Recherche mehr verpassen: Abonnieren Sie jetzt den kostenlosen Newsletter von abgeordnetenwatch.de


Es ist eine der Überraschungen dieses Experiments, wie schnell sich einige Bundestagsabgeordnete den Unternehmenslobbyist:innen andienen. Doch es gibt auch Ausnahmen: Der SPD-Abgeordnete Bartz und sein FDP-Kollege Hocker stimmen einem Treffen zu, begegnen uns sachlich interessiert, bleiben aber bei der Frage nach einer Zusammenarbeit zurückhaltend. Bartz veröffentlicht den Kontakt zu Ianua Strategy hinterher sogar in der Rubrik “Transparenz” auf seiner Website. Nach eigenen Angaben empfing er zwei Tage nach den Luxemburger Lobbyist:innen auch Vertreter der echten Tabaklobby, um – großer Zufall – über die “Regulierung im Bereich der E‑Zigarette” zu sprechen.

… Nehmen

Gleich beim ersten Treffen mit Astrid Damerow, CDU-Abgeordnete aus Nordfriesland, bietet sie auf Anfrage an, die Schirmherrschaft für eine Lobbyveranstaltung von Ianua Strategy im Bundestag zu übernehmen. Sie sagt, sie fühle sich “geehrt”. 

Mit ihrer Zusage könnten die Lobbyist:innen nun eine Veranstaltung im Restaurant unter der Reichstagskuppel ausrichten, um anderen Abgeordneten ihr Anliegen vorzutragen. Zu solchen zwanglosen Events laden Lobbyist:innen Abgeordnete gern ein. Dort können sie in angenehmer Atmosphäre mit ihnen in Kontakt kommen, ihre Interessen platzieren und netzwerken. 

Astrid Famerow sitzt im Plenarsaal
Bundestagsabgeordnete Astrid Damerow (CDU)

Das Parlamentarische Frühstück werden wir am Ende nicht durchführen. Doch Damerows Name, den wir auf die Einladungen an andere Abgeordnete schreiben könnten, ist eine Art Gütesiegel: Auf andere Parlamentarier:innen würde es wirken, als bürge hier eine Kollegin für die Seriosität der Lobbyist:innen.

Nach den ersten Treffen im Herbst 2023 bleiben wir mit den Parlamentarier:innen durch gelegentliche Telefonate, E-Mails und SMS in Kontakt. Einmal, auf dem Weg zwischen zwei Terminen, laufen die vermeintlichen Lobbyist:innen einem der Politiker in Berlin-Mitte sogar zufällig über den Weg. Er erkennt sie wieder, man verabredet ein weiteres Gespräch. 

Beim zweiten Treffen bietet Jan Wenzel Schmidt von der AfD auf Nachfrage an, über seine Fraktion eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zu stellen. Eigentlich dienen diese offiziellen Anfragen dazu, die Arbeit der Regierung zu kontrollieren. Doch Abgeordnete nutzen es auch, um Lobbyist:innen einen Gefallen zu tun.  

Nachdem der AfD-Mann die beiden vermeintlichen Lobbyist:innen beim Kennenlernen in die Parlamentarische Gesellschaft eingeladen hat, lässt er sich nun von ihnen zum Mittagessen in ein Steakhaus einladen. Die Rechnung übernehmen wir.

Nach dem Mittagessen im Steakhaus formulieren wir 14 Fragen für die Kleine Anfrage an die Bundesregierung, die wir an Schmidt schicken. Darin geht es um Änderungen in der Anti-Tabak-Politik der Ampelregierung, zum Beispiel um geplante Tabaksteuererhöhungen und darum, E-Zigaretten für Raucher:innen auf Kosten der Steuerzahler:innen zu ermöglichen, wie es die Lobby in Großbritannien durchgesetzt hat. Also strategisch wichtige Informationen für ein Unternehmen dieser Branche. Inhaltlich ändert Schmidt kaum etwas an unserem Entwurf. Einige Fragen werden von seinem Büro sprachlich umformuliert, zwei werden zusammengelegt.

Ein paar Wochen später erscheint der Hinweis in der Bundestagsdatenbank: Jan Wenzel Schmidt und die Fraktion der AfD haben eine Kleine Anfrage eingereicht. Sie trägt den Titel “Strategien und Maßnahmen zu Tabakkonsum und Gesundheitsschutz”. Darunter stehen die Namen der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla.

