Seit über einem Jahr weigert sich der Deutsche Bundestag, uns Informationen zu den Lobbykontakten der Bundestagsfraktionen herauszugeben – nun hat das Berliner Verwaltungsgericht im "Namen des Volkes" entschieden: Die Weigerung ist "rechtswidrig" und "verletzt den Kläger daher in seinen Rechten".
Rund drei Wochen nach seinem mündlichen Urteil hat das Berliner Verwaltungsgericht am vergangenen Freitag die schriftliche Urteilsbegründung vorgelegt. Danach muss der Bundestag uns auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) sowohl
- die Anzahl der Lobbyisten-Hausausweise als auch
- die Namen der Verbände nennen,
die dank Bewilligung eines Parlamentarischen Geschäftsführers der vier Fraktionen einen Hausausweis zum Bundestag erhalten haben.
Faktisch geht es inzwischen nur noch um die Lobbykontakte der beiden Regierungsfraktionen, insbesondere um die Frage, welchen Verbänden Union und SPD Zugang zum Bundestag verschafft haben. Denn Linke und Grüne haben die Namen gegenüber abgeordnetenwatch.de längst freiwillig offengelegt, die Regierungsfraktionen weigerten sich bislang. Das Verwaltungsgerichtsurteil ist für die Fraktionen jedoch nicht bindend, da es lediglich die Parlamentsverwaltung betrifft, gegen die wir geklagt hatten.
Bei dem Rechtsstreit zwischen abgeordnetenwatch.de und dem Deutschen Bundestag ging es im Kern darum, ob die Ausstellung von Lobbyisten-Hausausweisen eine Verwaltungstätigkeit darstellt, denn nur in diesem Fall greift das Informationsfreiheitsgesetz. In ihrer schriftlichen Urteilsbegründung folgen die Berliner Verwaltungsrichter dieser von uns vorgebrachten Argumentation. "Bei der Anzahl der ausgestellten Hausausweise sowie den Namen der Verbände handelt es sich um amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnungen," so die Verwaltungsrichter – mit anderen Worten: die Vergabe von Hausausweisen an Vertreter von Lobbyverbänden ist Teil des Verwaltungshandelns. Dies könne auch dadurch nicht in Abrede gestellt werden, dass ein Parlamentarischer Geschäftsführer einen Hausausweis per Unterschrift befürwortet. Denn auch in diesem Fall, so die Richter, verbleibe die Entscheidung über die Ausstellung beim Bundestagspräsidenten, also dem Chef der Parlamentsverwaltung.
Außerdem entschieden die Richter:
- Ein schutzwürdiges Interesse Dritter wird durch die Herausgabe der von uns angeforderten Informationen nicht verletzt. Auch das hatte die Bundestagsverwaltung behauptet. Die Richter machten aber deutlich, dass abgeordnetenwatch.de "keine Informationen über natürliche Personen" begehre, sondern lediglich "Auskunft über die Anzahl der ausgestellten Hausausweise und über die Namen der Verbände" wolle. Rückschlüsse auf das Verhalten von natürlichen Personen seien "nicht zu erwarten".
- Auch die schutzwürdigen Interessen der Parlamentarischen Geschäftsführer oder einzelner Abgeordneter werden nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht verletzt. Das Gericht vermöge "nicht zu erkennen, wie die Bekanntgabe der Summe aller erteilten Hausausweise (...) eine Zuordnung zu einem konkreten Parlamentarischen Geschäftsführer ermöglichen soll." Außerdem sei nicht erkennbar, dass die Bekanntgabe der Verbändenamen "mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Ausgangspunkt für die Aufdeckung des Verhaltens einzelner Parlamentarischer Geschäftsführer oder einzelner Abgeordneter in der Fraktion sein könnte".
- Außerdem hatte der Bundestag behauptet, allein aus dem Tätigkeitsbereich eines Verbandes lasse sich darauf schließen, welche Fraktion einem Verbandsmitarbeiter einen Hausausweis bewilligt habe. Dies, so die Richter, sei im Einzelfall zwar denkbar, allerdings müsse der Bundestag eine solche Zuordnung "im Einzelfall für den betroffenen Verband und die entsprechende Fraktion" darlegen. Die pauschale Behauptung, dass eine Zuordnung möglich sei, "reicht nicht aus".
Mit Zustellung der schriftlichen Urteilsbegründung hat der Bundestag nun einen Monat Zeit, um über den Gang in die Berufung zu entscheiden. Laut Tagesspiegel werde die Parlamentsverwaltung diesen Schritt gehen. Die Bundestagspressestelle hat eine entsprechende abgeordnetenwatch.de-Anfrage vom vergangenen Mittwoch bislang noch nicht beantwortet.
Sollte der Deutsche Bundestag tatsächlich in die nächste Instanz gehen, stehen die Chancen äußerst gut, dass spätestens das Bundesverwaltungsgericht den Deutschen Bundestag zur Offenlegung der Lobbykontakte zwingen wird. Vor eineinhalb Wochen urteilten die Leipziger Richter in einem Verfahren mit ähnlichen Rahmenbedingungen, dass die Parlamentsverwaltung sich nicht auf "parlamentarische Tätigkeiten" berufen könne. Im konkreten Fall ging es um die Veröffentlichung von Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes, bei deren Ausarbeitung es sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts um eine Verwaltungstätigkeit handele - und nicht um eine parlamentarische Tätigkeit, wie die Parlamentsverwaltung argumentiert hatte. Der Bundestag muss die Gutachten nun auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes zugänglich machen, wenn Bürgerinnen und Bürger dies verlangen.
Die schriftliche Urteilsbegründung des Berliner Verwaltungsgericht als pdf (VG 2 K 176.14)