Im Mai antwortet die Bundesregierung auf die von den Lobbyist:innen vorformulierten Fragen mit der Drucksache 20/11448. Auf die Frage, ob sich die Regierung ein Förderprogramm vorstellen könne, bei dem Raucher wie in Großbritannien E-Zigaretten auf Kosten der Steuerzahler:innen erhalten, heißt es: “Es gibt keine Überlegungen der Bundesregierung für solche Maßnahmen.” Die Lobbyist:innen wissen nun, dass sie noch Überzeugungsarbeit leisten müssen.

Noch bevor die Regierungsantwort auf den Seiten des Bundestages veröffentlicht wird, schickt Schmidts Büroleiterin das Dokument. Die Kleine Anfrage macht später sogar Schlagzeilen. Die Ärzte Zeitung berichtet unter Bezugnahme “auf eine parlamentarische Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag” unter der Überschrift “Regierung plant keine höhere Tabaksteuer”.

Ein weiteres Instrument der Opposition zur Kontrolle der Regierung ist die schriftliche Anfrage eines einzelnen Abgeordneten. Beim zweiten Treffen mit dem CDU-Abgeordneten Olav Gutting, ebenfalls im Steakhaus in Berlin-Mitte und auf unsere Kosten, bietet er den vermeintlichen Lobbyist:innen auf Nachfrage an, für sie eine solche Anfrage an die Bundesregierung zu stellen. Sie sollen ihm einen Formulierungsvorschlag mailen. 

Das machen wir. Kurz darauf antwortet Gutting per Mail: Er versuche, “die Frage zu platzieren.” Auch diese Anfrage wird von der Bundesregierung beantwortet. Nach der Schirmherrschaft und der Kleinen Anfrage der AfD ist dies schon das dritte Beispiel dafür, wie Abgeordnete auf Wünsche von Lobbyist:innen eingehen.    

Gutting ist für sie aber auch auf anderer Ebene ein hilfreicher Kontakt. Er denkt mit und ergreift selbst die Initiative, um das Anliegen ihres Kunden zu unterstützen. 

Einmal schreibt uns Gutting in einer SMS: “Entschuldigen Sie die Störung am Samstag, aber morgen wäre ein Treffen des Leiters der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen mit dem Koordinator der Ruhrkonferenz. Eine sehr gute Möglichkeit, ihr Projekt ins Gespräch zu bringen. Er bräuchte nur ein paar konkretere Eckpunkte….”

Auch eine andere Politikerin will ihre Kontakte spielen lassen. Die drogenpolitische Sprecherin der FDP, Kristine Lütke, bietet in einem Videocall auf Nachfrage an, eine Parlamentarische Staatssekretärin (und Parteifreundin) im Finanzministerium wegen eines Termins mit den Lobbyist:innen zu fragen. 

Näher werden wir der Bundesregierung in den Gesprächen mit Abgeordneten nicht mehr kommen. 

Und jetzt?


III. VOR DER TÜR ZUR REGIERUNG

 

Blick durch einen Zaun auf den beleuchteten Eingang des Kanzleramts


Er wartet schon in der Lounge neben dem Restaurant, in einem schwarzen Ledersessel. Auf dem Tisch vor ihm steht ein Glas Wein. Fester Händedruck. Das Licht im italienischen Restaurant des China Clubs ist gedämpft. Noch sind kaum Gäste da, es ist kurz nach 17 Uhr, draußen ist es bereits dunkel. Durch die Fensterfront ist die Kuppel des Reichstags zu sehen. Das Personal begrüßt Dirk Niebel und seinen Begleiter freundlich. Wir nehmen Platz. Zeit für ein paar "Schweinereien”, sagt Niebels Begleiter, und meint damit: Antipasti und Wein.


***


Um Dirk Niebel, dem die beiden vermeintlichen Lobbyist:innen an diesem Abend gegenübersitzen, ist es in den letzten Jahren ruhig geworden. Viele kennen den FDP-Politiker noch als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der er von 2009 bis 2013 war. Dann flog die FDP aus dem Bundestag und Niebel wurde Rüstungslobbyist bei Rheinmetall. Außerdem betreibt er in Berlin eine Beratungsfirma.

So wie Niebel haben zahlreiche ehemalige Politiker:innen und Regierungsbeamt:innen nach ihrer aktiven Zeit die Seiten gewechselt. Im Lobbyregister des Bundestages finden sich die Namen von mehr als 100 ehemaligen Abgeordneten, Minister:innen und hohen Beamt:innen, die heute im Lobby- und Beratungsgeschäft tätig sind (Stand: 2023).

Wenn Unternehmen ehemalige Politiker:innen engagieren, kaufen sie immer auch das Adressbuch mit. 2021 deckten abgeordnetenwatch.de und DIE ZEIT auf, wie der ehemalige Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) seine Kontakte zur damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzte, um ein Anliegen der Deutschen Bank vorzubringen. Gabriel, inzwischen Mitglied im Aufsichtsrat der Bank, versuchte seine frühere Chefin telefonisch davon zu überzeugen, sich auf EU-Ebene für die Aussetzung der Bankenabgabe einzusetzen. Später schickte er seine Bitte noch einmal per Mail hinterher. Sein Anliegen blieb erfolglos.

Bei dem Treffen mit Niebel in einem exklusiven Privatclub wollen die beiden vermeintlichen Lobbyist:innen den FDP-Mann auf seine Kontakte ansprechen, die er als Ex-Minister immer noch hat.

Wir wollen herausfinden: Kann er einen Termin bei einem Minister oder einer Ministerin arrangieren  und wenn ja: Was kostet das?

Die Türöffner

Wer einen Termin mit wichtigen Politiker:innen braucht, aber selbst keine Beziehungen hat, kann dafür die Dienste von Spezialisten in Anspruch nehmen. In Berlin gibt es zahlreiche Lobby- und Beratungsfirmen, die behaupten, Zugang zum Bundestag und der Regierung herstellen zu können – manche werben damit sogar öffentlich auf ihrer Website.

Auch zahlreiche Ex-Politiker:innen haben nach ihrem Ausscheiden eine Agentur gegründet. Wir schreiben einige von ihnen an. Sie waren Minister oder Staatssekretäre für Grüne, SPD oder FDP. 

Keine zwei Stunden, nachdem wir unsere Mail („Anfrage Mandatsübernahme”) abgeschickt haben, meldet sich der erste Polit-Promi: Rudolf Scharping, Verteidigungsminister a.D. und ehemaliger Parteivorsitzender der SPD. „Wir können gerne einmal telefonieren und ausloten, ob es Möglichkeiten gibt.“ Er freut sich auf ein Gespräch und sendet beste Grüße aus Frankfurt, dem Sitz seiner Agentur RSBK Strategie Beratung Kommunikation AG.

Rudolf Scharping spricht in ein Mikrofon
Rudolf Scharping, Verteidigungsminister a.D. (SPD)

Wir kontaktieren auch einen ehemaligen Bundeskanzler, der in den letzten Jahren als Berater und Lobbyist für verschiedene Auftraggeber tätig war: Gerhard Schröder (SPD). Der Altkanzler antwortet persönlich: „Ich danke für Ihre Anfrage und Ihr Vertrauen mir gegenüber. Obwohl ich lange Jahre Zigarren geraucht habe, glaube ich nicht, dass ich die richtige Anschrift für Ihre Anfrage bin.“

Nach einigen Tagen haben wir Termine mit drei Gesprächspartnern: 

Rudolf Scharping, der womöglich Zugang zu SPD-Ministern herstellen kann. 

Rezzo Schlauch, ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär der Grünen, der jetzt als Berater für eine Lobbyagentur tätig ist und vielleicht Kontakte zu einem Parteifreund vermitteln kann. 

Dirk Niebel, ehemaliger Entwicklungshilfeminister und Inhaber einer Beratungsagentur, der ein möglicher Türöffner zu einem hochrangigen FDP-Politiker ist.

Bieten uns die drei an, für unseren vermeintlichen Kunden einen Kontakt zur Bundesregierung herzustellen? 

Rezzo Schlauch zu Gast in einer Talkshow
Rezzo Schlauch, ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär (Grüne)

Die Gespräche laufen ähnlich ab. Wir stellen die Agentur vor, sagen, dass unser Kunde zunächst anonym bleiben möchte. Gerne würde er einen Minister oder eine Ministerin treffen, um sein Anliegen – das staatlich geförderte Programm mit den kostenlosen E-Zigaretten für Raucher:innen – persönlich vorzustellen. Besonders wichtig wäre ihm ein Gespräch mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). 

Scharping sagt in einem Videocall, er habe nach wie vor gute Kontakte zur Bundesregierung. Ein Treffen mit Lauterbach, den er kenne, könne er zwar nicht versprechen. Aber mit seinem Parlamentarischen Staatssekretär werde es auf jeden Fall klappen.

Rezzo Schlauch hat zu der Videokonferenz den Geschäftsführer der Lobby- und PR-Agentur mitgebracht, mit der er zusammenarbeitet. Auch er kennt Lauterbach. Schlauch erklärt, er habe Kontakte zum Gesundheitsministerium sowie zum Umweltministerium. Im Falle einer Beauftragung würde er sie nutzen.

Dirk Niebel, der ehemalige FDP-Minister, will die Luxemburger Lobbyist:innen persönlich kennenlernen. Er hat sie “auf ein paar Snacks” in eine der exklusivsten Locations in der Hauptstadt eingeladen: in den China Club, unweit des Brandenburger Tor.

Der Privatclub

Schild vom China Club Berlin im Adlon Palais
Treffpunkt China Club unweit des Brandenburg Tor

Er bezeichnet sich selbst als Deutschlands “renommiertesten Privatclub”. Aufnahmegebühr für eine "Lifetime Private Membership": 10.000 Euro. Unternehmen zahlen 15.000 Euro.

Der China Club, gelegen auf der Rückseite des berühmten Hotel Adlon, versteht sich als „ein diskreter Rückzugsort, weg von der Hektik der Stadt und gleichzeitig ein Ort der Begegnung und des Austausches“ – ein gutes Versprechen, um mit Dirk Niebel über einen Termin mit einem Minister oder einer Ministerin zu sprechen.

Der Ex-Minister empfängt im italienischen Restaurant Medinis im siebten Stock des Clubs. Er hat einen Geschäftspartner mitgebracht, einen Lobbyisten mit eigener Beratungsfirma, die auf ihrer Internetseite damit wirbt, Treffen mit Abgeordneten und Regierungsmitgliedern arrangieren zu können.


Exklusive Recherchen per Mail: Abonnieren Sie hier den kostenlosen Newsletter von abgeordnetenwatch.de


Niebel ist nach wie vor bestens vernetzt. Seine Kontakte reichen bis an die Spitze des Bundeskanzleramtes. Kürzlich habe er mehrere SMS mit Wolfgang Schmidt (SPD), dem Kanzleramtschef und Vertrauten von Bundeskanzler Olaf Scholz, ausgetauscht, sagt Niebel.

Es sei ihm als ehemaligem Minister noch nie passiert, dass ihm ein amtierender Minister ein Gespräch verweigert habe, gibt Niebel zu verstehen.

Das scheint zu stimmen. Jedenfalls saß er wenige Wochen vor dem Treffen im China Club, am 7. September 2023, mit dem Chef von Rheinmetall bei Finanzminister Christian Lindner (FDP). Das erzählt Niebel nicht, es lässt sich aber später herausfinden, mit einer Anfrage an das Ministerium.

Was Niebel hingegen erzählt, ist die Höhe seines Tagessatzes als Berater. Dieser liege in der Regel bei 2.500 Euro plus Spesen und Reisekosten.

Dirk Niebel sitzt in einem Flugzeug
Dirk Niebel, Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung a.D. (FDP)

An diesem Abend, bei Wein und Antipasti, erfährt man viel darüber, wie erfolgreiches Lobbyieren funktioniert. Oftmals entspricht es dem Klischee. 

Zum Beispiel die (Männer)-Freundschaften, die Lobbyisten und Politiker vor Jahrzehnten knüpften, als sie sich gemeinsam in der Jugendorganisation einer Partei engagierten. Irgendwann trennten sich die Wege. Die einen wurden Berater oder Lobbyisten, die anderen machten Karriere in der Politik und besetzen heute hohe Posten. Gelegentlich trifft man sich auf ein Bier, um Wichtiges zu besprechen.

In der Parlamentarischen Gesellschaft, so erzählt es Niebel, gebe es eine Kneipe.  Zu den dortigen Treffen existierten weder Kalendereinträge noch Dokumentation.

Niebel und sein Partner nennen uns an diesem Abend mehrere Politiker:innen, die für die Anliegen des E-Zigarettenherstellers wichtig sind. Eine davon ist Renate Künast. Denn die grüne Ex-Ministerin und Abgeordnete hat einen einflussreichen Posten in einer Regierungsfraktion: Sie leitet die Arbeitsgruppe für Ernährung und Landwirtschaft, die für E-Zigaretten zuständig ist.

Am Beispiel von Künast macht Niebels Partner deutlich, wie er Kunden die Türen zu Entscheidungsträger:innen öffnet. Er erzählt von einem Lobbyverband, der mehrfach daran gescheitert war, einen Termin mit der Grünen zu bekommen. Seine Agentur konnte helfen: Einer seiner Partner kenne Künast aus der Kommunalpolitik und habe dem Verband einen Termin verschafft. Dieser Darstellung widerspricht Künast später auf Nachfrage.

Niebel und sein Begleiter wollen von den vermeintlichen Lobbyist:innen mehr über das Anliegen des Kunden erfahren. 

Wir äußern einen Wunsch: „Unser Kunde möchte einen Minister sprechen.”

Niebels Geschäftspartner gibt zu verstehen, dass das machbar sei. Wenn der Kunde einen Minister sprechen wolle, werde man das hinbekommen.

Das Eintrittsticket

Drei Gespräche haben wir nun geführt, um einen Termin mit einem Minister oder einer Ministerin zu bekommen: mit Scharping, Schlauch und Niebel. Die Ex-Politiker bzw. ihre (Partner)-Agenturen schicken nach den Gesprächen ein Angebot. 

Von der Agentur, für die Rezzo Schlauch tätig ist, bekommen wir ein ausführliches Schreiben, in dem diese sich für den Auftrag von Ianua Strategy bewirbt. In dem Angebot wird die gesundheitspolitische Großwetterlage beim Thema E-Zigaretten skizziert und die Positionierungen der Parteien dargestellt. Außerdem wird das Team für den möglichen Auftrag vorgestellt. 

Für die Recherche, Hintergrundgespräche und die Erstellung eines Lagebildes schlägt die Agentur zehn Arbeitstage vor, Tagessatz: 2.500 Euro.

Als möglichen zweiten Schritt stellt die Agentur schon einmal in Aussicht, “mit den für E-Zigaretten zuständigen Vertretern der Bundesregierung (hier vor allem bei Bündnis 90/Die Grünen) in Kontakt zu treten.”  Einen Vorschlag, wie man die “restriktive Positionierung” zu E-Zigaretten bei den Grünen “ggf. medial konterkarieren” könne, gibt es auch schon: Man könne sie der Haltung der Grünen zur teilweisen Legalisierung von Cannabis gegenüber stellen.

Kann Schlauch tatsächlich Kontakte zur Bundesregierung herstellen? Wir fragen bei der Bundesregierung nach, ob er Regierungsmitglieder getroffen hat. Und tatsächlich: Das Wirtschaftsministerium teilt mit, dass Schlauch 2023 als Lobbyist einen Termin mit dem grünen Minister Robert Habeck hatte. Dabei sei es um Wasserstoff und Rohstoffe gegangen.

Auch Rudolf Scharping tritt mit einem konkreten Angebot an uns heran. Er bietet einen Bericht an, der detailliert darstellt, wer in der Bundespolitik welche Position zum Thema E-Zigaretten einnimmt, welche Ministerien relevant sind und wer dort zuständig ist. Scharpings Tagessatz: 3.000 Euro.

Wie gut ist Scharpings Draht zur aktuellen Bundesregierung? Das Bundeskanzleramt teilt auf Anfrage mit, der Ex-Minister habe im vergangenen Jahr zweimal mit Staatssekretär und SPD-Politiker Jörg Kukies gesprochen. Kukies gilt als “Super-Berater” von Bundeskanzler Olaf Scholz. Im Finanzministerium habe Scharping mit einem Staatssekretär telefoniert, sagt ein Sprecher. 

Das dritte Angebot, das wir erhalten, ist von dem Geschäftspartner von Dirk Niebel. In einem englischsprachigen “Proposal” bietet dieser eine “Analyse des politischen Umfelds in Bezug auf Vaping-Produkte, Chancen und Risiken, Partner und Feinde” an. Außerdem enthält das Angebot einen Strategieworkshop mit “Ex-Minister Niebel” und eine Beratungsleistung von vier Tagen im Monat. Für das Gesamtpaket veranschlagt die Firma für ein Jahr insgesamt 187.200 Euro. 

Wir legen die Ergebnisse der Politikwissenschaftlerin Wiebke Marie Junk von der Universität Kopenhagen vor. Die Expertin sagt: “Dieser Teil Ihres Experiments zeigt ganz klar, dass man mit Geld im deutschen Lobbyismus eine Eintrittskarte zu Politikern kaufen kann.” 

Junk wirft die Frage auf, ob diese Praxis über die Grenzen dessen geht, was die Gesellschaft als ethisch akzeptabel empfindet. “Mein Gefühl ist, dass es nicht das ist, was man sich wünscht. Und das sehe ich als problematisch.”

IV. ABGANG

Menschen laufen über eine Brücke über die Spree im Regierungsviertel

Was wir in den letzten Monaten erlebt haben, hätten wir zu Beginn im Januar 2023 nicht für möglich gehalten. 

Damals waren wir skeptisch. Wir fragten uns, ob überhaupt ein Abgeordneter auf unsere Mail antworten würde – von einer Lobbyagentur, von der noch nie jemand gehört hat, weil sie gar nicht existiert. 

Doch wir stellten fest, dass alles, was uns ungewöhnlich erschien, für manche Abgeordnete ganz normal ist: Lobbyist:innen einen unveröffentlichten Fraktionsentwurf zukommen lassen. Sich von ihnen zum Mittagessen einladen lassen. Sich als Schirmherrin für eine Lobbyveranstaltung zur Verfügung stellen. Eine Anfrage, die Lobbyist:innen formuliert haben, an die Regierung einreichen. 

Wir waren erstaunt, wie einfach das war. Abgeordnete taten den beiden Lobbyist:innen einen Gefallen, ohne die Geldgeber im Hintergrund zu kennen. Kein Abgeordneter wollte wissen, wer ihr Kunde war. 

Und dann waren da noch die Ex-Politiker, die jetzt als Berater oder Lobbyisten arbeiten und für die es ein ganz normales Geschäft zu sein scheint, ihre politischen Kontakte zu Geld zu machen. Wäre dies kein Experiment, sondern die Realität – mit einem echten Kunden –, würde es wohl so weitergehen: Der Kunde würde viel Geld für die Dienste eines Ex-Politikers auf den Tisch legen. Dieser würde seine Kontakte in die Regierung spielen lassen und einen Termin arrangieren. Und der Kunde könnte sein Anliegen dann bei einem Minister oder einer Ministerin vortragen.

Allen Abgeordneten und allen Ex-Politikern, mit denen sich die beiden Lobbyist:innen getroffen haben und die in diesem Text namentlich erwähnt werden, wurde die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben.

Der AfD-Abgeordnete Jan Wenzel Schmidt teilte schriftlich mit, als gewählter Abgeordneter sei es seine Aufgabe, zum Wohle der Region tätig zu werden. Die Ansiedlung von neuen Unternehmen mit mehreren hundert Arbeitsplätzen sei für jede Region in Deutschland von Interesse. "Gerne" habe er die Gespräche geführt. Das Stellen der parlamentarischen Anfrage, um herauszufinden, ob Gesetzesänderungen zur Liberalisierung oder Verschärfung vorgesehen sind, sei ein "normaler Vorgang".

Der CDU-Abgeordnete Olav Gutting teilte schriftlich mit, bei ihm bekomme "jeder, der dies wünscht", einen Termin. Die vermeintlichen Interessenvertreter hätten bei ihm die Ansiedlung eines Unternehmens mit Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen für Deutschland in Aussicht gestellt. Sein Engagement habe sich ausschließlich darauf gerichtet, eine Investition in Deutschland zu unterstützen. Nach seinem Verständnis sei dies Bestandteil der Aufgabe eines Abgeordneten.

Die CDU-Abgeordnete Astrid Damerow teilte auf Anfrage mit, sie gebe "natürlich Auskunft", wenn sich ein Unternehmen in ihrem Wahlkreis ansiedeln möchte und dazu Fragen habe. Ihr Büro habe öffentlich zugängliche Kontaktdaten möglicher Veranstaltungsorte für einen parlamentarischen Abend weitergeleitet. Zuvor habe sie sich noch nie als Schirmherrin für eine Lobbyveranstaltung zur Verfügung gestellt.

Der FDP-Abgeordnete Gero Hocker schrieb, er habe das Gesprächsersuchen wahrgenommen, wie er mit fast jedem Bürger in Kontakt trete, der Interesse an einem Gesprächstermin adressiere.

Der SPD-Abgeordnete Alexander Bartz teilte mit, er habe sich mit den vermeintlichen Lobbyist:innen getroffen, um ihre Anliegen und Argumente in seinen weiteren Überlegungen zu berücksichtigen. Für ihn sei es wichtig, allen Interessengruppen Gehör zu schenken. Mit der Veröffentlichung seiner Termine wolle er seine Arbeit besser verständlich und nachvollziehbar machen.

Die FDP-Abgeordnete Kristine Lütke wollte sich zu ihren Aussagen in dem Gespräch mit den vermeintlichen Lobbyist:innen nicht äußern und warf uns "journalistisch unlauteres Vorgehen" vor.

Der Berater und frühere FDP-Minister Dirk Niebel teilte schriftlich mit, er halte sich "immer an alle rechtlichen Bedingungen" der jeweiligen Staaten, in denen er tätig sei. Dies gelte sowohl in seiner Funktion als Leiter Internationale Strategieentwicklung und Regierungsbeziehungen bei Rheinmetall als auch in seiner freiberuflichen Tätigkeit.

Der Berater und frühere SPD-Minister Rudolf Scharping schrieb, sein Handeln habe "jederzeit und vollumfänglich" im Einklang mit den gesetzlichen Regelungen gestanden. Er lasse daher alle Handlungen zuvor durch externe anwaltliche Spezialisten in diesem Bereich prüfen.

Der Berater und frühere Grünen-Staatssekretär Rezzo Schlauch ließ über eine Anwaltskanzlei ein presserechtliches Informationsschreiben zustellen. Darin weist diese darauf hin, dass das Angebot in einer ersten Stufe ausschließlich allgemein zugängliche Recherchearbeit umfasse (Desk-Research). Erst in einem hiervon “getrennt verlaufenden künftigen eventuellen zweiten Schritt” habe die Agentur angeboten, mit den für E-Zigaretten zuständigen Vertretern der Bundesregierung in Kontakt zu treten. Die Agentur habe zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie die Arbeit und die Unabhängigkeit der Politik respektiere und bei eventuellen Hintergrundgesprächen transparent auftrete. 

Außerdem haben wir Bärbel Bas (SPD), die Präsidentin des Deutschen Bundestages, um Stellungnahme gebeten. Wie bewertet sie die Ergebnisse des Experiments, sieht sie Handlungsbedarf? Bas teilte schriftlich mit, Lobbyismus sei in einer parlamentarischen Demokratie legitim und sogar notwendig, wichtig sei aber Transparenz. Das gerade erst umfassend reformierte Lobbyregister werde nach ihrer Überzeugung kontinuierlich dazu beitragen, die Transparenz weiter zu erhöhen und damit das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die politischen Prozesse und Institutionen "nachhaltig zu stärken". Zu den Resultaten unseres Experiments äußert sie sich nicht.

Dieses Experiment zeigt keinen Lobbyskandal. Was die Abgeordneten und die Ex-Politiker gesagt, getan oder in Aussicht gestellt haben, verstößt auch gegen kein Gesetz. Aber das Experiment zeigt, wie normal und oft distanzlos das Verhältnis zwischen Abgeordneten und Lobbyist:innen ist, wie selbstverständlich das Geben und das Nehmen. Und wie intransparent das Lobbyieren noch immer ist.

Wir waren lediglich zwei von Tausenden Lobbyist:innen, die versuchen, die Politik in Berlin zu beeinflussen. Von den meisten Treffen wird die Öffentlichkeit nie etwas erfahren.

Grafiken: Andreas Dobrzewski

#LobbyismusExperiment – die Recherche:

E-Mail-Adresse